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Gegen-UNCED
Brasilianische Alternativen im Vorfeld der UN-Konferenz
vonVor die Notwendigkeit gestellt, Positionen zur Weltumwelt- und Entwicklungskonferenz 1992 in Rio zu beziehen, hat sich in Brasilien ein Forum gebildet, das den Versuch darstellt, die Szene der brasilianischen Nicht-Regierungs-Organisationen einigermaßen unter einen Hut zu bringen. Das ist nicht leicht und birgt neben der Chance, daß sich die unterschiedlichsten Bewegungen für eine gemeinsame Aktion zusammenraufen, auch die Gefahr der Kraftvergeudung.
Anfang Juni startet in Rio die große United-Nations-Show `92. Wer sich für die Feinheiten und Wortspielereien des politischen Diskurses interessiert, dem wird hier sicherlich einiges geboten werden. "Entwicklung" und "Umwelt" sind ja zur Zeit in aller Munde. Weite Bevölkerungskreise in der nördlichen Erdhälfte reagieren inzwischen sehr empfindlich auf einige ökologische Themen, während viele Länder des Südens von unvorstellbar schweren Krisen geschüttelt werden. Die gebündelte Phantasie der 60 Regierungschefs und weiterer 20.000 Teilnehmer der offiziellen Konferenz wird sich schon einiges einfallen lassen müssen, um den Eindruck zu erwecken, es werde effektiv daran gearbeitet, die Welt vor einem Infarkt zu bewahren, gleichzeitig aber an keinem einzigen der Prinzipien auch nur leicht zu rütteln, deren Konsequenzen es ja sind, die die Menschheit in den Abgrund treiben und jetzt bereits täglich unzählbare Opfer fordern.
Das NGO-Forum
Aus dem richtigen Gedanken heraus, die Diskussion "der Krise des herrschenden Entwicklungsmodells, das die ganze Menschheit, vor allem aber die Armen, bedroht", nicht allein der kreativen Propaganda der Regierungen von ca. 170 an der UNCED 92 beteiligten UN-Mitgliedstaaten zu überlassen und sich zum bloßen Publikum eines "Zirkus, wo verbale Taschenspielerei den Mangel an gelebter Praxis verbergen soll", degradieren zu lassen, haben sich in Brasilien schon im Juni 1990 etwa 40 Organisationen aus dem Spektrum der sozialen und ökologischen Bewegungen zu dem sogenannten "Nationalen Forum der brasilianischen NGOs" zusammengefunden.
Heute -- nach dem inzwischen siebten Treffen des Forums -- zählen rund 1000 im weitesten Sinne als "Nicht-Regierungs-Organisationen" zu bezeichnende brasilianische Organisationen aus einem sehr breiten Spektrum zu diesem Forum: Einer Unzahl von kleinen und kleinsten Öko-Gruppen stehen dabei solche Organisationen wie die CUT (der unabhängige Gewerkschaftsdachverband) gegenüber, die zwar Hunderttausende von Arbeitern repräsentiert, aber im Forum genauso nur eine einzige Stimme hat wie jeder der momentan aus dem Boden schießenden Umweltschutzvereine. Alternative Institute wie IBASE, CEDI, FASE und verschiedene Berufsgenossenschaften wie etwa die der Anwälte etc. gehören ebenso dazu wie Organisationen der Bewegungen der Landlosen, der Schwarzen, der Indianer, der Kinder und Jugendlichen und der Frauen, die alle in sich auch noch die verschiedensten "Tendenzen" beheimaten.
Grundpositionen und Ziele
Kleinster gemeinsamer Nenner dieses heterogenen und gelegentlich äußerst spannungsgeladenen Zusammenschlusses ist es, eine möglichst starke Gegenposition zur offiziellen UNCED aufzubauen, womit allerdings aufgrund der Zusammensetzung des Forums z.T. recht weit voneinander abweichende Vorstellungen assoziiert werden. Auf dem 4. Treffen des Forums im April 1991, an dem über 250 Organisationen teilnahmen, einigte man sich immerhin auf einige bemerkenswerte Grundpositionen, aus denen auch die beiden oben bereits angeführten Zitate stammen. Weiter heißt es da:
"Als ein Dritte-Welt-Volk, dessen Volkswirtschaft stark in den Weltkontext integriert ist, unterliegen wir den Folgen des herrschenden 'Entwicklungs'-Modells, welches die Allianz der ökonomischen Elite unseres Landes mit den internationalen Dominanz-Mechanismen beinhaltet. (...) Wir können festhalten, daß der gegenwärtige Reichtum des Nordens nur auf Kosten der Völker der südlichen Hemisphäre, so etwa des brasilianischen Volkes, gehalten werden kann. (...) Wenn wir anerkennen, daß das herrschende 'Entwicklungs'-Modell nur existiert, weil ein großer Teil der Welt unterentwickelt ist und weil das gegenwärtige Modell die Unterentwicklung reproduziert und weiter verbreitet, so müssen wir insgesamt darüber reden und nicht nur über einzelne 'Anpassungsmaßnahmen'."
Als seine drei Hauptarbeitsgebiete benannte das Forum:
1) die "Sensibilisierung und Mobilisierung der brasilianischen zivilen Gesellschaft zu Themen aus dem Bereich Umwelt und Entwicklung", 2) die "Einflußnahme auf die offizielle Konferenz" und 3) die "aktive Beteiligung an den parallelen Ereignissen". Bei der Konkretisierung dieser drei allgemeinen Vorgaben zeigen sich allerdings bereits sehr starke Differenzen, die innerhalb des Forums schon zu einigen Zerreißproben geführt haben und so kräftezehrend sind, daß sie das erste Ziel -- nämlich den Aufbau einer Gegenöffentlichkeit -- etwas in die Ferne gerückt haben. Das Forum ist zeitweise so stark mit sich selbst beschäftigt, daß es der Regierung Collor, deren Stärke vor allem die politische Propaganda ist, nicht schwer fällt, mit geschickter Rhetorik und einigen Handlungen eher symbolischen Charakters zentrale Themen der sozialen und ökologischen Bewegung zu besetzen.
Die tiefe Depression nach der Wahlniederlage Lulas im Dezember 1989 ist inzwischen zwar mühsam überwunden worden, doch ist die Diskussion eines gesamtgesellschaftlichen Gegenentwurfes -- der eben das Ganze in Frage stellt und sich nicht auf Nebenschauplätze einzelner Maßnahmen abdrängen läßt -- noch längst nicht wieder mit der Überzeugungs- und Begeisterungskraft in der brasilianischen Öffentlichkeit präsent wie noch vor zweieinhalb Jahren. Von einer mit der UNCED in Verbindung stehenden Mobilisierung der brasilianischen Gesellschaft läßt sich allerdings auch insofern überhaupt nicht sprechen, als die Sorgen der brasilianischen Bevölkerung sich zur Zeit darauf konzentrieren, das tägliche Überleben als solches erst einmal sicherzustellen. Im Vordergrund steht ohne Zweifel die "soziale Frage", und die "ECO 92", wie die UNCED in Brasilien genannt wird, hat im Bewußtsein der Leute (nicht ganz zu Unrecht) vor allem den Charakter einer "Öko-Konferenz".
"Ökos" gegen "Melonen"
Diese Trennung von sozialer und ökologischer Thematik wirkt sich bis in das Forum hinein aus. Da mögen sich die Organisationen, die man grob zum "Entwicklungslager" (im Unterschied zum "Ökolager") rechnet, noch so sehr bemühen, die Mehrheit des Forums davon zu überzeugen, daß die Ursachen und entsprechenden Strategien zur Überwindung der ökologischen Probleme nicht losgelöst von den sozialen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen verstanden werden können, es will ihnen nicht gelingen, wichtige Entscheidungen des Forums in diesem Sinne zu beeinflussen. Das Mindeste, was ihnen passieren kann, ist es, als "Wassermelonen" (außen grün -- innen rot) veräppelt zu werden.
Schwerer wiegen da schon die ständigen Abstimmungsniederlagen gegen die Überzahl von Gruppen aus den Reihen der Umweltschützer. Das geht auf Dauer an die Substanz, einige fürchten, in der unübersichtlichen Masse der Forums-Organisationen unterzugehen. Ganz abgesehen davon, daß es sich auch einige etwas dubiose "Nicht-Regierungs-Organisationen", die nicht zum NGO-Forum gehören (wie etwa die Top-Manager von vierzig multinationalen Unternehmen) nicht entgehen lassen wollen, am Rande der UNCED präsent zu sein und ihren Beitrag zur allgemeinen Verwirrung beizutragen, ist es inzwischen fast unmöglich geworden, durch die Vielzahl von "Parallelen der Parallelen" der sozialen und ökologischen Bewegungen durchzublicken.
Allerdings muß auch nicht alles, was 1992 in Brasilien passiert, unbedingt unter der engen Optik des UN-Mega-Ereignisses gesehen werden. Genauso wie manche selbstbewußte Bewegungen sich nur ungern als "Nicht-Regierungs-Organisation" und damit negativ von ihrer Beziehung zur Regierung her definieren lassen wollen, stellen sie sich nicht unter den Zwang, ihren z.T. schon jahrzehntelangen Kampf jetzt von irgendwelchen UNO-Vorgaben beeinflussen zu lassen.
Symptomatisch dafür ist eine Konferenz, die Ende Mai in Vit¢ria -- nördlich von Rio -- stattfinden wird und sich den Themen "Land -- Umwelt -- Menschenrechte" stellen wird. Sie wird von den alternativen Nobelpreisträgern des letzten Jahres (Bewegung der Landlosen und Kommission der Landpastoral -- MST und CPT) und einigen der namhaftesten sozialen Bewegungen Brasiliens wie CUT, CIMI (Indianermissionsrat), Bewegung der Menschenrechte und Pro-Central (Verband der "Movimentos Populares", deren Schwerpunkt eher im städtischen Bereich liegt) organisiert. In fünf Arbeitsgruppen wollen hier 300 Teilnehmer konkrete Strategien und Perspektiven für die Volksbewegungen diskutieren und gemeinsame Aktionen in die Wege leiten. Was das schwerfällige Forum nicht schafft und von der offiziellen UNCED überhaupt nicht erwartet wird -- vielleicht gelingt es auf Treffen dieser Art: Bewegung zu bringen in die verfahrene Diskussion über die Zukunft des blauen Planeten.
Nachdruck aus "ila" Nr. 153, März 1992
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