Brasilien: Großgrundbesitzer im Dauerkrieg gegen die Armen

von Martin Singe

"Die Gewalt nimmt immer furchtbarere und erschreckendere Ausmaße an. Alle, die an diesen kriminellen Handlungen beteiligt sind, gehen un­gestraft aus. Sogar Richter und Staatsanwälte stellen sich öffentlich und entschieden auf die Seite dieser gewalttätigen Akteure. Sie decken jene, die Arme und Wehrlose schlagen, sie festnehmen und ihre Häuser anzünden. Für Pistoleros, die gedungenen Mörder, ist es ein leichtes, aus den Gefängnissen zu entkommen, während man die Posseiros, die Kleinpächter, ihrer Freiheitsrechte beraubt." So liest man in einem Do­kument nordostbrasilianischer Bischöfe vom August diesen Jahres.

Während Großgrundbesitzer und Wirt­schaftsunternehmen ca. 90 % des Lan­des besitzen, teilen sich alle Kleinpäch­ter etwa 5 % des Landes. Werden sie vertrieben, bleibt oft nur die Flucht in die Slums an den Rändern der Millio­nenmetropolen Sao Paulo und Rio, wo sie sich ein Überleben von Tagelöhner­arbeit versprechen. Die andere Alterna­tive, der Kampf um Land, ist eine be­drohliche Alternative: Vor allem Ge­werkschafter, Bauernführer, Rechtsan­wälte und kirchliche Mitarbeiter, die in der Landlosenbewegung engagiert sind, werden systematisch ermordet. Dennoch gibt es den entschiedenen Kampf um Land.

Im Rahmen einer kleinen Pax-Christi-Delegation waren wir in diesem Som­mer in Brasilien und sind im Süden in Porto Allegre mit einer konkreten Land­konfliktgeschichte konfrontiert worden, wobei wir auch um internationale Soli­darität gebeten wurden.

Es geht um die Geschichte einer Gruppe von 600 Familien, die seit zwei Jahren unterwegs sind: Die Gruppe der Land­arbeiter befindet sich schon lange auf dem Weg des Kampfes um Land; sie hungerten, froren, wurden enttäuscht, sie erhielten viele Versprechungen. Und ihr Weg ist immer noch nicht zu Ende ..., heißt es in einer Selbstdarstellung. Meist vom Land vertrieben berufen sie sich auf die seit 1985 angekündigte Landreform, deren Durchführung von Großgrundbesitzern und Politikern im­mer wieder durchkreuzt wird. Seit 1989 besetzte die Gruppe Fazendas oder führte symbolische Besetzungen an den Straßenrändern vor Fazendas durch. Dabei wurden sie immer wieder vertrie­ben, verfolgt und mit Versprechungen betrogen. Parallel zu den Aktionen lau­fen stets Verhandlungen mit und Prote­staktionen bei den jeweils zuständigen Behörden.

Am 8. 8. 1990 kam es im Rahmen einer Demonstration bei der Landesregierung von Rio Grande do Sul in Porto Allegre zur Besetzung eines Hauptplatzes der Stadt. Bei der polizeilichen Räumung kam es zu einem Chaos; ein Militärbri­gadist, der auf eine Frau geschossen hatte, wurde selbst getötet. Aus der Gruppe der Demonstranten wurden vier Personen verhaftet und des Mordes an­geklagt, sie sitzen seit über einem Jahr bis heute in Untersuchungshaft, was ge­setzeswidrig ist. Eine Kommission von vielen Gruppen hat ein Solidaritätsko­mitee gebildet und die Unschuld der vier nachgewiesen. Zwei sind schon vor der Tatzeit festgenommen worden, die Zeugen, die teilweise verwandt oder in enger Beziehung zur Polizei stehen, wi­dersprechen sich vollkommen in den Täterbeschreibungen. Es geht um einen politischen Schlag gegen die Landlo­senbewegung und um Einschüchterung. In einer Anklageschrift heißt es: Frei­gelassen würden sie zur Teilnahme an ähnlichen Manifestationen zurückkehren ... Die Prozeßindizien verdeutli­chen, daß die zwei (Hauptangeklagten) keine Neulinge in der Organisation 'Movimento dos Sem-Terra' sind.

Und selbst der Richter, der die Lang­zeithaft ohne Prozeßergebnis angeordnet hat, schreibt in der Begründung: Die Untersuchungshaft Gowaskis und die von Amaral müssen sein, damit die Landarbeitergesellschaft es müde wird, Land zu besetzen.

Wir geben hiermit die Bitte der vier In­haftierten (Ot vio Amaral, Jos‚ C. Go­waski, Idone Bento, Augusto Moreira) um internationalen Protest weiter an un­sere LeserInnen. Protestbriefe sind vor allem zu richten an:

  • Brasilianischer Botschafter, Kennedy­allee 74, 5300 Bonn 2
  • Presidente do Brasil, Senhor Fernando Collor de Mello, Caixa Postal, 70000 Brasilia/DF, Brasil
  • Governador do Estado Rio Grande do Sul, Sr. Dr. Alceu de Deus Collares, Praca do Matriz, 90100 Porto Alle­gre/RS, Brasil.

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Hintergrund
Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".