6x jährlich erscheint unsere Zeitschrift "FriedensForum" und informiert über Neuigkeiten aus der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeheft zu!
Gewalt muss nicht militärisch sein
Blick in die deutsche Polizeigeschichte
von
Vor etwa fünf Jahren machten Meldungen über die Beschaffung von „Sturmgewehren“ die Runde in den Medien. Von „Militarisierung“ der Polizei war die Rede. Doch ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Polizei schon deutlich militärischere Zeiten gesehen hat als heute – sowohl in Ausbildung, Ausstattung, als auch Selbstverständnis. Dennoch sind die Überreste alter Denkmuster und taktischer Orientierungen auch heute noch zu finden.
Die Polizei heutiger Prägung entwickelte sich in Deutschland im Laufe des 19. Jahrhunderts. Während sie zu Beginn noch für alle möglichen Gegenstände der öffentlichen Ordnung zuständig war – öffentliche Verwaltung, Armenfürsorge – entwickelte sich zur Mitte des Jahrhunderts in Preußen ein buntes Nebeneinander von Polizeibehörden auf kommunaler und staatlicher Ebene, deren Fokus auf Ordnung und Sicherheit lag. Mit der Industrialisierung entstanden Großstädte, in denen Massen verarmter Proletarier auf engem Raum leben missten. Die Polizei wurde hier zur Disziplinierung gebraucht, jedenfalls nach Ansicht des verstörten und verängstigten Bürgertums. Allerdings blieb die Niederschlagung von Streiks und Demonstrationen zunächst Aufgabe des Militärs, bis in den 1890ern die Polizei diese Aufgabe übernehmen konnte. Dabei gewann sie ihr Personal – vor allem die oberen Dienstgrade – aus den Reihen ausgedienter Unteroffiziere, auch taktische Einsatzkonzepte und Uniformierung kamen aus dem Militär. Erst ab 1901 wurden kommunale Polizeischulen gegründet, um den Polizisten zivile Umgangsformen beizubringen und sie auf ihre Aufgaben in der Schutzpolizei vorzubereiten. Etwa zur gleichen Zeit entwickelte sich die Kriminalpolizei mit einem spezialisierten Anforderungsprofil und Rückgriff auf wissenschaftliche Methoden der Beweissicherung. Militarismus und Modernisierung wurden so zu prägenden Kennzeichen der inneren Entwicklung der Polizei des Kaiserreichs.
In der Weimarer Republik setzte sich diese Tendenz fort. Gerade für die uniformierte Polizei blieb das Militärische prägend, sowohl im inneren Aufbau als auch bei der Personalgewinnung aus den Reihen der Weltkriegsveteranen. Die Ausbildung ähnelte der in der Infanterie – Drill, Schießtraining, Übungen im Gelände. Gerade in innenpolitischen Krisensituationen erfolgte der Rückgriff auf militärische Vorgehensweisen, sei es bei der Niederschlagung eines Aufstandsversuchs der Hamburger KPD 1923 mit 85 getöteten Zivilisten oder dem Berliner „Blutmai“ 1929 mit 33 Toten. Bei der Kriminalpolizei hingegen wurde die Modernisierung (Einführung der Daktyloskopie, Erstellung von Registern) fortgesetzt. Aber auch in der Schutzpolizei gab es vereinzelte Versuche der Zivilisierung, etwa durch die Aufnahme allgemeinbildender Fächer in die Polizeiausbildung. Trotz aller Versuche vor allem sozialdemokratischer Innenminister, die Polizei auf ein republikanisches Selbstverständnis einzuschwören, blieb es in erster Linie bei einem Selbstverständnis als Schutzschild des Staates, gegen kommunistische Zersetzung und Aufstände.
In dieser Hinsicht war die recht friktionslose Einordnung der deutschen Polizei in den faschistischen Staat nicht weiter überraschend. Auf ihre Beteiligung an den Verbrechen des deutschen Faschismus und der Vernichtung der europäischen Juden und der Sinti und Roma sei an dieser Stelle nur verwiesen.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde der Wiederaufbau der Polizei nach den Vorstellungen der Siegermächte neu gestaltet, womit in Westdeutschland zunächst eine rein kommunale Struktur (je nach den herkömmlichen Polizeistrukturen der Besatzungsmächte) und die Abgabe von reinen Ordnungsaufgaben (an die neu geschaffenen Ordnungsämter) einherging. Aufgaben der „politischen Polizei“ gingen später an die Verfassungsschutzämter über. An dieser „Entpolizeilichung“ der öffentlichen Ordnung änderten dann auch die neu geschaffenen Bundesländer zunächst nichts, begannen aber bald die Polizei wieder zu verstaatlichen und der kommunalen Zuständigkeit zu entziehen. Auch mit der zunächst vorgenommenen Entwaffnung der Polizei hatte es schon bald ein Ende: Der Korea-Krieg führte die Gefahr kommunistischer Umstürze vor Augen, gegen die die BRD sich auch ohne Hilfe der Alliierten zur Wehr setzen können sollte.
1950 erlaubten die West-Alliierten den Bundesländern den Aufbau einer Bereitschaftspolizei von insgesamt 15.000 Mann, 1951 wurde der Bundesgrenzschutz aufgebaut, zu dessen Aufgaben auch die Bekämpfung „bewaffneter Banden“ aus dem Osten und kommunistischer Umsturzversuche gehörte.
Kritisiert wurde häufig – und zurecht – der Rückgriff auf Nazis zum Aufbau der Polizei, selbst solcher, die im Rahmen der „Entnazifizierung“ aus dem Dienst entlassen worden waren (die „131er“). Bei aller berechtigten Empörung gerät dabei aus dem Blick, dass der Rückgriff auf die Polizeikonzepte der Weimarer Republik in Ausbildung und Einsatzkonzeption schon schlimm genug war. Getragen wurde er von jenen Jahrgängen, die schon in der Weimarer Republik der Polizei angehört hatten und als ehemalige Wehrmachtsoffiziere Ausbildung und höhere Dienstgrade übernahmen – ganz so wie nach dem Ersten Weltkrieg.
Vorherrschend blieb so bis weit in die 1960er Jahre eine Polizeiphilosophie, die Demonstranten nur als staatsfeindliche Masse und Ruhestörer sah, gegen die mit aller Härte vorgegangen werden musste. Die Polizeiführer dieser Zeit sahen darin einen „erzieherischen Auftrag“ – und auch in der Polizeiausbildung stand dieser „Auftrag“ im Mittelpunkt.
Diese Ausbildung fand nun unter den Bedingungen militärähnlicher Kasernierung statt. Die Polizeischüler besuchten zunächst ein Jahr die Polizeischule, wobei sie militärischem Drill und Unterordnung unter die Vorstellungen ihrer Ausbilder von Ordnung, Sauberkeit, Selbstzucht und Männlichkeit unterworfen waren. Ein paar stehengebliebene Bartstoppeln oder ein Kekskrümel im Uniformaufschlag konnten schon die Streichung des Wochenendurlaubs und Verbleib in der Kaserne bedeuten. Das erste Jahr der Ausbildung in der Schule waren geprägt von exerziermäßigen Übungen, „Körperertüchtigung“, Geländeübungen – alles orientiert am Ziel, in möglichen „Bürgerkriegen“ bestehen zu können. Nach dem ersten Jahr erfolgte der Einsatz in der Bereitschaftspolizei unter fortgesetzter Kasernierung. Danach folgte dann die Tätigkeit in den Polizeirevieren, um dort die eigentliche, praktische Polizeiarbeit zu erlernen. Bis zum Beginn der 1950er Jahre war diese Ausbildungszeit erst nach fünf Jahren beendet und es erfolgte der Einsatz in der Schutzpolizei (und auch erst dann durfte geheiratet werden). Aufgrund des immer drängender werdenden Personalmangels wurde diese Ausbildungszeit immer weiter verkürzt. Bei der Kasernierung und dem Einsatz in der kasernierten Bereitschaftspolizei blieb es jedoch bis in die 1970er Jahre hinein.
Auch in der Ausstattung blieb die Polizei in der BRD dem militaristischen Vorbild der Weimarer Republik treu. Zur Aufstandsbekämpfung wurden Maschinengewehre, Handgranaten, Panzerfäuste und Granatwerfer vorgehalten, der Bundesgrenzschutz verfügte sogar über Flugabwehrkanonen. Dass diese Bewaffnung schließlich aufgegeben wurde, hatte jedoch nicht in erster Linie mit der Modernisierung und Zivilisierung von Polizeiausbildung und -arbeit zu tun: mit dem Inkrafttreten der Notstandsgesetze 1968 wurde der Einsatz der Bundeswehr zur Aufstandsbekämpfung im Innern verfassungsrechtlich abgesichert. Damit endeten auch die Debatten über die Verleihung des „Kombattantenstatus“ an die Schutzpolizei. Schon im selben Jahr beschloss die Innenministerkonferenz (IMK), die Granatwerfer bei den Bereitschaftspolizeien der Länder zu verschrotten. Ende der 1970er Jahre, mit Umsetzung des in der IMK 1977 vereinbarten „Musterpolizeigesetzes“, schafften die Bundesländer auch Maschinengewehre und Handgranaten ab.
Gleichzeitig blieb es nicht nur bei Knüppeln und Handfeuerwaffen für die Polizeibeamten. Mit der RAF und anderen terroristischen Gruppierungen trat eine Bedrohung auf, der mit entsprechender Bewaffnung begegnet werden sollte. Flächendeckend wurden, jedenfalls in einer Mehrzahl der Bundesländer, Polizeiwachen oder Streifenwagen mit Maschinenpistolen (Einzelschussabgabe) ausgerüstet. Zunächst die Bereitschaftspolizeien, heute lediglich noch Spezialeinsatzkräfte (GSG 9, SEK) erhielten automatische Gewehre, mit denen auch Salven abgegeben werden können. Anders als bei breit streuenden Maschinengewehren geht es bei halbautomatischen Maschinenpistolen und automatischen Gewehren gerade um gezielte Schüsse auf den Gegner. Der gezielte (tödliche) Eingriff ist das taktische Leitbild seit den 1970er Jahren, nicht der Bürgerkrieg. Die Neuanschaffungen der vergangenen Jahre waren also weniger Ausdruck einer (Re-)Militarisierung der deutschen Polizei, als vielmehr willkommener Anlass einer Modernisierung des noch aus den 1970ern stammenden Waffenparks. Auch die larmoyante Klage über Gewaltopfer in den Reihen der Polizei – erstaunlich für eine Institution, für die Gewaltausübung zum Beruf gehört – hat nichts mehr mit dem militaristischen Totenkult zu tun, wie er bis in die 1970er Jahre etwa an der Hamburger Blutbuche noch verbreitet war.
Diese Zivilisierung der Polizei kann selbstverständlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie weiterhin ihrem Wesen nach auf die auch gewaltsame Durchsetzung der wirtschaftlichen und politischen Ordnung ausgerichtet ist. Sie bleibt auch nach innen eine autoritäre Institution, die entsprechende Charaktere anzieht (siehe den Beitrag von Alex Kleiß). Die Frage nach einer Gesellschaft, die ohne eine solche Institution auskommt, bleibt deshalb auf der Tagesordnung.