Bonhoeffer darf nicht für den Beschluss von Kriegseinsätzen in Anspruch genommen werden

von Dietrich-Bonhoeffer-Verein
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Am 6.12.01 kritisierte der Dietrich-Bonhoeffer-Verein in einer Presemitteilung die Äußerung des Fraktionsvorsitzenden der SPD, Dr. Peter Struck, anlässlich der Bundestagsdebatte vom 16. November 01. Das FriedensForum dokumentiert die Pressemitteilung leicht gekürzt.

In der Bundestagsdebatte am 16. November 2001 berief sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Peter Struck an hervorgehobener Stelle auf Dietrich Bonhoeffer. Seine Ausführungen über die "zu Ende gehenden Bombardierungen" von Landesteilen und Siedlungen Afghanistans und über die für die deutsche Politik unaufgebbare "Bündnissolidarität" mit der Militärmacht USA beschloss er mit einem Zitat aus Bonhoeffers berühmtem Buch "Widerstand und Ergebung". Peter Struck fühlte sich dazu angeregt durch einen sehr persönlichen Brief Erhard Epplers an die Abgeordneten der Koalition. Mit seinem Vorgehen hat Peter Struck daraus einen öffentlichen Appell im Parlament zur Beteiligung Deutschlands am Afghanistan-Krieg werden lassen. Dagegen wendet sich der Dietrich-Bonhoeffer-Verein. Er sieht in diesem Vorgehen eine irreführende Inanspruchnahme des Lebenswerkes und des Martyriums von Dietrich Bonhoeffer.

Das Zitat lautet: "Die letzte verantwortliche Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine kommende Generation weiterleben soll" (Widerstand und Ergebung, Neuausgabe München 1970, S. 16). Wir sind im Unterschied zu Peter Struck der Auffassung, dass die Berufung auf Bonhoeffer nicht in willkürlichem Zusammenhang erfolgen kann, schon gar nicht bei Kriegseinsätzen gegen entfernte Länder. Durch den im Parlament geschehenen Gebrauch dieses Satzes in Verbindung mit der Entsendung von Tausenden deutscher Soldaten zu Kampfeinsätzen nach Zentralasien wird nämlich der Appell des Pazifisten Bonhoeffer geradezu in sein Gegenteil verkehrt. Denn schon 1934 wandte sich Bonhoeffer vehement gegen jede Aufrüstung und Militarisierung deutscher Politik, z.B. mit dem Satz "Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit". Die Kirche habe gerade deshalb ihren Mitgliedern die Waffen aus der Hand zu nehmen, weil wirklicher Friede nur durch Vertrauen schaffende Gerechtigkeit zu erringen sei.
 

Zum besseren Verständnis des von Peter Struck im Bundestag angeführten Zitates: Es stammt aus einem Text des noch im April 1945 auf Regierungsbefehl ermordeten Dietrich Bonhoeffer, gerichtet an höchst gefährdete Freunde, mit denen er im aktiven Widerstand gegen Hitler verbunden war. Der Text befasst sich mit Überlegungen zu der Frage, warum bei den Deutschen ein Mangel an Zivilcourage zu beobachten sei. Zur ethischen Tradition der Deutschen gehöre es, "lieber dem Befehl von,oben` als dem eigenen Gutdünken zu folgen." Im Dritten Reich sei die Bereitschaft zum Gehorsam missbraucht worden. Unter den Bedingungen einer Diktatur musste es "sich herausstellen, dass eine entscheidende Grunderkenntnis den Deutschen noch fehlte: die von der Notwendigkeit der freien, verantwortlichen Tat auch gegen Beruf und Auftrag".

Zum engeren Kontext des in Anspruch genommenen Zitates ist daran zu erinnern, dass Bonhoeffer in diesem Zusammenhang das Hitlerreich mit seiner Betonung militärischer Tradition und zugleich die Heldenverehrung mit der fatalistischen Opferungsethik des preußisch-deutschen Imperialismus, also den Kult des "Sieges oder heroischen Untergangs", im Blick hatte. Dieses Ausweichen vor der Problematik des "gemeinsamen Lebens" in den privaten oder öffentlichen Kult des Heroischen sieht er aus christlicher Sicht als genauso verantwortungslos an wie die verbreitete Flucht aus der Verantwortung in den Opportunismus der "Selbstpreisgabe und Kapitulation angesichts des Erfolges" von Lüge und Ungerechtigkeit in der Welt. Ethischer Maßstab bleibt für ihn die konstruktive Arbeit an den Lebensbedingungen der Zukunft. Dies drückt er aus mit dem Hinweis: "Die letzte verantwortliche Frage ist ... wie eine kommende Generation weiterleben soll".

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