Bundesdeutsche Machtpolitik im internationalen Rahmen

von Werner Rätz

Friedensarbeit bezieht sich zum großen Teil auf Vorgänge im internationalen Rahmen. Das Thema verlangt somit eine zumindest grobe Skizze dieses Rah­mens, um bestimmen zu können, worum es den jeweiligen politischen Kräften bei diesen Wahlen geht.

Die noch aus dem 2. Weltkrieg über­kommene Ordnung der internationa­len Kräfteverhältnisse befindet sich seit einigen Jahren in Bewegung. Das hat in Osteuropa teilweise die Form massiver politischer Krisen angenom­men. Starke Kräfte (die zumindest in Polen und Ungarn gesellschaftliche Mehrheiten bilden) suchen Anschluß an den westlichen Entwicklungsweg. Die UdSSR verfügt nicht über die Möglichkeit, vielleicht auch nicht über den Willen, diese Entwicklung aufzu­halten. Schon in der Vergangenheit beschränkten sich solche Versuche ih­rerseits auf die militärische Interven­tion (oder deren Androhung). Faktisch existierte eine stillschweigende Über­einkunft, daß die NATO sich da nicht einmischte. Die aktuelle Situation könnte die Versuchung steigern, sich doch auf scheinbar begrenzte militäri­sche Abenteuer einzulassen.

Die Erschütterungen in Osteuropa finden vor einer westeuropäischen Entwicklung statt, die auch dort die Kräfte neu sortiert. Das in der Vergangenheit politisch stark zersplitterte kapitialistische Europa ist dabei, ein einheitlicher politisch-ökonomischer Faktor zu werden. Geplanter Binnen­markt und das existierende europäi­sche Währungssystem werden unter Fachleuten längst als "DM-Block" ge­führt. Das verweist auf die dominie­rende Stellung der BRD in diesem Gefüge. Im Rahmen der westeuropäi­schen Integration versucht die BRD auch, sich endlich militärische Mög­lichkeiten zu verschaffen, die sie bisher nie besaß.

Interessant daran ist nicht so sehr diese Absicht (die gab es immer schon), als die Form, in der das ge­schieht. Das brisanteste und aktuellste Beispiel ist Wackersdorf. Scheinbar steigt die BRD hier aus einer gefährli­chen Entwicklung aus. Tatsächlich wird genau diese Entwicklung (groß­technische Plutoniumwiederaufarbei­tung) langfristig festgeschrieben - nur nicht mehr national, sondern westeu­ropäisch. Das bringt nicht nur ökono­mische Vorteile, sondern auch politi­sche (es beruhigt mißtrauische Ge­müter und kittet den brüchigen Ener­giekonsens). Und es weitet den Um­gang der BRD mit Plutonium mit dem Segen der westlichen Partner auf die militärische Ebene aus, die wesentli­cher Bestandteil von La Hague ist. Der "Verzicht" auf eine potentielle, zwar technisch durchaus, aber politisch kaum machbare Option läßt eben de­ren Inhalte als Wirklichkeit im neuen Gewande wiederauferstehen. So hatte die sozialliberale Bundesregierung ihrerzeit schon jegliche Atomindustrie, die nicht direkt zur deutschen Bombe führte, mit der Unterschrift unter den Atomwaffensperrvertrag ermöglicht und aus der internationalen Kritik ge­nommen.

Die Anwendung dieses Instruments indirekter bundesdeutscher Einflußpolitik beherrscht die Sozialdemokra­tie am perfektesten. Ein unser Thema betreffendes Beispiel ist ein Text von Karsten Voigt vom Mai '89. Da "si­cherheitspolitsche Autarkie... für jeden einzelnen Staat Europas zur Illusion geworden" sei, dürfe kein Land in "na­tionale Sicherheitspolitik" zurückfal­len. Tatsächlich würde eine BRD, die alleine Großmachtpolitik betreiben wollte, Mißtrauen und Ablehnung al­lerorten erfahren. Aber welche Gefahr für ihre Nachbarn und den Weltfrie­den sollte eine völlig entmilitarisierte BRD darstellen, die auf "Sicherheitspolitik" ganz verzichtet, weil sie weder bedroht ist noch zu verteidigen wäre? Daß Voigt an so etwas nicht denkt, sagt er offen: die NATO habe auch die Funktion der "Kontrolle der ... Bun­deswehr". Eine BRD außerhalb der Kontrolle der NATO würde "unsere Nachbarn in Ost und West ... besorgt reagieren" lassen. Wieso, wenn es kei­nerlei Bundeswehr mehr zu kontrollie­ren gäbe? Auch wenn's ungesagt bleibt: militärische Stärke ist nach wie vor ein Muß, um im Gerangel um den weltweiten Kuchen von Profiten und Einfluß mithalten zu können. Das soll nur nicht so übertrieben werden, daß es "unsere Nachbarn ... besorgt" macht.

Voigts etwas mysteriöse Formulie­rung, Bündnisrecht dürfe nicht Besatzungsrecht sein, bedarf der Ergänzung um ein Faktum und eine Spekulation. Das Faktum: H. Däubler-Gmelin führte jüngst in den USA Gespräche, die u.a. um einen möglichen Friedens­vertrag gingen. Die Spekulation: Die SED gerät mit ihrer bornierten Politik immer mehr in die Isolation. Eine Hinwendung der wirtschaftlich starken DDR zum Reformkurs mit Annähe­rung an den Westen müßte aber "un­sere Nachbarn ... besorgt" machen, weil sie in Verbindung mit der wieder­belebten "deutschen Frage" allzu leicht als ein Versuch gesamtdeutscher Großmachtpolitik verstanden werden könnte. Ein rechtzeitiger Friedensver­trag, der die staatlichen Grenzen in Mitteleuropa festschriebe und eine deutsche Wiedervereinigung bloc­kierte, könnte diese Besorgnis mildern.

Voigt: "Durch die freiwillige Preisgabe von Souveränität kann die Bundesre­publik in der Regel im Rahmen multi­lateraler Institutionen ihre Interessen konstruktiver und effektiver als im na­tionalen Alleingang durchsetzen."

Das Ganze noch mal im Klartext: Weltweit ändern sich die Kräfteverhältnisse. In Osteuropa gibt es riesige neue Einflüsse und Profite zu holen. Westeuropa hat da hervorragende Karten auf der Hand, die nicht zuletzt von der BRD gehalten werden. Die gilt es, behutsam auszuspielen, um so die nationalen Interessen der BRD durch­zusetzen. Das unterscheidet sich in nichts von CDU/FDP außer darin, ob der Spieler auch noch mit der Faust auf den Tisch haut. Dieses gemein­same Spiel aller Parteien, in dem auch die Grünen so gerne mitspielen möchten, hätten sie nur schon den ganzen Einsatz (= bedingungslose Anerkennung der "nationalen Interes­sen"), zu stören, ist aktuelle Aufgabe der Friedensbewegung. Dabei wäre es ja schon etwas, wenn die Spieler ge­zwungen würden, mit offenen Karten zu spielen.

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Im Blickpunkt
Werner Rätz ist aktiv bei der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn und für diese im Koordinierungskreis von Attac Deutschland, ebenfalls im Blockupy-Kokreis. Webseite: www.werner-raetz.de