Bremen

Bremer Rüstungskonversion - eine kleine regionale Erfolgsgeschichte?

von Andrea Kolling

Großer Optimismus und eine Aufbruchsstimmung herrschten Anfang der 90er Jahre, eine Friedensdividende wurde gewünscht. Mit dem Ende des kalten Krieges bangten die Rüstungsprofiteure um ihre Pfründe und waren wie nie in einer defensiven Position. Dennoch: eine direkte Konversion – Schwerter zu Pflugscharen im biblischen Sinne - war keine Option.

Als Rüstungskonversion bezeichnet man die Umstellung industrieller militärischer Produktion auf eine zivile Fertigung, sowie die Umwandlung von militärischen Liegenschaften in eine zivile Nutzung. Der Begriff Rüstungskonversion tauchte bereits Ende der 1970er Jahre auf, doch erst Anfang der 1990er Jahre wurden praktische Handlungsoptionen vor allem für die militärisch nicht mehr gebrauchten Liegenschaften von NVA und ehemaligen Besatzungsmächten umgesetzt. Hier konnten im wiedervereinigten Deutschland durch Finanzmittel der Bundesregierung beachtliche Erfolge erzielt werden. Im kleinsten Bundesland der Republik wurde eine Kaserne zum Polizeipräsidium, eine andere ist heute eine Privatuniversität.

Ab 1991 gab es in der Rüstungshochburg Bremen ein zukunftsweisendes Programm für die Konversion militärischer Produktionskapazitäten. Als einziges Bundesland hatte Bremen einen Konversionsbeauftragten für die industrielle Konversion. Er war dem Senator für Wirtschaft unterstellt und für die Ausgestaltung und wissenschaftliche Begleitung des bremischen Konversionsprogrammes zuständig. 10 Jahre lang gab es in Bremen das Konversionsprogramm, von 1991 bis 2000. Zu Beginn war es ein großes Thema mit weitreichenden Forderungen, getragen von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis von UnterstützerInnen, Friedensbewegten, Gewerkschaften, Parteien, Betriebsräten und WissenschaftlerInnen. Vom Senat wurde ein Konversionsprogramm gefordert. „Chancen für Rüstungskonversion“ nannte sich im November 1989 der Gründungskongress für die Bremische Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung, eine politische Konsequenz nach Glasnost, mit dem der Konversionsprozess eingeläutet wurde.

Rüstungsabhängigkeit  Bremens
1989 waren neun Prozent der Arbeitsplätze des verarbeitenden Gewerbes in Bremen  direkt sowie 16% direkt und indirekt rüstungsabhängig. 12 große und mittelgroße Unternehmen waren Rüstungsbetriebe. Der bremische Rüstungssektor bestand zu 40% aus Elektronik, zu 31% aus Schiffbau und -reparatur und zu 25% aus Luftfahrzeugbau und dem Bau sonstiger Fahrzeuge  - schrieb Wolfram Elsner, der ehemalige Konversionsbeauftragte in der Broschüre „Rüstungsstandort Bremen“ vom Mai 2009. Bremen war das mit Abstand rüstungsabhängigste Bundesland. Die Forderung nach gesellschaftlich nützlichen Produkten und sozialverträglicher Rüstungskonversion waren unüberhörbar. Der Senat beschloss ein industriepolitisches Programm, das zur Hälfte aus EU-Geldern gespeist wurde, d.h. zu jeder D-Mark des Senats kam eine D-Mark aus dem EU-Strukturfonds. Die EU-Mittel wurden gewährt, da Bremen auch EU-weit die dritthöchste rüstungsindustrielle Konzentration hatte und eine konkrete Gefährdung der vorhandenen Arbeitsplätze durch den Rückgang der Bundesaufträge gegeben war. Zusätzlich war der Standort Bremen durch die alte Werftenstruktur vorbelastet.

Instrumente des Bremer Konversionsprogrammes waren u.a. ein breit aufgestellter Beraterkreis und damit die Einbeziehung einer breiteren Öffentlichkeit, um die Umsetzung des Programms zu begleiten, sowie eine ressort-übergreifende Steuerungsgruppe. Die Bremische Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung war im damaligen Beraterkreis zusammen mit betrieblichen Vertrauensleuten, Betriebsräten, einzelnen Politikern und Unternehmern, Wissenschaftlern und Friedensbewegten vertreten. Diese Begleitung der Umstrukturierung ist ein Paradebeispiel einer funktionierenden Zivilgesellschaft, eines  wünschenswerten demokratischen partizipatorischen Prozesses. In Gewerkschaftskreisen Bremens gab es lange vorher eine Konversionsdiskussion im Rahmen der allgemeinen Abrüstungsdebatte, so war umfangreiche Expertise vorhanden, und es konnten konkrete Konversionsprojekte vorgeschlagen werden. 

Zwischen 1992 und 2001 gab es in den Bremer Rüstungsunternehmen über 60 betriebliche Umstrukturierungsprojekte. Von den 12 Bremer Rüstungsunternehmen bezogen zehn Fördermittel über das Bremer Konversionsprogramm. Besonderheiten des bremischen Stadtstaates waren kurze Entscheidungswege und starke in der immer noch regierenden SPD verankerte Gewerkschaften. Ganz wichtig war, dass die Unternehmen damals ihren Hauptsitz in Bremen hatten und damit ein stärkeres Interesse, weiter in der Region zu bleiben.

Kernpunkt war eine Modernisierung der Rüstungsbetriebe durch technologische Innovationen im effektiveren, billigeren dual-use Bereich, ohne die Arbeitsplätze zu vernichten. Ziel dieses gesteuerten Strukturwandels war, technische Fähigkeiten und arbeitsorganisatorische Zusammenhänge zu erhalten. Der Produktivitätsschub durch die Innovationen führte jedoch auch zu einer Reduktion der Mitarbeiterzahlen, einem gar nicht beabsichtigten Arbeitsplatzabbau. Der Statistik nach haben laut Wolfram Elsner zwischen 1992 und 2000 fast ein Drittel der Rüstungsbeschäftigten ihren Rüstungsarbeitsplatz verloren. Sie konnten jedoch durch innerbetriebliche Konversion in den zivilen Bereich überführt werden. Nach Elsner bedeutet dies, dass in Bremen fast 15% aller rüstungsabhängigen Arbeitsplätze von 1990 bis zum Jahr 2000 konvertiert wurden. Ein Erfolg? Zumindest sind in der zweiten Hälfte der 90er Jahre durch das Konversionsprogramm weniger Rüstungsarbeiter entlassen worden.

Heute
Vom kleinsten Bundesland wird gemeinhin neben den Bremer Stadtmusikanten und Werder Bremen nur seine komplette Verarmung wahrgenommen. Nicht in das Raster passt da der Konversionsprozess in Bremen, ein kleiner Leuchtturm eines zivilgesellschaftlichen Prozesses: eine geordnete Umstrukturierung und ein weit und breit einzigartiges Beispiel sowie ein Beweis kollektiver Handlungskompetenz gegen individuelle kurzfristige Unternehmerentscheidungen. Ein Beispiel, das allerdings auch in Bremen fast in Vergessenheit geraten ist. Rein faktisch gibt es weder quantitativ noch nachhaltig Konversionserfolge. Keine high-tech Rüstungsgüter wurden in sinnvolle Gebrauchsgüter konvertiert. Im Gegenteil: heute nutzt das Militär zivile Entwicklungen zur modernen Kriegführung, ohne kostspielige Forschung betreiben zu müssen, eine Art spin-in mit öffentlichen Geldern hat sich entwickelt. Erst wird die Umstellung zum Zivilen finanziert, das dann später in den militärischen Bereich eingegliedert wird. 

Doch es gab noch mehr Probleme und Hindernisse: vor allem die veränderten Rahmenbedingungen. Bereits Mitte der 90er Jahre war die Euphorie für Abrüstung und Friedensdividende passé und die Rüstungsproduzenten befanden sich wieder in einer komfortablen Position. Es gab neue Rüstungsaufträge der Bundesregierung, und die Firmen warben offensiv für mehr Exporte. Für Bremen machte sich der damalige Senatspräsident Henning Scherf für die Eurofighter-Produktion stark, obgleich er Gründungsmitglied der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion war. 

Ein großes Problem für die Militärproduktion waren die geringen Marktchancen für neue zivile Produkte; denn es gibt heute per se industrielle Überproduktion und gesättigte Märkte. Dazu kommen strukturelle Hindernisse der Rüstungsproduktion, z.B. hohe Qualitätsanforderungen, d.h. eher Klasse statt Masse, und der Preis wird jeweils verhandelt und während der Produktion nachverhandelt, so dass Rüstungsprodukte bei Lieferung fast immer teurer sind als bei Auftragsvergabe beschlossen. Die Hersteller von Rüstung sind von ihrer inneren Struktur her, neben Geheimhaltungsvorschriften, prinzipiell nicht auf einen allgemeinen Markt ausgerichtet. Die Käufer, in der Regel Regierungsvertreter, sagen, was sie wollen, und das wird gebaut.

Eindeutiges Desinteresse am Konversionsprozess hatten die Handelskammer und die Arbeitgeberverbände. Die Inhaber der nicht staatlichen Rüstungsbetriebe nahmen die staatlichen Gelder und gliederten zivile Entwicklungsbereiche aus. Sie  mutierten peu à peu zu reinen Rüstungsfirmen.   

Und heute wird in Bremen nach wie vor Rüstung in großen Umfang produziert. Der ehemalige Konversionsbeauftragte Wolfram Elsner zieht ein bitteres Fazit. Er bezeichnet die heutige Situation als völlig unvergleichbar mit dem Umstrukturierungsdruck Anfang der neunziger Jahre, einer Zeit der ideologischen Suche und relativen Schwäche der Produzenten, die die Konversion punktuell hat Realität werden lassen.

Fünf Rüstungsunternehmen, zum Teil mit Weltrang, gibt es noch immer in Bremen. Heute hat Bremen nach wie vor 4.000 Rüstungsarbeitsplätze, das sind ca. 5% aller Rüstungsarbeitsplätze in Deutschland. Die Rüstungsdichte ist in Bremen siebeneinhalb Mal höher als im Bundesdurchschnitt (siehe Lühr Henken in „Erfolgsgeschichten aus Bremen? Rüstungsstandort  an der Weser“, November 2011). In Bremen werden bei Rheinmetall Drohnen produziert, Zulieferungen für U-Boote bei Atlas Elektronik, Korvetten, Schnellboote bei Lürssen, Satelliten bei OHB und …

Was tun?
Ein neues Konversionsprogramm sollte die Unzulänglichkeiten des alten Programms vermeiden, z.B. sollten nur Gelder zur Entwicklung dauerhaft rein ziviler Produkte gegeben werden, andernfalls müsste das Geld zurück gefordert werden. Ein dauerhafter Ausschluss von Staatsaufträgen darf kein Tabu sein, dabei muss die Beweislast beim Hersteller liegen. Dazu sollte ein gesellschaftlich sehr breiter Konversionsbeirat mit wirklichen Mitspracherechten über die Produktpalette, die Förderungsbedingungen  sowie die Gestaltung der - vollkommen überprüfbaren - Verträge geschaffen werden.  

Zum Schluss noch ein wirkliches Konversionsbeispiel aus der Region: Ohne staatliche Finanzmittel ist die ehemalige U-Boot-Werft von Thyssen in Emden komplett auf die Produktion von zivilen Windkraft Offshore-Anlagen umgestiegen. Ein guter Schweißer bleibt ein guter Schweißer, heißt es, bei gleichem Lohn und ohne Umschulung. „Wind statt Waffen“ titelte der Spiegel 38/2010, nach 106 Jahren Schiffbau meistens für den Krieg. Also, es geht doch!! 

Und ohne staatliche Rüstungsaufträge bei gleichzeitigem Verbot für Rüstungsexporte gäbe es in allen Rüstungsunternehmen nur zivile Produktionen.

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