Gegen-UNCED

Brasilianische Alternativen im Vorfeld der UN-Konferenz

von Claudio Moser
Initiativen
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Vor die Notwendigkeit gestellt, Positionen zur Weltumwelt- und Ent­wicklungskonferenz 1992 in Rio zu beziehen, hat sich in Brasilien ein Forum gebildet, das den Versuch darstellt, die Szene der brasiliani­schen Nicht-Regierungs-Organisationen einigermaßen unter einen Hut zu bringen. Das ist nicht leicht und birgt neben der Chance, daß sich die unterschiedlichsten Bewegungen für eine gemeinsame Aktion zusam­menraufen, auch die Gefahr der Kraftvergeudung.

Anfang Juni startet in Rio die große United-Nations-Show `92. Wer sich für die Feinheiten und Wortspielereien des politischen Diskurses interessiert, dem wird hier sicherlich einiges geboten werden. "Entwicklung" und "Umwelt" sind ja zur Zeit in aller Munde. Weite Bevöl­kerungskreise in der nördlichen Erd­hälfte reagieren inzwischen sehr emp­findlich auf einige ökologische Themen, während viele Länder des Südens von unvorstellbar schweren Kri­sen geschüt­telt werden. Die gebündelte Phantasie der 60 Regierungschefs und weiterer 20.000 Teilnehmer der offi­ziellen Kon­ferenz wird sich schon eini­ges einfallen lassen müssen, um den Eindruck zu er­wecken, es werde effek­tiv daran gear­beitet, die Welt vor einem Infarkt zu be­wahren, gleichzeitig aber an keinem einzigen der Prinzipien auch nur leicht zu rütteln, deren Konsequen­zen es ja sind, die die Menschheit in den Abgrund treiben und jetzt bereits täglich unzähl­bare Opfer fordern.

Das NGO-Forum
Aus dem richtigen Gedanken heraus, die Diskussion "der Krise des herrschenden Entwicklungsmodells, das die ganze Menschheit, vor allem aber die Armen, bedroht", nicht allein der kreativen Pro­paganda der Regierungen von ca. 170 an der UNCED 92 beteiligten UN-Mit­gliedstaaten zu überlassen und sich zum bloßen Publikum eines "Zirkus, wo ver­bale Taschenspielerei den Mangel an gelebter Praxis verbergen soll", degra­dieren zu lassen, haben sich in Brasilien schon im Juni 1990 etwa 40 Organisa­tionen aus dem Spektrum der sozialen und ökologischen Bewegungen zu dem sogenannten "Nationalen Forum der brasilianischen NGOs" zusammenge­funden.

Heute -- nach dem inzwischen siebten Treffen des Forums -- zählen rund 1000 im weitesten Sinne als "Nicht-Regie­rungs-Organisationen" zu bezeichnende brasilianische Organisationen aus einem sehr breiten Spektrum zu diesem Forum: Einer Unzahl von kleinen und kleinsten Öko-Gruppen stehen dabei solche Orga­nisationen wie die CUT (der unabhän­gige Gewerkschaftsdachverband) ge­genüber, die zwar Hunderttausende von Arbeitern repräsentiert, aber im Forum genauso nur eine einzige Stimme hat wie jeder der momentan aus dem Boden schießenden Umweltschutzvereine. Al­ternative Institute wie IBASE, CEDI, FASE und verschiedene Berufsgenos­senschaften wie etwa die der Anwälte etc. gehören ebenso dazu wie Organisa­tionen der Bewegungen der Landlosen, der Schwarzen, der Indianer, der Kinder und Jugendlichen und der Frauen, die alle in sich auch noch die verschieden­sten "Tendenzen" beheimaten.

Grundpositionen und Ziele
Kleinster gemeinsamer Nenner dieses heterogenen und gelegentlich äußerst spannungsgeladenen Zusammenschlus­ses ist es, eine möglichst starke Gegen­position zur offiziellen UNCED aufzu­bauen, womit allerdings aufgrund der Zusammensetzung des Forums z.T. recht weit voneinander abweichende Vorstellungen assoziiert werden. Auf dem 4. Treffen des Forums im April 1991, an dem über 250 Organisationen teilnahmen, einigte man sich immerhin auf einige bemerkenswerte Grundposi­tionen, aus denen auch die beiden oben bereits angeführten Zitate stammen. Weiter heißt es da:

"Als ein Dritte-Welt-Volk, dessen Volkswirtschaft stark in den Weltkon­text integriert ist, unterliegen wir den Folgen des herrschenden 'Entwicklungs'-Modells, welches die Allianz der ökonomischen Elite unseres Landes mit den internationalen Domi­nanz-Mechanismen beinhaltet. (...) Wir können festhalten, daß der gegenwärtige Reichtum des Nordens nur auf Kosten der Völker der südlichen Hemisphäre, so etwa des brasilianischen Volkes, ge­halten werden kann. (...) Wenn wir an­erkennen, daß das herrschende 'Entwicklungs'-Modell nur existiert, weil ein großer Teil der Welt unterent­wickelt ist und weil das gegenwärtige Modell die Unterentwicklung reprodu­ziert und weiter verbreitet, so müssen wir insgesamt darüber reden und nicht nur über einzelne 'Anpassungsmaßnah­men'."

Als seine drei Hauptarbeitsgebiete be­nannte das Forum:

1) die "Sensibilisierung und Mobilisie­rung der brasilianischen zivilen Gesell­schaft zu Themen aus dem Bereich Umwelt und Entwicklung", 2) die "Einflußnahme auf die offizielle Konfe­renz" und 3) die "aktive Beteiligung an den parallelen Ereignissen". Bei der Konkretisierung dieser drei allgemeinen Vorgaben zeigen sich allerdings bereits sehr starke Differenzen, die innerhalb des Forums schon zu einigen Zerreiß­proben geführt haben und so kräftezeh­rend sind, daß sie das erste Ziel -- näm­lich den Aufbau einer Gegenöffentlich­keit -- etwas in die Ferne gerückt haben. Das Forum ist zeitweise so stark mit sich selbst beschäftigt, daß es der Regie­rung Collor, deren Stärke vor allem die politische Propaganda ist, nicht schwer fällt, mit geschickter Rhetorik und eini­gen Handlungen eher symbolischen Charakters zentrale Themen der sozia­len und ökologischen Bewegung zu be­setzen.

Die tiefe Depression nach der Wahlnie­derlage Lulas im Dezember 1989 ist in­zwischen zwar mühsam überwunden worden, doch ist die Diskussion eines gesamtgesellschaftlichen Gegenentwur­fes -- der eben das Ganze in Frage stellt und sich nicht auf Nebenschauplätze einzelner Maßnahmen abdrängen läßt -- noch längst nicht wieder mit der Über­zeugungs- und Begeisterungskraft in der brasilianischen Öffentlichkeit präsent wie noch vor zweieinhalb Jahren. Von einer mit der UNCED in Verbindung stehenden Mobilisierung der brasiliani­schen Gesellschaft läßt sich allerdings auch insofern überhaupt nicht sprechen, als die Sorgen der brasilianischen Be­völkerung sich zur Zeit darauf konzen­trieren, das tägliche Überleben als sol­ches erst einmal sicherzustellen. Im Vordergrund steht ohne Zweifel die "soziale Frage", und die "ECO 92", wie die UNCED in Brasilien genannt wird, hat im Bewußtsein der Leute (nicht ganz zu Unrecht) vor allem den Charakter ei­ner "Öko-Konferenz".

"Ökos" gegen "Melonen"
Diese Trennung von sozialer und ökolo­gischer Thematik wirkt sich bis in das Forum hinein aus. Da mögen sich die Organisationen, die man grob zum "Entwicklungslager" (im Unterschied zum "Ökolager") rechnet, noch so sehr bemühen, die Mehrheit des Forums da­von zu überzeugen, daß die Ursachen und entsprechenden Strategien zur Überwindung der ökologischen Pro­bleme nicht losgelöst von den sozialen, politischen und ökonomischen Rahmen­bedingungen verstanden werden kön­nen, es will ihnen nicht gelingen, wich­tige Entscheidungen des Forums in die­sem Sinne zu beeinflussen. Das Minde­ste, was ihnen passieren kann, ist es, als "Wassermelonen" (außen grün -- innen rot) veräppelt zu werden.

Schwerer wiegen da schon die ständigen Abstimmungsniederlagen gegen die Überzahl von Gruppen aus den Reihen der Umweltschützer. Das geht auf Dauer an die Substanz, einige fürchten, in der unübersichtlichen Masse der Forums-Organisationen unterzugehen. Ganz abgesehen davon, daß es sich auch einige etwas dubiose "Nicht-Regie­rungs-Organisationen", die nicht zum NGO-Forum gehören (wie etwa die Top-Manager von vierzig multinationa­len Unternehmen) nicht entgehen lassen wollen, am Rande der UNCED präsent zu sein und ihren Beitrag zur allgemei­nen Verwirrung beizutragen, ist es in­zwischen fast unmöglich geworden, durch die Vielzahl von "Parallelen der Parallelen" der sozialen und ökologi­schen Bewegungen durchzublicken.

Allerdings muß auch nicht alles, was 1992 in Brasilien passiert, unbedingt unter der engen Optik des UN-Mega-Ereignisses gesehen werden. Genauso wie manche selbstbewußte Bewegungen sich nur ungern als "Nicht-Regierungs-Organisation" und damit negativ von ih­rer Beziehung zur Regierung her defi­nieren lassen wollen, stellen sie sich nicht unter den Zwang, ihren z.T. schon jahrzehntelangen Kampf jetzt von ir­gendwelchen UNO-Vorgaben beeinflus­sen zu lassen.

Symptomatisch dafür ist eine Konfe­renz, die Ende Mai in Vit¢ria -- nördlich von Rio -- stattfinden wird und sich den Themen "Land -- Umwelt -- Menschen­rechte" stellen wird. Sie wird von den alternativen Nobelpreis­trägern des letz­ten Jahres (Bewegung der Landlosen und Kommission der Landpastoral -- MST und CPT) und ei­nigen der nam­haftesten sozialen Bewe­gungen Brasili­ens wie CUT, CIMI (Indianermissions­rat), Bewegung der Menschenrechte und Pro-Central (Verband der "Movimentos Populares", deren Schwerpunkt eher im städtischen Bereich liegt) organisiert. In fünf Ar­beitsgruppen wollen hier 300 Teilneh­mer konkrete Strategien und Perspekti­ven für die Volksbewegungen diskutie­ren und gemeinsame Aktionen in die Wege leiten. Was das schwerfäl­lige Forum nicht schafft und von der offi­ziellen UNCED überhaupt nicht erwar­tet wird -- vielleicht gelingt es auf Tref­fen dieser Art: Bewegung zu brin­gen in die verfahrene Diskussion über die Zu­kunft des blauen Planeten.

Nachdruck aus "ila" Nr. 153, März 1992

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