Briten waren schon 1960 zur Rüc­keroberung Kuwaits bereit

von Reinhart Höcker

Wer sich fragt, wieso die westlichen Industriestaaten dem irakischen Despoten Saddam Hussein lange seine zahllosen Übeltaten im eigenen Land und gegen manche Nachbarn straflos durchgehen ließen, aber ausgerechnet auf die Besetzung Kuwaits höchst empfindlich reagierten, der braucht nur einen Blick auf vergilbte Papiere zu werfen. Wie jedes Jahr gab die britische Regierung zum 1. Januar 30 Jahre lang geheim­gehaltene Akten und vertrauliche Unterlagen frei. Und das Material aus dem Jahr 1960 beweist, daß die Briten schon damals bereit waren, das noch unter britischem Protektorat stehende Scheichtum Kuwait gegen irakische Ansprüche mit Waffengewalt zu verteidigen - und daß schon damals ein Krieg vor der Tür zu stehen schien.

1960 stand Kuwaits Entlassung aus al­ten "Schutzverträgen" von 1899 und 1914 bevor, welche die außenpolitische Handlungsfreiheit des Scheichtums stark einschränkten. Ein Jahr später er­hielt Kuwait seine volle Unabhängig­keit, doch dort stationierte britische Truppen garantierten noch auf Jahre hinaus den Schutz vor Aggressionen.

Im nördlichen Nachbarland Irak hatten 1958 Offiziere geputscht, den letzten Monarchen, einen Vetter König Huss­eins von Jordanien, ermordet und ihren Anführer General Abdel Karim Kassem zum Präsidenten erhoben. Und der er­klärte Kuwait zu einem "lange verlore­nen, aber festen Bestandteil unseres Ter­ritoriums" und drohte damit, sich mit Gewalt zurückzuholen, was die britische Kolonialmacht Irak "entrissen" habe.

Die Briten reagierten mit der sofortigen Entsendung von 6000 Soldaten, die mit amerikanischer Transporthilfe zusätz­lich zur ständigen britischen Garnison nach Ku­wait eingeflogen wurden. Die britisch-amerikanische Militärplanung vom Frühjahr 1960 gilt noch heute als so bri­sant, daß die Unterlagen darüber für weitere 20 Jahre gesperrt wurden. Frei­gegeben wurden indes die Nieder­schriften der politischen Beratungen im britischen Kabinett.

Daraus geht hervor, warum London auf die Drohungen aus Bagdad schon da­mals ebenso empfindlich reagierte wie heute: Kuwait war den Briten wichtiger als alle ihre anderen über die Welt ver­streuten Reste des Kolonialreichs, weil es als ein Schlüsselland für die Versor­gung mit Öl galt. Kuwaits Erdölpolitik müsse, so formulierte das britische Au­ßenamt, "von anderen nahöstlichen (™l)- Produzenten unabhängig" sein.

Die britischen Stabschefs berieten im Frühjahr 1960 darüber, wie auf eine mögliche irakische Invasion in Kuwait reagiert werden sollte. Sie kamen zu dem Schluß, daß eine Rückeroberung nach einem Angriff "politisch leichter durchführbar" sei als ein Präventiv­schlag, und rechneten mit einer Kriegs­dauer von nur acht Tagen, um irakische Eindringliche aus Kuwait zu vertreiben. Erforderlich sei dafür -so geht aus ei­nem Memorandum von November 1960 hervor - die Präsenz einer Brigade sowie Luftunterstützung durch Flugzeugträger, über die Großbritannien damals noch in größerer Zahl als heute verfügte.

Erst als schließlich eine volle britische Brigade in der kuwaitischen Wüste be­reitlag, verflüchtigten sich allmählich die Drohungen aus dem Irak. Kassem wurde 1963 ermordet. Erst 1990 kam Saddam Hussein auf den "alten festen Bestandteil Iraks" zurück und fiel über Kuwait her.

aus: Kölner Stadt-Anzeiger 4.1.91

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