BRD wieder im Kreis der Militärgroßmächte

von Martin Singe

Die Rückkehr der letzten deutschen Soldaten aus Somalia gibt Anlass, noch einmal zusammenfassend Bilanz zu ziehen: was waren Sinn und Ziel dieses ersten Out-of-area-Einsatzes der Bundeswehr bei einer UN-Militärintervention mit Kampfauftrag?

Der Bundesregierung ging es von An­fang an darum, mit dem Somalia-Ein­satz der Bundeswehr die salami-taktisch vollzogene Änderung des Bundeswehr­auftrags weiter zu zementieren. Nicht zufällig hat die Bundesregierung einen Tag nach dem Beschluß des Somalia-Einsatzes die offizielle Bewerbung für einen Platz im Weltsicherheitsrat abge­geben.

Ehe eine demokratisch-offene Diskus­sion in der Gesellschaft stattgefunden hat, werden Fakten geschaffen, an denen auch künftige Regierungen nicht mehr vorbei können. Der Erlass der Verteidi­gungspolitischen Richtlinien Ende No­vember 1992 und der Somalia-Einsatz sind zwei Seiten derselben dunklen Me­daille. Ohne daß eine parlamentarische Mehrheit für eine entsprechende Grund­gesetzänderung da wäre und im Wissen um die eigene Minderheitenposition in der Bevölkerungsmeinung wird die neue Militärmachtrolle festgeklopft.

Soldaten sind keine Schauerleute

Das Verteidigungsministerium hat sich von vornherein nicht an den Wünschen der UN orientiert, sondern mehr auf die Innenpolitik geschielt als auf Somalia geschaut. Die Streitigkeiten zwischen UN, Auswärtigem Amt und Verteidi­gungsministerium Anfang 1993 mach­ten dies deutlich. Das AA notierte: "Dem Verteidigungsminister geht es entweder um eine möglichst umfangrei­che, öffentlichkeitswirksame Beteili­gung oder eine völlige Abstinenz." Und als die UN die Bundeswehr für Ladetä­tigkeiten im Hafen von Mogadischu ha­ben wollte, konterte Rühe "Wir wollen ja keine Schauerleute dahin schicken."

Es ging darum, die gültige Verfassung, die von allen Regierungen bis zum Golfkrieg so ausgelegt wurde, daß out-of-area-Einsätze der Bundeswehr nicht abgedeckt sind, Stück um Stück auszuhebeln. Wenn das Verfassungsgericht in Kürze diesem Trend nachgibt, wie zu befürchten ist, ist der endgültige Umfall der SPD in dieser Frage schon progno­stizierbar.

UNOSOM gescheitert

Die UNOSOM-Mission und mit ihr der Bundeswehreinsatz sind in Bezug auf ihren Anspruch gescheitert. Ohne politi­sches Konzept gingen die UN- und US-Truppen (die stets unter US-Befehlsge­walt standen) in militärischer Interven­tionsmanier vor. Dazu trug bei, daß der Somalia-Einsatz mit einem Kampfauf­trag nach Kap. VII. der UN-Charta aus­gestattet war, ein klassischer Blauhel­meinsatz wurde erst gar nicht versucht. Immer wieder kam es zu Massakern von UN- und US-Truppen an Somaliern, vor allem Zivilisten, Frauen und Kinder wa­ren die Opfer dieser Militärattacken und Vergeltungsaktionen. Die UN-Rechts­abteilung sprach davon, daß Angriffe ohne Vorwarnung auf Gebäude mit Zi­vilisten "schlicht Mord" zu nennen sind. Die Zahl der somalischen Opfer des UN-Militär-Einsatzes schwankt zwi­schen Angaben von über 1.000 bis hin zu 10.000 - die UN haben die somali­schen Opfer nicht gezählt. Über 100 Blauhelm-Soldaten kamen um ihr Le­ben.

Die Kosten des Militäreinsatzes von UNOSOM mit ca. 1,5 Mrd. US-Dollar übersteigen die Kosten der humanitären Hilfe schätzungsweise um das 10fache.

Andere Hilfskonzepte für Somalia wä­ren möglich gewesen. Die entsprechend scharfe Kritik am Militäreinsatz seitens der Hilfs- und Entwicklungsorganisatio­nen hat dazu das Nötige ausgeführt.

Klassische Blauhelmidee wird
torpediert

Die westlichen Militärmächte versuchen gegenwärtig, bisher gültige und eta­blierte Trennlinien zwischen dem klas­sischen Blauhelmeinsatz (Waffeneinsatz nur zur persönlichen Selbstverteidi­gung, leichte Bewaffnung, Zustimmung der Konfliktparteien zum Einsatz) bewusst zu verwischen. Künftige Mili­täreinsätze sollen offensichtlich immer öfter unter UN-Legitimation durchge­führt werden. Die Art der Durchführung der Aufträge allerdings wollen die Mi­litärmächte selbst definieren. Der jüng­ste NATO-Gipfel Anfang Ja­nuar 1994, auf dem die NATO ihre Zu­ständigkeit für weltweite Einsätze be­schlossen hat, spricht nur noch von "peace support" als Einsatzform, die die bisher getrennt ge­handelten "friedenser­haltenden" und "friedensschaffenden" Maßnahmen (wie Golfkrieg) in einen Topf wirft. Das neue Weißbuch von Minister Rühe macht be­grifflich das gleiche, indem es nur von "Frie­dens­missionen" spricht.

"Out of area" muß '94 unser Thema bleiben!

Es steht zu erwarten, daß das Bundes­verfassungsgericht der bis zum Golf­krieg restriktiven Interpretation des Bundeswehrauftrags widerspricht und alle Einsätze der Bundeswehr unter Verweis auf den Anschluss an ein kol­lektives Sicherheitssystem für zulässig erklärt. Das würde der Regierung die öf­fentliche Debatte ersparen, der Wider­stand in der Bundeswehr wäre gebro­chen, die SPD würde die verbliebenen Kritiker weltweiter Bundeswehreinsätze unter Verweis auf das Verfassungsge­richt zum Schweigen bringen.

Die Friedensbewegung muß deshalb das Thema der out-of-area-Einsätze ver­stärkt in die sicherheitspolitische öf­fent­liche Diskussion bringen. Bei den Oster­märschen stand die out-of-area-Politik der Regierung im Mittelpunkt der mei­sten Kundgebungen. Weitere Aktionen und eine verstärkte gesell­schaftliche Auseinandersetzung sind dringend von­nöten!

Zivile Wege der Konfliktbewältigung und Krisenintervention sind herauszuar­beiten, in ihre Erforschung und Umset­zung ist zu investieren, eine solche Po­litik ist zukunftsträchtig und lebensför­dernd. So könnte Deutschland weltpoli­tische Verantwortung wahrnehmen!

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".