Die Mischung macht's

Bombodrom-Bewegung zwischen Protest und Widerstand

von Ulrike LaubenthalHans-Peter Laubenthal

Ganz zu Beginn der Geschichte der FREIen HEIDe wurde die Aktionsform „Protestwanderung“ geboren. Weg und Ziel waren eins: Es ging darum, die schöne Natur in der Kyritz-Ruppiner Heide in friedlicher Weise erleben zu können. 117 Protestwanderungen fanden in 17 Jahren statt; dazu kamen die jährliche „Wasserdemo“ und die „Drachendemo“ der Aktionsgemeinschaft Freier Himmel sowie einige große Protestdemonstrationen der Unternehmerinitiative „Pro Heide“.

Neben diesem Protest gab es in den Dörfern und Städten rund um das Bombodrom von Anfang an die Bereitschaft, sich zu nehmen, was man forderte. Viele haben das ehemalige Bombodrom-Gelände betreten, um Pilze zu sammeln, Wegstrecken abzukürzen oder einen Spaziergang durch die blühende Heide zu genießen. Ob sie im Falle einer Begegnung mit Feldjägern oder Wachschutzpersonal die Diskussion suchten oder hinterm nächsten Busch verschwanden, haben sie „nach Tagesform“ entschieden. Diese Nichtkooperation mit dem Regelwerk der Militärs ist auch als politisches Handeln zu sehen – ein Ungehorsam, der nicht den Kriterien eines offenen und öffentlichen, gewaltfreien Zivilen Ungehorsams entspricht, aber dennoch eine Form von Widerstand ist.

Sommeraktionstage
Seit 1992, also von Beginn der Bewegung für eine FREIe HEIDe an, fanden jährlich im Sommer die „Sommeraktionstage“ statt. Inspiriert und weitgehend getragen von einer Gruppe aus dem Spektrum der gewaltfreien Aktionsgruppen, der „Freie Heide Gruppe Neuruppin-Berlin“, waren sie ein Anlaufpunkt für gewaltfreie AktivistInnen aus ganz Deutschland und anderen Ländern, sowie für Jugendliche aus der Region. Die „älteren Semester“ aus der Bürgerinitiative nahmen nicht am Camp teil, einige kamen aber zu Info- und Diskussionsabenden. Oft stand am Abschluss eine Protestwanderung. Im Laufe der Jahre gingen von den Sommeraktionstagen zahlreiche fantasievolle Formen gewaltfreien Widerstands aus. Sie waren im Prinzip angelehnt an das zentrale Motiv der Bewegung, das schon in den Protestwanderungen seinen Ausdruck fand: Wir möchten in Frieden diese schöne Landschaft genießen können. Die Aktionen Zivilen Ungehorsams gingen hier im wahrsten Sinne des Wortes ein paar Schritte weiter: Sie endeten nicht an der Platzgrenze, sondern führten auf den Platz. Dort wurde gewandert und Rad gefahren, es wurden sportliche Wettkämpfe ausgetragen, es gab klassische Konzerte, es wurden Windspiele errichtet und Friedensmahnmale gebaut. In einem Jahr kletterten AktivistInnen auf einen ehemaligen sowjetischen Kommandoturm, malten ihn rosa an und erklärten ihn zum „Pink Point Tourismuscenter“. Im Jahr 2006 brachten TeilnehmerInnen zusammen mit dem Neuruppiner Bildhauer Hermann Degener (Jahrgang 1930) und unter Mithilfe weiterer Ortsansässiger dessen von der Bundeswehr zuvor vom Bombodrom-Gelände entferntes Mahnmal für die Opfer eines Massakers am 1. Mai 1945 zurück an seinen ursprünglichen Ort.

Der Widerstand wird intensiver
Im Jahr 2003 ordnete der damalige Verteidigungsminister Struck die Inbetriebnahme des Luft-Boden-Schießplatzes an. Die Empörung war groß. Deshalb wurde bei den Sommeraktionstagen die Kampagne „200 Gruppen in die Heide“ ins Leben gerufen. Die Idee: 200 Kleingruppen sollten sich verpflichten, an jeweils einem Tag im Jahr das Bombodrom-Gelände zu betreten, um so mit ihren Körpern militärischen Übungen im Weg zu sein.

Die Kampagne war nicht besonders erfolgreich; sie setzte die Existenz von aktionsfähigen Gruppen voraus, während viele der aktionsbereiten Menschen nicht in Gruppen eingebunden waren. Allerdings gab es von Seiten der koordinierenden „Freie Heide Gruppe Neuruppin-Berlin“ auch keine konsequente und durchdachte Arbeit mit diesen Aktionen. So erfuhren die Aktionsgruppen wenig voneinander, die durchgeführten Aktionen wurden nicht öffentlich dokumentiert, und das Konzept wurde mehr oder weniger aufgegeben, bevor es noch richtig angelaufen war. Es fehlte auch eine Art Übereinkunft oder Aktionskonsens, der es ermöglicht hätte, zu definieren, welche Aktionen innerhalb oder außerhalb dieser Kampagne stattfanden. So führte eine Gruppe Sabotageaktionen auf dem Gelände durch, die zu sehr viel Aufregung und Empörung in der Region führten, weil lokale AktivistInnen zu Unrecht verdächtigt und verhört wurden. Vor diesem Hintergrund entstand vor Ort eine verständliche Zurückhaltung, was nicht näher definierte „Aktionen“ von Auswärtigen anging. Die AktivistInnen vor Ort wollten andererseits den angereisten Gruppen nicht vorschreiben, wie sie ihre Aktionen gestalten sollten. 

Im Jahr 2004 – die Sache war inzwischen mal wieder vor Gericht, und mit einer baldigen Entscheidung wurde gerechnet – entstand wiederum im Zusammenhang mit den Sommeraktionstagen die „Kampagne Bomben Nein – Wir gehen rein“. Sie war die individualisierte Variante der „200 Gruppen“: Über 2.000 Menschen erklärten mit ihrer Unterschrift, dass sie das Gelände betreten würden, wenn das Militär mit dem Üben anfangen würde. In dieser Kampagne kamen die Erfahrungen einer gewaltfreien Bewegung mit Kampagnenarbeit, Selbstverpflichtungserklärungen und Zivilem Ungehorsam zusammen mit dem Mut und der Wut der AnwohnerInnen, die entschlossen waren, sich ihre Heide nicht noch einmal nehmen zu lassen. Fast alle AnwohnerInnen in den umliegenden Dörfern unterzeichneten diese Erklärung. Einige von ihnen sahen sehr klar: Wenn es soweit kommt, dass wir dieses Versprechen einlösen müssen, dann ist das ein Schritt in eine andere Lebensweise. Dann bestimmt der Widerstand unseren Alltag, wir müssen uns auf Sanktionen gefasst machen, das wird unser Leben grundlegend verändern. So kam der Wunsch auf, sich auf diese Situation – auch mit Trainings für gewaltfreies Handeln – vorzubereiten. Viele allerdings konnten dem nichts abgewinnen: „Wenn es soweit kommt, dann gehen wir rein“, sagten sie, „was gibt es da zu reden?“ So konnte auch die Idee, vorab Organisations- und Entscheidungsstrukturen für den Fall des Falles zu schaffen, nie wirklich Fuß fassen. Ein großer Teil der UnterzeichnerInnen wünschte sich einfach klare Ansagen der OrganisatorInnen, keine basisdemokratischen Strukturen.

Die Bewegung gegen das Bombodrom, so kann man sagen, war ein Ort der interkulturellen Begegnung. Menschen aus verschiedensten Aktionskulturen trafen sich bei den Protestwanderungen und Aktionen, bauten Vorurteile ab, rieben sich aneinander, agierten manchmal gemeinsam und manchmal nebeneinander. Der langjährige Vorsitzende der Bürgerinitiative, Helmut Schönberg, fing über lange Jahre die Spannungen zwischen den verschiedenen Teilen der Bewegung auf. Er kannte keine Berührungsängste, sprach mit allen Beteiligten und bog die Dinge so hin, dass sie für alle passten. Im Juni 2004 starb Helmut Schönberg. Die Lücke, die er hinterließ, konnte von niemandem gefüllt werden. In den letzten fünf Jahren des Bombodrom-Widerstands verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen. Vielleicht war das auch ein Pferdefuß der vermittelnden Funktion des früheren Vorsitzenden, durch die manche notwendige Auseinandersetzung vermieden worden war.

Die letzten fünf Jahre
In den Zeitraum ab 2005 fallen auch die Aktivitäten der Sichelschmiede. Die Sichelschmiede wollte eine stärkere Verbindung zwischen der Bewegung vor Ort und der bundesweiten und internationalen Friedensbewegung herstellen, eine Anlaufstelle vor Ort für Auswärtige schaffen und vor Ort Angebote für Aktionstrainings machen. Die Gründung der Sichelschmiede und ihre Präsenz in der Region ab 2006 wurde von manchen Einheimischen begrüßt, von anderen als eine Bedrohung, eine ungewollte Einmischung von außen empfunden.

Ein Konfliktpunkt im Zusammenhang mit der Kampagne „Bomben nein – wir gehen rein“ war die Frage, ab wann das Betreten des Bombodrom-Geländes sinnvoll sei. Einflussreiche Personen innerhalb der Bürgerinitiative FREIe HEIDe vertraten die Auffassung, dies sei erst dann angesagt, wenn wirklich keine anderen Mittel mehr zur Verfügung stünden. Sonst bestünde die Gefahr, dass die Bewegung keine Kraft mehr habe, wenn es darauf ankomme. Die Freie Heide Gruppe Neuruppin-Berlin und die Sichelschmiede, gingen von anderen Überlegungen aus: Wer im Fall eines Übungsbeginns das Bombodrom trotz drohender Bombenabwürfe betreten wollte, sollte sich vorher schon mit dem Gelände vertraut machen. Für AktivistInnen aus der Friedensbewegung waren das Engagement gegen das Bombodrom und die Beteiligung an der Kampagne „Bomben nein“ Mittel, um gegen die Vorbereitung und Durchführung von Kriegseinsätzen der Bundeswehr aktiv zu werden. Dabei war der Ernstfall schon gegeben und unabhängig vom Stand des Gerichtsverfahrens in Sachen Bombodrom.

Ähnlich liefen die Konfliktlinien bei der Bombodrom-Besiedelung im Rahmen der Proteste gegen den G8-Gipfel 2007. In der Bürgerinitiative FREIe HEIDe gab es nach kontroverser Diskussion einen Beschluss, sich nicht an der Aktion zu beteiligen. Dahinter stand u.a. die Sorge, die Aktion könne zu einer Eskalation zum falschen Zeitpunkt führen, die in Zukunft Menschen von einer Beteiligung abschrecken könne. Die Einladung, dennoch bei den Planungen präsent zu sein und ihre Bedenken einzubringen, lehnte die BI ab. Die Sichelschmiede griff die Bedenken aus der Region auf und brachte sie in die Planungen des Bündnisses „No War – No G8“ ein, und es entstand eine wohlüberlegte, gut vorbereitete Aktion gewaltfreien Zivilen Ungehorsams. Doch die „Besiedelung“ am 1. Juni 2007, ein Highlight des Bombodrom-Widerstands, fand ohne offizielle Beteiligung der Bürgerinitiative FREIe HEIDe statt. Die lokale Bevölkerung war bei dem Ereignis dennoch gut vertreten.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Manche Chance für fruchtbare Auseinandersetzungen und gegenseitiges Voneinander-Lernen mag ungenutzt verstrichen sein. Die Bewegung für eine freie Heide ist aber insgesamt ein Beispiel für ein erfolgreiches Zusammenspiel zwischen Aktiven aus unterschiedlichen Protestkulturen. 

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Ulrike Laubenthal betreibt in Zempow am Rande des ehemaligen Bombodroms die "Sichelschmiede - Werkstatt für Friedensarbeit in der Kyritz-Ruppiner Heide" (www.sichelschmiede.org). Sie ist seit den 1980er Jahren in der Friedensbewegung aktiv.
Hans-Peter Laubenthal betreibt in Zempow am Rande des ehemaligen Bombodroms die "Sichelschmiede - Werkstatt für Friedensarbeit in der Kyritz-Ruppiner Heide" (www.sichelschmiede.org). Er ist seit den 1980er Jahren in der Friedensbewegung aktiv.