„Russland, die Ukraine und der Westen - Eskalation statt Entspannung“

Buchbesprechung: „Der lange Weg zum Krieg“

von Martin Singe
Hintergrund
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Im Mai 2024 erschien im Heyne-Verlag ein neues Buch zum Ukraine-Krieg von Petra Erler und Günter Verheugen mit dem Titel „Der lange Weg zum Krieg. Russland, die Ukraine und der Westen - Eskalation statt Entspannung“. Das 336 Seiten starke Werk ist auf dem neuesten Stand (Mitte 2024) und analysiert detailgenau die Vorgeschichte des Konfliktes, die Interessen der Beteiligten und die Möglichkeiten eines Politikwandels in Richtung Dialog und neuer Entspannungspolitik.

In der kurzen Verlagsbeschreibung heißt es zu dem Buch trefflich zusammenfassend: „Mit Günter Verheugen und Petra Erler beziehen erstmals zwei ausgewiesene außenpolitische Experten Stellung – und sie legen eine fulminante Anklage vor: Ohne das Versagen der deutschen und der EU-Außenpolitik wäre es zu dieser verheerenden Eskalation nicht gekommen. In ihrer ebenso klugen wie scharfen Analyse der Vorgeschichte des Ukraine-Krieges wird deutlich, wie seit Anfang der 90er Jahre die Axt an die Wurzeln der bis dahin so einzigartig erfolgreichen Entspannungspolitik gelegt wurde.“

In neun Kapiteln werden u.a. die Geschichte hin zum Krieg beschrieben und die immer ausgreifenderen Schritte der NATO-Osterweiterung als wesentlich für die neue Zuspitzung im Ost-West-Konflikt nach 1990 hervorgehoben. Alle Annäherungsversuche Russlands an den Westen in Richtung Kooperativer bzw. Gemeinsamer Sicherheit bis hin zu NATO-Aufnahmegesuchen wurden ausgeschlagen. In diesen Jahren wurden die Chancen auf eine gesamteuropäische Sicherheitspolitik unter Einschluss Russlands bewusst verspielt. Das US-Interesse der Verhinderung eines Zusammengehens West-Europas mit Russland war hierbei wesentlicher Motivgeber. US-Strategen wie Brzezinski und Friedman werden zitiert: Dafür, dass die USA nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die einzige Weltmacht bleiben, sei die Beherrschung Eurasiens wichtige Voraussetzung. - Soweit einige Kernthesen des Buches.

In Kapitel 3 „Das Tauziehen um die Ukraine – die Lunte brennt“ beschreiben die Autor*innen sehr präzise die Geschehnisse um den Maidan 2014, die Krim-Annexion sowie die entstehenden Unruhen im Donbas. Der Westen habe die verfassungswidrige Amtsenthebung von Janukowitsch („Maidan-Putsch“) toleriert und anerkannt, die USA hätten den „Regime Change“ finanziell unterstützt. Die Vereinbarungen von Minsk II seien nie ernsthaft umgesetzt worden und auch von Deutschland und Frankreich nicht ernst gemeint gewesen, sondern hätten dem Zeitgewinn gedient, um die Ukraine aufzurüsten (A. Merkel). Ein wesentlicher Eskalationspunkt sei der präsidiale Erlass zur – ggf. auch militärischen – „Befreiung und De-Okkupation“ der Krim von März 2021 gewesen. Die brüske Zurückweisung der russischen Forderungen von Dezember 2021 an NATO und USA nach Sicherheitsgarantien, Neutralität der Ukraine u.a.m. hätten wohl zur Kriegsentscheidung Russlands beigetragen.

Die Inhalte der weiteren Kapitel können hier natürlich nicht wiedergegeben werden. Die Lektüre des gesamten Buches ist sehr zu empfehlen. Schlüsselkapitel sind sicherlich „5. Die politische Auflösung der Sowjetunion und ihr gefährliches Erbe“ sowie „6. Eine Reise ins Ungewisse: Die EU und die Ukraine“.

Heribert Prantl urteilt über das Werk: „Das Buch von Verheugen und Erler ist akribisch und furios. Es zeigt die Fehler der amerikanischen und der europäischen Anti-Russland-Politik in furchterregender Klarheit. Es entlarvt die Kriegslügen aller Seiten. Es beklagt, wie bereitwillig sich auch Deutschland in den Ukraine-Krieg hineingeworfen hat.“

Zu den Autor*innen: Günter Verheugen (*1944) war Generalsekretär der FDP und trat 1982, nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition, der SPD bei; von 2004 bis 2010 war er Vizepräsident der EU-Kommission. Er ist Honorarprofessor an der Europa-Universität Viadrina, Autor und Publizist.

Petra Erler (*1958) promovierte am Institut für Internationale Beziehungen an der Akademie für Staat und Recht in Potsdam. Nach der Volkskammerwahl 1990 war sie zunächst Beraterin und Mitglied des Planungsstabs von Außenminister Markus Meckel, wurde dann zur Staatssekretärin im Amt des Ministerpräsidenten de Maizière berufen, zuständig für EG-Fragen. Nach der deutschen Einigung arbeitete sie u.a. als Mitglied des engsten Mitarbeiterkreises („Kabinett“) von EU-Kommissar Günter Verheugen. Sie ist heute u.a. publizistisch tätig.

Günter Verheugen und Petra Erler (2024): Der lange Weg zum Krieg. Russland, die Ukraine und der Westen - Eskalation statt Entspannung. Wilhelm Heyne Verlag, München, ISBN: 978-3-453-21883-3. 336 Seiten, 24, - Euro.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".