Ziele, Mittel und Taktiken im Jahr 1967 – aktuell noch gültig?

Buchbesprechung: T. W. Adornos „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“

von Renate Wanie
Hintergrund
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Theodor W. Adornos Ausführungen aus dem Jahr 1967 zählen zu den zahlreichen öffentlichen Interventionen des Philosophen und Soziologen. 50 Jahre nach seinem Tod erschien sein in Wien gehaltener Vortrag erstmals in Druckform im Suhrkamp-Verlag, veröffentlicht in dem schmalen Bändchen „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“. 

Sein mündlicher Vortrag an der Wiener Universität ist aus heutiger Sicht nicht allein von historischem Interesse. Auch mehr als fünfzig Jahre später besticht die Gültigkeit seiner Analyse, die sich passagenweise wie ein Kommentar zu aktuellen Entwicklungen liest.  Aber Adorno spricht auch als Zeitzeuge. Hatte er doch erlebt, wie bereitwillig die bürgerlichen Eliten den Nationalsozialismus mittrugen.  
Adornos Wiener Rede diente dazu, den Aufstieg der 1964 gegründeten NPD in der Bundesrepublik zu beleuchten. Diese Sammlungsbewegung des rechten Lagers verzeichnete damals erheblichen Zuspruch im Kontext der damaligen Wirtschaftskrise. Aktuell, angesichts anhaltend problematischer wirtschaftlicher Bedingungen, ist die äußerste Rechte erneut eine einflussreiche politische Kraft geworden. 

Vor dem Hintergrund des Aufstiegs der NPD in der Bundesrepublik, die erstaunliche Wahlerfolge verzeichnen konnte, analysiert Adorno Ziel, Mittel und Taktiken des Rechtsradikalismus und Gründe für den Zuspruch, den diese Bewegungen zwanzig Jahre nach Kriegsende bei Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung fanden. Zu Beginn seiner Rede stellt Adorno klar, dass er keine Theorie des Rechtsradikalismus vorlegen wolle, sondern nur einige „Aspekte“ hervorheben möchte, um die sozialen, politischen, psychologischen Ursachen des Rechtsextremismus zu verstehen. Er bezieht sich u.a. auf einen von ihm gehaltenen Vortrag aus dem Jahr 1959, wonach „die gesellschaftlichen Voraussetzungen faschistischer Bewegungen trotz des Zusammenbruchs (gemeint ist 1945, R.W.) gesellschaftlich (…) nach wie vor fortbestehen“. (S. 10) 

Als Voraussetzungen rechtsradikaler Bewegungen gelten für Adorno „die Konzentration des Kapitals, die Vernichtung mittelständischer Betriebe, die immer weiter auseinanderdriftende Schere zwischen Arm und Reich“. Was sich damals in den späten 1920er Jahren ereignete und in der Rezession von 1966/67 zeigte, scheint sich in der langen Finanzkrise in der Bundesrepublik seit 2008 wiederholt zu haben. Grundlegende Kontinuitäten finden sich auch in Texten aus dem Umfeld der AfD. Damals wie heute geht es im Denken der Rechten nie um eine Kritik der ökonomischen Macht.  

Adorno stellt fest: „Diese Gruppen verschieben die Schuld an ihrer eigenen potentiellen Deklassierung nicht etwa auf die Apparatur, die dergleichen bewirkt, sondern auf das, was sie Sozialismus nennen.“ Heute können wir davon sprechen, dass vor allem Migrant*innen und einer halluzinierten linken Meinungsdiktatur Schuld an den genannten Entwicklungen zugeschoben wird. 

Wenn Adorno auf Propaganda zu sprechen kommt, liest sich das wie eine Paraphrase der aktuellen Fake-News-Debatten. Die Propaganda sei eine massenpsychologische Technik. „Zugrunde liegt dabei das Modell der autoritätsgebundenen Persönlichkeit und zwar heute (1967) wie zur Zeit Hitlers (...) Die Einheit liegt in diesem Appell an die autoritätsgebundenen Persönlichkeit.“ (S. 41)  
Vieles von dem, was Adorno zum Rechtsradikalismus erklärte, liest sich wie ein Kommentar zu den Methoden und der Ideologie der aktuellen Rechten - in Zeiten von AfD, Identitären Bewegungen und vor einigen Jahren von Pegida. Deshalb der Appell, den Text in zwei Perspektiven zu lesen, historisch wie auch gegenwartsbezogen. Hilfreich ist auch das Nachwort von Volker Weiß für aktuelles Engagement gegen die aktuellen rechtsextremen Entwicklungen. 

Kein zuschauerhaftes Verhältnis zur Wirklichkeit 
Was ist zu tun? Diesen rechten Entwicklungen ist nicht einfach zu begegnen. Wer das Ende der Demokratie herbeisehnt, ist gegen Argumente immun. Adorno empfiehlt, den Rechtsextremismus nicht als „Naturkatastrophe“ zu betrachten und kein „zuschauerhaftes Verhältnis zur Wirklichkeit“ einzunehmen, sondern aktiv zu werden, sich einzumischen. Er empfiehlt mit der „durchschlagenden Kraft der Vernunft“ der wahnhaften und zerstörerischen Propaganda entgegenzutreten, Demokratie zu vollenden, die sozialen Verwerfungen zu mindern. Nur so, meint Adorno, sei der rechtsextreme Sumpf auszutrocknen. Aktuell weitergedacht heißt das vor allem auch: Kontinuierlich Protestaktionen organisieren, Aktionen Zivilen Ungehorsams auf die Straße bringen – und die zeitlose „antifaschistische Flaschenpost“ in die Welt senden! Ein Buch zum Weiterdenken. 

Theodor W. Adorno (2019): Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Mit einem Nachwort von Volker Weiß (28 S.). Suhrkamp Verlag Berlin, 87 S., ISBN 978-3-518-58737-9, 12 €

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