Kriegsdienstverweigerung: Grundrecht im Ernstfall außer Kraft?

Bundesgerichtshof greift Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung an

von Rudi Friedrich

Der nachfolgende Artikel wurde von Connection e.V. am 12.3. als Pressemitteilung veröffentlicht und vom FriedensForum übernommen.

Am 16. Januar 2025 fasste der Bundesgerichtshof (BGH) einen Beschluss (Beschluss 4 ARs 11/24) zur Frage, ob ein ukrainischer Staatsbürger ausgeliefert werden dürfe, obwohl er erklärt habe, Kriegsdienstverweigerer zu sein, und die Ukraine für den Kriegsfall das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt hat. Dem Verweigerer droht in der Ukraine also die Einberufung in den Krieg und bei einer Verweigerung eine jahrelange Haftstrafe.

Der BGH kommt im Grundsatz des Beschlusses zu der Feststellung, dass auch bei fehlendem Recht auf Kriegsdienstverweigerung in die Ukraine ausgeliefert werden dürfe, da sich die Ukraine in einem Verteidigungskrieg befinde. Das Recht des Staates, sich gegen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg militärisch zu wehren, wird also als höher erachtet als die Entscheidung eines Individuums, sich dem Kriegsdienst zu verweigern.

Das sieht der BGH auch für Deutschland gegeben. Er hält es „auch nach deutschem Verfassungsrecht nicht von vornherein (für) undenkbar, dass Wehrpflichtige in außerordentlicher Lage zusätzlichen Einschränkungen unterliegen und in letzter Konsequenz sogar gehindert sein könnten, den Kriegsdienst an der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern".

Diese Behauptung des BGH entspricht nicht der Verfassung. Nach Art. 12a GG muss für eine*e Kriegsdienstverweiger*in eine Möglichkeit eines Ersatzdienstes vorgesehen sein, „die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes steht".

Der BGH postuliert weiter, dass die Europäische Menschenrechtskonvention es Staaten erlaube, wie im Falle der Ukraine, bei einem Verteidigungskrieg wesentliche Menschenrechte auszusetzen, darunter auch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das als Teil des Menschenrechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Artikel 9 verstanden wird. Die dazu fehlende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wird gegen die Kriegsdienstverweiger*innen gewendet. Und nicht nur das. Rudi Friedrich von Connection e.V.: „Der BGH übersieht vollständig, dass die Ukraine am 4. April 2024 die Ausnahmeregelung für den Artikel 9 zurückgenommen hat. Die Folgerung, dass die Ausnahmeregelung für die Ukraine zutreffe und das Land daher kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung vorsehen müsse, ist falsch."

Des Weiteren befasst sich der BGH auch mit den internationalen Normen zur Kriegsdienstverweigerung auf Grundlage des Artikel 18 Absatz 1 des Internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte. Auch hier verweist der BGH auf mögliche Ausnahmeregelungen, obwohl diese in Artikel 4 des Paktes ausdrücklich ausgeschlossen werden. Der BGH stellt sich hiermit gegen den UN-Menschenrechtsrat, der am 23. April 2024 dargelegt hatte, dass "das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen als fester Bestandteil des Rechts auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nicht beeinträchtigt werden (darf), auch nicht in einer Zeit des öffentlichen Notstands, der das Leben der Nation bedroht".

„Angesichts des Krieges in der Ukraine und angesichts der von der Politik geforderten Kriegsertüchtigung steigt nun der BGH mit ein und will aus dem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung ein Schönwetter-Recht machen", schließt Rudi Friedrich. „Er macht sich damit zum Steigbügelhalter für politische Forderungen auf Kriegsbereitschaft. Das ist haarsträubend, in höchstem Maße gefährlich und bedarf dringend einer Korrektur."

Weitere Informationen stellt Connection e.V. regelmäßig im Rahmen der #ObjectWarCampaign zur Verfügung, mit der sich ein Verbund von europaweit mehr als 120 Organisationen für den Schutz und Asyl für Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen aus Russland, Belarus und der Ukraine einsetzt: www.Connection-eV.org/ObjectWarCampaign und https://objectwarcampaign.org.

Analyse des BGH-Beschlusses: https://de.Connection-eV.org/article-4389. Connection verweist in der ausführlichen Stellungnahme u.a. auf eine hervorragende juristische Stellungnahme zum BGH-Beschluss von Kathrin Groh, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität der Bundeswehr München: https://verfassungsblog.de/kriegsdienstverweigerung-kriegsfall-bundesgerichtshof/

Rudi Friedrich ist Geschäftsführer von Connection e.V.

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