„Es ist also Krieg irgendwo“

Buchbesprechung: Arno Schmidt, Ein antimilitaristisches Lesebuch

von Johannes Schillo
Hintergrund
Hintergrund

„Wer noch einmal eine Waffe in die Hand nimmt“, so Franz Josef Strauß (CSU) 1949, „dem soll die Hand abfallen“. Bekanntlich leitete Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) bereits ein Jahr später – trotz verbreiteter Kriegsmüdigkeit in der Bevölkerung und fehlender Abstimmung im Regierungskabinett – die Remilitarisierung Westdeutschlands ein: Ein Prozess, der mit aller Härte gegen diverse „Ohnemichels“ und speziell gegen Kommunist*innen, die eine Volksbefragung durchführen wollten, betrieben wurde und der bis in den schöngeistigen Bereich der Literatur auf Linientreue achtete.

Ein prominenter Fall in diesem Kontext ist der Schriftsteller Arno Schmidt (1914-1979), der der Gruppe 47 nahestand und zusammen mit Heinrich Böll oder Alfred Andersch den neuen Geist eines „Kahlschlags“ nach 12-jähriger Nazi-Herrschaft repräsentierte. In der jungen Republik war es mit dieser „Stunde Null“, dem Elan eines antifaschistischen und antimilitaristischen Neuanfangs, allerdings nicht weit her. Beim gebildeten Publikum war eher die Lektüre der „Inneren Emigration“ angesagt, aus der selbst Nazi-Kollaborateure wie Gottfried Benn oder Ernst Jünger von ihrem (imaginierten) Widerstand zu berichten wussten. Wobei natürlich die wirklich breitenwirksame Volksunterhaltung vom Moewig-Verlag kam, der seit den 1950ern, nachdem das Wiederbewaffnungsprojekt in gerade mal fünf Jahren glatt über die Bühne gegangen war, mit seinen Landser-Heften (Auflage: eine halbe Million) die alte Wehrmachtstradition hochleben ließ.

Gegen eine solche Verherrlichung der Nazi-Vergangenheit schritt die demokratisch geläuterte Staatsmacht nicht ein, aber gegen einen Schriftsteller wie Arno Schmidt wurde schweres Geschütz aufgefahren. Er gehört politisch nicht zum sozialistischen Lager, nahm für sich nur die Position einer Äquidistanz zum Ost- wie Westblock in Anspruch – machte sich damit aber in den Augen der Staatsgewalt komplett unmöglich. Mit seiner Ablehnung der Wiederbewaffnung sowie der Einführung der Wehrpflicht gehörte er zu den konsequentesten literarischen Gegnern des Adenauerstaates, und mit seiner Schärfe war er im Grunde ein Ausnahmefall im Literaturbetrieb: von Zensur betroffen, von der Justiz verfolgt und von Verlegern gemieden.

Ein Verfahren gegen ihn, in dem es vordergründig um Pornographie und Gotteslästerung ging, war anderthalb Jahre anhängig und wurde erst nach allerlei Winkelzügen von Verlag und Autor eingestellt. Es hätte bei negativem Ausgang den wagemutigen Schriftsteller finanziell ruiniert. Aber auch so waren die Auswirkungen gravierend: Als die Justizaffäre bekannt wurde, fand Schmidt lange Zeit keinen Verleger. Er sah sich als verfolgten Autor, ging zeitgenössischen Themen aus dem Weg und spielte auch einige Zeit mit dem Gedanken, in die DDR auszuwandern. Das ließ er dann aber bleiben, da er als „Formalist“ drüben keine Chance gehabt hätte.
Erfreulicher Weise hält ihm in den heutigen Zeiten von Kriegstreiberei und Russenhetze die Arno-Schmidt-Stiftung die Treue. So hat die Stiftungs-Geschäftsführerin Susanne Fischer mit der Mitarbeiterin Michaela Nowotnick Ende 2024 das Lesebuch „Es ist also Krieg irgendwo“ herausgegeben. „Nichts hat Arno Schmidt so empört wie die Wiederaufrüstung in der jungen Bundesrepublik und die Gleichgültigkeit seiner Zeitgenossen gegenüber den Kriegen in der Welt“, schreiben die Herausgeberinnen zu der Auswahl, in der u.a. Schmidts klassischer Antikriegstext „Leviathan“ wieder abgedruckt ist. Sie kritisieren dabei auch die üblichen Verdrängungsleistungen der bundesdeutschen Nachkriegsliteratur und resümieren: „Schmidts dystopische Romane hingegen erzählen vom Leben nach den vernichtenden Atomschlägen eines Dritten Weltkriegs: Mutanten auf der Erde, letzte Menschenkolonien auf dem Mond.“

Die damaligen Prozessdetails sind mittlerweile von der Stiftung dokumentiert. Heute, wo die Schlachten geschlagen sind, wirken viele der damaligen Vorwürfe grotesk. Nachvollziehen kann man jedoch die politische Zensur, die etwa bei dem Roman „Das steinerne Herz“ griff. Zahlreiche polemische Bemerkungen gegen den Geist der Remilitarisierung wurden aus dem Text entfernt, der sonst nicht hätte erscheinen können. Und so weit ist man in der Bundesrepublik, 70 Jahre später, ja auch wieder: Wer die Kampfansage gegen Russland nicht befürwortet, wer das Sponsoring eines ukrainischen Stellvertreterkriegs und die forcierte Aufrüstung bis hin zur Schaffung von „Kriegstüchtigkeit“ ablehnt, ist ein „Putinversteher“ oder ein „Lumpenpazifist“ – jedenfalls ein verdächtiges Subjekt, das tendenziell als Werkzeug oder Helfershelfer des Feindes zu verbuchen und damit auf entsprechenden staatlichen Listen schon einmal vorzumerken ist.

Arno Schmidt (2024): „Es ist also Krieg irgendwo“. Ein Lesebuch. Herausgegeben von Susanne Fischer und Michaela Nowotnick. Berlin: Suhrkamp, 264 Seiten, ISBN 978-3-518-47441-9, 18 €.

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Hintergrund
Johannes Schillo ist Sozialwissenschaftler und Journalist, lange Jahre als Redakteur in der außerschulischen Bildung tätig; letzte Veröffentlichung zusammen mit N. Wohlfahrt, „Deutsche Kriegsmoral auf dem Vormarsch“, siehe die Vorstellung im Friedensforum 5/23.