
Verlängerung bis Sonntag: Mehr als 1.300 Menschen haben unseren Ostermarsch-Aufruf, der in der taz, der Zeit und im Freitag erscheinen wird, bereits unterzeichnet. Bist du auch schon dabei?
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Friedensarbeit bezieht sich zum großen Teil auf Vorgänge im internationalen Rahmen. Das Thema verlangt somit eine zumindest grobe Skizze dieses Rahmens, um bestimmen zu können, worum es den jeweiligen politischen Kräften bei diesen Wahlen geht.
Die noch aus dem 2. Weltkrieg überkommene Ordnung der internationalen Kräfteverhältnisse befindet sich seit einigen Jahren in Bewegung. Das hat in Osteuropa teilweise die Form massiver politischer Krisen angenommen. Starke Kräfte (die zumindest in Polen und Ungarn gesellschaftliche Mehrheiten bilden) suchen Anschluß an den westlichen Entwicklungsweg. Die UdSSR verfügt nicht über die Möglichkeit, vielleicht auch nicht über den Willen, diese Entwicklung aufzuhalten. Schon in der Vergangenheit beschränkten sich solche Versuche ihrerseits auf die militärische Intervention (oder deren Androhung). Faktisch existierte eine stillschweigende Übereinkunft, daß die NATO sich da nicht einmischte. Die aktuelle Situation könnte die Versuchung steigern, sich doch auf scheinbar begrenzte militärische Abenteuer einzulassen.
Die Erschütterungen in Osteuropa finden vor einer westeuropäischen Entwicklung statt, die auch dort die Kräfte neu sortiert. Das in der Vergangenheit politisch stark zersplitterte kapitialistische Europa ist dabei, ein einheitlicher politisch-ökonomischer Faktor zu werden. Geplanter Binnenmarkt und das existierende europäische Währungssystem werden unter Fachleuten längst als "DM-Block" geführt. Das verweist auf die dominierende Stellung der BRD in diesem Gefüge. Im Rahmen der westeuropäischen Integration versucht die BRD auch, sich endlich militärische Möglichkeiten zu verschaffen, die sie bisher nie besaß.
Interessant daran ist nicht so sehr diese Absicht (die gab es immer schon), als die Form, in der das geschieht. Das brisanteste und aktuellste Beispiel ist Wackersdorf. Scheinbar steigt die BRD hier aus einer gefährlichen Entwicklung aus. Tatsächlich wird genau diese Entwicklung (großtechnische Plutoniumwiederaufarbeitung) langfristig festgeschrieben - nur nicht mehr national, sondern westeuropäisch. Das bringt nicht nur ökonomische Vorteile, sondern auch politische (es beruhigt mißtrauische Gemüter und kittet den brüchigen Energiekonsens). Und es weitet den Umgang der BRD mit Plutonium mit dem Segen der westlichen Partner auf die militärische Ebene aus, die wesentlicher Bestandteil von La Hague ist. Der "Verzicht" auf eine potentielle, zwar technisch durchaus, aber politisch kaum machbare Option läßt eben deren Inhalte als Wirklichkeit im neuen Gewande wiederauferstehen. So hatte die sozialliberale Bundesregierung ihrerzeit schon jegliche Atomindustrie, die nicht direkt zur deutschen Bombe führte, mit der Unterschrift unter den Atomwaffensperrvertrag ermöglicht und aus der internationalen Kritik genommen.
Die Anwendung dieses Instruments indirekter bundesdeutscher Einflußpolitik beherrscht die Sozialdemokratie am perfektesten. Ein unser Thema betreffendes Beispiel ist ein Text von Karsten Voigt vom Mai '89. Da "sicherheitspolitsche Autarkie... für jeden einzelnen Staat Europas zur Illusion geworden" sei, dürfe kein Land in "nationale Sicherheitspolitik" zurückfallen. Tatsächlich würde eine BRD, die alleine Großmachtpolitik betreiben wollte, Mißtrauen und Ablehnung allerorten erfahren. Aber welche Gefahr für ihre Nachbarn und den Weltfrieden sollte eine völlig entmilitarisierte BRD darstellen, die auf "Sicherheitspolitik" ganz verzichtet, weil sie weder bedroht ist noch zu verteidigen wäre? Daß Voigt an so etwas nicht denkt, sagt er offen: die NATO habe auch die Funktion der "Kontrolle der ... Bundeswehr". Eine BRD außerhalb der Kontrolle der NATO würde "unsere Nachbarn in Ost und West ... besorgt reagieren" lassen. Wieso, wenn es keinerlei Bundeswehr mehr zu kontrollieren gäbe? Auch wenn's ungesagt bleibt: militärische Stärke ist nach wie vor ein Muß, um im Gerangel um den weltweiten Kuchen von Profiten und Einfluß mithalten zu können. Das soll nur nicht so übertrieben werden, daß es "unsere Nachbarn ... besorgt" macht.
Voigts etwas mysteriöse Formulierung, Bündnisrecht dürfe nicht Besatzungsrecht sein, bedarf der Ergänzung um ein Faktum und eine Spekulation. Das Faktum: H. Däubler-Gmelin führte jüngst in den USA Gespräche, die u.a. um einen möglichen Friedensvertrag gingen. Die Spekulation: Die SED gerät mit ihrer bornierten Politik immer mehr in die Isolation. Eine Hinwendung der wirtschaftlich starken DDR zum Reformkurs mit Annäherung an den Westen müßte aber "unsere Nachbarn ... besorgt" machen, weil sie in Verbindung mit der wiederbelebten "deutschen Frage" allzu leicht als ein Versuch gesamtdeutscher Großmachtpolitik verstanden werden könnte. Ein rechtzeitiger Friedensvertrag, der die staatlichen Grenzen in Mitteleuropa festschriebe und eine deutsche Wiedervereinigung blockierte, könnte diese Besorgnis mildern.
Voigt: "Durch die freiwillige Preisgabe von Souveränität kann die Bundesrepublik in der Regel im Rahmen multilateraler Institutionen ihre Interessen konstruktiver und effektiver als im nationalen Alleingang durchsetzen."
Das Ganze noch mal im Klartext: Weltweit ändern sich die Kräfteverhältnisse. In Osteuropa gibt es riesige neue Einflüsse und Profite zu holen. Westeuropa hat da hervorragende Karten auf der Hand, die nicht zuletzt von der BRD gehalten werden. Die gilt es, behutsam auszuspielen, um so die nationalen Interessen der BRD durchzusetzen. Das unterscheidet sich in nichts von CDU/FDP außer darin, ob der Spieler auch noch mit der Faust auf den Tisch haut. Dieses gemeinsame Spiel aller Parteien, in dem auch die Grünen so gerne mitspielen möchten, hätten sie nur schon den ganzen Einsatz (= bedingungslose Anerkennung der "nationalen Interessen"), zu stören, ist aktuelle Aufgabe der Friedensbewegung. Dabei wäre es ja schon etwas, wenn die Spieler gezwungen würden, mit offenen Karten zu spielen.