Boom für taktische Atomwaffen in den USA

von Regina Hagen

"Das war ein gutes Jahr für uns", gab selbst Linton Brooks zu. Und aus seiner Sicht hat der Verwalter der NNSA (National Nuclear Security Administration, die dem US-Energieministerium unterstellte nationale Behörde für nukleare Sicherheit) recht: Er hat im wesentlichen gekriegt, was er wollte.

Das dem Atomwaffenkomplex gewidmete Budget des Verteidigungs- und des Energieministeriums sieht für 2004 erhebliche Mittel vor, um das riesige US-Atomwaffenarsenal nicht nur aufrecht zu erhalten ("die Sicherheit und Zuverlässigkeit gewährleisten", heißt das im US-Jargon), sondern ermöglicht auch Forschung, Entwicklung und Bau neuer taktischer Atomwaffen.

Insgesamt 6,4 Mrd. US-Dollar gab US-Präsident George W. Bush mit seiner Unterschrift unter den Haushalt 2004 für den Atomwaffenkomplex frei. Neben der sogenannten "Bestandsicherung", in der sich selbst schon zahlreiche Forschungsprogramme verstecken (z.B. Computersimulationen und Labortests), können jetzt insbesondere die folgenden Aktivitäten verfolgt werden:

Bunkerbrechende Atomwaffen
7,5 Millionen US-Dollar dürfen für Untersuchungen ausgegeben werden, wie vorhandene taktische Atomwaffen zu "Bunkerknackern" aufgerüstet werden können. In Frage kommen die Atombombentypen B83 und B61-11. Die B61-11 ist bereits als "erdeindringende" Waffe konzipiert, hat eine variable Sprengkraft von 0,3-340 Kilotonnen und kann sich vor der Explosion je nach Bodenbeschaffenheit 3-10 m in die Erde graben. Die ebenfalls freifallende B83 hat sogar eine Zerstörungskraft von 1 Megatonne.

In beiden Fällen soll die Tiefe der Erdeindringung durch ein urangehärtetes Gehäuse erhöht werden. Die behauptete bunkerbrechende Wirkung (in hunderten Meter Tiefe mehrere Meter Stahlbeton durchschlagen) ist nach Aussagen von Wissenschaftlern allerdings nicht realisierbar. Daher ist auch die angestrebte "Eindämmung" der Atomexplosion pure Illusion. Durch die Zündung dieser Bomben unter der Erde würde im Gegenteil besonders viel Erde und Staub in die Luft geschleudert, der sich als radioaktiver Fallout in der näheren und weiteren Umgebung niederschlagen würde.

Fortgeschrittene Konzepte
Für 6 Millionen US-Dollar dürfen Studien zu neuen Atomwaffen, darunter auch Mini-Atomwaffen, durchgeführt werden, 4 Millionen bedürfen allerdings der gesonderten Freigabe durch den US-Kongress.

Die Neuentwicklung von Atomwaffen mit besonders kleiner Sprengkraft - zwischen 0,1 und weniger als 5,0 Kilotonnen - war seit 1994 durch einen Gesetzeszusatz zum Verteidigungshaushalt verboten, dieser wurde jetzt aber vom Kongress aufgehoben. Die Hoffnung ist, durch die Minimierung von Nebenschäden beim Militär und der US-Bevölkerung Vorbehalte gegen Atomwaffen ("Selbstabschreckung") abzubauen und somit den Einsatz von Atomwaffen praktisch zu ermöglichen. Als Einsatzziele werden häufig unterirdische Kommandozentralen, Bio- und Chemiewaffenanlagen und ähnliche Vorrichtungen genannt. Dafür wäre aber aus technischen Gründen die Koppelung mit einem bunkerknackenden Mechanismus nötig. Selbst bei 1 Kilotonne hätte der Bombenkrater noch etwa die Größe von Ground Zero des World Trade Center, und es bestünde die Gefahr, dass die biologischen oder chemischen Agenzien aus dem Bunker in die Umgebung freigesetzt werden.

Fertigung von Plutoniumkernen
Bis zum Jahr 2018 soll für die jährliche Fertigung von 125-900 neuen Plutoniumkernen die Modern Pit Facility aufgebaut werden. Begründet wird dies damit, dass die Kerne der vorhandenen Atomwaffen aufgrund des natürlichen radioaktiven Zerfalls im Laufe der Zeit altern und sich im Plutonium Gasblasen bilden, die die Wirksamkeit der Waffen beeinträchtigen. Folglich würden für die Bestandserhaltung neue Bombenkerne benötigt. Bei einer Jahresproduktion von 900 Kernen wären allerdings die im amerikanisch-russischen SORT-Vertrag vom Mai 2002 vereinbarten maximal zulässigen 1.700-2.200 strategischen Sprengköpfe schon abgedeckt. Offen bleibt daher, welche Pläne die USA darüber hinaus hegen, zumal der SORT-Vertrag ohne Nachfolgeregelung im Jahr 2012 ausläuft.

Erhöhte Testbereitschaft
Bereits im vergangenen Jahr beschlossen die USA, die Vorbereitungszeit für Atomwaffentests auf 24-36 Monate herabzusetzen. Der neue Haushalt sieht nun Mittel vor, um die Testbereitschaft innerhalb von 24 Monaten sicherzustellen.

Seit 1992 hält sich die US-Regierung an ein freiwilliges Moratorium, das eigentlich in den - von der Regierung Bush jr. abgelehnten - umfassenden Teststoppvertrag (1996) münden sollte. Inzwischen wird das Testgelände in der Wüste von Nevada so hergerichtet, dass 24 Monate nach einer entsprechenden Entscheidung des Präsidenten wieder Tests durchgeführt werden könnten. Da über das Verhalten und die Auswirkungen von Mini-Atomwaffen und Bunkerknackern relativ wenig gesicherte Daten vorliegen, ist die Versuchung, nach Abschluss der Neuentwicklungen diese auch zu testen, eventuell groß.

Vorreiter für nukleare Aufrüstung
Sorgen um die Folgen all dieser Forschungsanstrengungen macht sich NNSA-Verwalter Brooks nicht. "Im Moment geben wir nicht mal ein Zehntel Prozent unseres Waffenbudgets für solche konzeptionellen Überlegungen aus", wiegelt er Sorgen ab, dass die USA der Weltgemeinschaft ein bedenkliches Beispiel geben.

Das ist allerdings eine recht einseitige Sichtweise. Seit der Regierungsübernahme durch George W. Bush haben Atomwaffen ein deutlich stärkeres Gewicht in der Militärplanung erhalten. Die Überprüfung der Nukleardoktrin (Nuclear Posture Review) vom Januar 2002 schreibt gigantische Atomwaffenarsenale auf die nächsten 60 Jahre fort und definiert neue Einsatzmöglichkeiten, auch gegen Staaten, die selbst keine Atomwaffen besitzen. Die geheimgehaltene Präsidentenanweisung NSPD-17 (National Security Presidential Directive) vom September 2002 betont das "Recht, mit überwältigenden Mitteln - einschließlich potentiell mit Atomwaffen" gegen Bio- und Chemiewaffenarsenale sogenannter "Schurkenstaaten" vorzugehen.

In Kombination mit den aktuellen Modernisierungsanstrengungen - insbesondere auch bei Trägersystemen - und der neuen Doktrin "präventiver" Angriffe zur vorbeugenden Ausschaltung von Gefahren, die in der Nationalen Sicherheitsstrategie vom September 2002 festgeschrieben wurde, schicken die USA tatsächlich ein eindeutiges Signal an die Welt. Wenn die konventionell schon haushoch überlegenen Vereinigten Staaten Atomwaffen in solcher Menge und Qualität für unverzichtbar für ihren eigenen Schutz halten, wer sollte sich dann wundern, wenn andere Länder zum selben Schluß kommen.

Für Rüstungskontrolle und die im nuklearen Nichtverbreitungsvertrag von 1970 verbindlich zugesagte vollständige nukleare Abrüstung ist in dieser Denkwelt kein Platz mehr.

A-Waffen
Was sind taktische Atomwaffen?

"Taktische" Atomwaffen werden gegen "strategische" abgegrenzt. Häufig dient zur Unterscheidung die Reichweite, die bei taktischen Atomwaffen mit weniger als 500 km angesetzt wird, während für den Einsatz strategischer Atomwaffen Langstreckenbomber oder weitreichende Raketen vorgesehen sind. Was für große Länder wie die USA oder Russland taktisch ist, kann für kleinere Staaten wie Pakistan, Israel oder Nord-Korea aber durchaus von großer strategischer Bedeutung sein.

Weiter kompliziert wird die Einordnung durch zusätzliche Merkmale wie der Sprengkraft, die bei taktischen Atomwaffen bis zu einer Megatonne reicht. Das entspricht der Zerstörungskraft bis 1.000.000 kg TNT oder dem etwa 7.500-fachen der Hiroshimabombe - zahlreiche Atomwaffen für strategische Trägersysteme liegen ebenfalls in diesem Wirkungsbereich.

Unter "taktische" Atomwaffen fallen also zahlreiche Waffentypen. u.a. Landminen, Sprengminen, Rucksackbomben, Artilleriegeschosse, freifallende Bomben, nuklear bestückte Kurzstreckenraketen und auch die jetzt geplanten Bunkerknacker und Mini-Atomwaffen.

Für taktische Atomwaffen gibt es weder Abrüstungsvereinbarungen noch zuverlässige Zahlen. 1991 gaben die Präsidenten der USA und Russlands, George Bush sen. und Michail Gorbatschow, gleichzeitig die einseitige Abrüstung ihres taktischen Arsenals bekannt. Es gibt aber keinerlei schriftliche Abkommen und damit auch keine Transparenz über Abrüstungsmaßnahmen. Experten schätzen die taktischen Arsenale wie folgt ein: China: 130; Frankreich: 350; Großbritannien: 200; Indien: 30-35; Israel: 75-200; Pakistan: 30-50; Russland: 3.400 (plus 12.000 in Reserve oder für die Zerstörung vorgesehen); USA: 1.620 (davon 150 in Europa). 65 der taktischen US-Atomwaffen sind in Büchel und Ramstein, also in Deutschland stationiert.

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Sprecherin der Kampagne "Büchel ist überall – atomwaffenfrei.jetzt“ und ehemals verantwortliche Redakteurin der Quartalszeitschrift "Wissenschaft & Frieden".