Presseinformation der IALANA vom 22. April 1999

Bundesregierung täuscht Parlament und Öffentlichkeit!

von JuristInnen gegen ABC-Waffen, Sektion BRD der IALANA
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Amtliche Dokumente des Bonner Auswärtigen Amtes belegen, dass es im März 1999 keinen Grund und keine Rechtfertigung für eine "humanitäre Intervention" der NATO im Kosovo gab

1. Vor dem am 24. März 1999 erfolgten Beginn der NATO-Luftangriffe gegen Jugoslawien drohte albanischen Volkszugehörigen im Kosovo keine Verfolgung durch die serbisch dominierte Staatsmacht wegen ihrer Volkszugehörigkeit. Diese Feststellung findet sich in bislang unveröffentlichten amtlichen Dokumenten des deutschen Auswärtigen Amtes. Diese Dokumente belegen: Das Auswärtige Amt hat sowohl im Herbst/Winter 1998/99 als auch noch im März 1999 in seinen Amtlichen Auskünften gegenüber deutschen Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten gutachtlich ausgeführt, dass seit seinem "Lagebericht" vom 18. November 1998 keine wesentliche Änderung eingetreten sei. In diesem Lagebericht des AA heißt es:

"Im Kosovo selbst hat sich die schwierige humanitäre Situation etwas entspannt. Die Rahmenbedingungen für die Versorgung von Bedürftigen haben sich verbessert.... Die Kampfhandlungen im Kosovo wurden von beiden Seiten mit militärischen Mitteln geführt, wobei auf serbisch-jugoslawischer Seite die Sicherheitskräfte bei der Einnahme von Ortschaften auch mit schweren Waffen vorgingen. Beim Einzug der serbischen Sicherheitskräfte in zurückeroberte Ortschaften kam es zu Übergriffen gegen dort verbliebene Bewohner. Die durch die Presse wiederholt gemeldeten "Massaker" und Meldungen über "Massengräber" trugen zur Beunruhigung der Flüchtlinge bei, konnten jedoch durch internationale Beobachter bislang nicht bestätigt werden." ("Lagebericht" des Auswärtigen Amtes vom 18. November 1998 (z.:514-516.80/3 YUG), S. 18)
 

Und in der Amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. Dezember 1998 an das Niedersächs. Oberverwaltungsgericht (Az.: 514-516.80/3 Yug) wird ausgeführt:

"Nach Erkenntnis des Auswärtigen Amts sind die Maßnahmen der Sicherheitskräfte in erster Linie auf die Bekämpfung der UCK gerichtet, die unter Einsatz terroristischer Mittel für die Unabhängigkeit des Kosovo, nach Angaben einiger ihrer Sprecher sogar für die Schaffung eines "Groß-Albanien" kämpft.

2. Diese und die nachfolgenden Auszüge aus den amtlichen Dokumenten des AA sowie die Entwicklung der nach dem 24. März 1999 sprunghaft angestiegenen Flüchtlingszahlen belegen eindeutig: Die beklagenswerte heutige "humanitäre Katastrophe" für die Menschen im Kosovo und in den Nachbarstaaten ist mithin erst die Folge der Kriegsereignisse nach Beginn der NATO-Luftangriffe.

I. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6. Januar 1999 an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach:
"Derzeit ist eine steigende Tendenz bei der Rückkehr der innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien geflohenen Personen an ihre Wohnsitze zu verzeichnen. (...) Ungeachtet der desolaten wirtschaftlichen Lage der Bundesrepublik Jugoslawien sind auch aus Reihen der Flüchtlinge (Nach Angaben offizieller Stellen der Bundesrepublik Jugoslawien haben seit 1991 ca. 700.000 Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien und Herzegowina Aufnahme gefunden) keine Fälle von chronischer Mangelernährung oder unzureichender medizinischer Versorgung bekannt und beachtliche Obdachlosigkeit ist nicht zu beobachten. (...) Für Kosovo-Albaner besteht damit nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes nach wie vor eine begrenzte Möglichkeit, sich einzeln (mit der engeren Familie) insbesondere in jenen Landesteilen Jugoslawiens niederzulassen, in denen bereits ihre Landsleute oder Bekannte leben, die bereit sind, sie aufzunehmen und sie zu unterstützen."

II. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 12. Januar 1999 an das Verwaltungsgericht Trier (Az.: 514-516.80/32 426):
"Eine explizit an die albanische Volkszugehörigkeit anknüpfende politische Verfolgung ist auch im Kosovo nicht festzustellen. Der Osten des Kosovo ist von den bewaffneten Konflikten bislang nicht erfasst, das öffentliche Leben in Städten wie Pristina, Urosevac, Gnjilan usw. verlief im gesamten Konfliktzeitraum in relativ normalen Bahnen." Das "Vorgehen der Sicherheitskräfte (war) nicht gegen Kosovo-Albaner als ethnisch definierte Gruppe gerichtet, sondern gegen den militärischen Gegner und dessen tatsächliche oder vermutete Unterstützer."

III. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15. März 1999 (z.: 514-516.80/33 841) an das Verwaltungsgericht Mainz:
"Wie im Lagebericht vom 18.11.1998 ausgeführt, hat die UCK seit dem Teilabzug der (serbischen) Sicherheitskräfte im Oktober 1998 ihre Stellungen wieder eingenommen, so dass sie wieder weite Gebiete im Konfliktgebiet kontrolliert. Auch vor Beginn des Frühjahrs 1999 kam es weiterhin zu Zusammenstößen zwischen UCK und Sicherheitskräften, auch wenn diese bislang nicht die Intensität der Kämpfe vom Frühjahr/Sommer 1998 erreicht haben." (ebd., S. 1)
 

IV. Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Oktober 1998 (Az.: 22 BA 94.34252):
"Die den Klägern in der Ladung zur mündlichen Verhandlung angegebenen Lageberichte des Auswärtigen Amts vom 6. Mai, 8. Juni und 13. Juli 1998 lassen einen Rückschluss auf eine Gruppenverfolgung ethnischer Albaner aus dem Kosovo nicht zu. Nicht einmal eine regionale Gruppenverfolgung, die allen ethnischen Albanern aus einem bestimmten Teilgebiet des Kosovo gilt, lässt sich mit hinreichender Sicherheit feststellen. Das gewaltsame Vorgehen des jugoslawischen Militärs und der Polizei seit Februar 1998 bezog sich auf separatistische Aktivitäten und ist kein Beleg für eine Verfolgung der gesamten ethnischen Gruppe der Albaner aus dem Kosovo oder einem Teilgebiet desselben. Es handelte sich bei den jugoslawischen Gewaltaktionen und Gewaltexzessen seit Februar 1998 um ein selektives gewaltsames Vorgehen gegen die militärische Untergrundbewegung (insbesondere der UCK) und deren Umfeld in deren Operationsgebieten. (...) Ein staatliches Verfolgungsprogramm, das sich auf die gesamte ethnische Gruppe der Albaner bezieht, besteht nach wie vor nicht." (ebd., S. 9)

V. Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 4. Februar 1999 (Az.: A 14 S 22276/98):
"Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse stimmen darin überein, dass die zeitweise befürchtete humanitäre Katastrophe für die albanische Zivilbevölkerung (...) nach dem Abflauen der Kämpfe im Anschluss an die Ende 1998 mit der serbischen Führung getroffene Übereinkunft (Lagebericht Serbien des Auswärtigen Amtes vom 18.11.1998) abgewendet werden konnte und dass sich seit dem sowohl die Sicherheitslage wie auch die Lebensbedingungen der albanisch-stämmigen Bevölkerung spürbar gebessert haben. (...) Namentlich in den größeren Städten verläuft das öffentliche Leben zwischenzeitlich wieder in relativ normalen Bahnen (vgl. hierzu Auswärtiges Amt v. 12.1.1999 an VG Trier; v. 28.12.1998 an OVG Lüneburg und v. 23.12.1999 an VGH Kassel), auch wenn sich die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen auf Grund einzelner Gewalttaten zwischenzeitlich erhöht haben. (...) Auch einzelne Fälle exzessiver Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung, die, wie etwa in Racak, in der Weltöffentlichkeit der serbischen Seite zur Last gelegt werden und große Empörung ausgelöst hatte (...), lassen nach Zahl und Häufigkeit derartiger Exzesstaten unter den gegebenen Umständen nicht den Schluss zu, dass deshalb jeder im Kosovo lebende Albaner mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt ist und mithin auch jeder Rückkehrer von Tod und schwersten Verletzungen bedroht sei." (ebd., S. 9 f)
 

VI. Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 24. Februar 1999 (Az: 14 A 3840/94.A):
"Für ein geheimes Programm oder einen auf serbischer Seite vorhandenen stillschweigenden Konsens, das albanische Volk zu vernichten, zu vertreiben oder sonst in der vorstehend beschriebenen extremen Weise zu verfolgen, liegen keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte vor. (...) Wenn die serbische Staatsmacht ihre Gesetze durchsetzt und dadurch zwangsläufig Druck auf die sich vom Staat abkehrende und eine Boykotthaltung einnehmende albanische Volksgruppe ausübt, geht die objektive Zielrichtung dieser Maßnahmen eben nicht auf ein programmatische Verfolgung dieser Bevölkerungsgruppe. (...) Selbst wenn der serbische Staat wohlwollend in Kauf nimmt oder gar beabsichtigt, dass ein Teil der Bürger, der in einer solchen Situation für sich keine Perspektiven sieht oder Zwangsmaßnahmen entgehen will, ins Ausland ausweicht, stellt dies kein auf die Gesamtheit der albanische Bevölkerungsmehrheit (im Kosovo) zielendes Verfolgungsprogramm dar." (ebd., S. 44 f)

"Wenn im übrigen der (jugoslawische) Staat auf die Separatismusbestrebungen mit konsequenter und harter Durchführung der Gesetze sowie mit antiseparatistischen Maßnahmen reagiert, denen sich ein Teil der Betroffenen ins Ausland entzieht, ist dies kein vom (jugoslawischen) Staat programmatisch gesteuerter Vorgang, der auf die Ausgrenzung und Vertreibung der Minderheit abzielt, sondern im Gegenteil auf ein Sicheinfügen dieses Volkes in den Staatsverband." (ebd., S.51)

"Auch die Ereignisse seit Februar/März 1998 lassen ein Verfolgungsprogramm wegen albanischer Volkszugehörigkeit nicht erkennen. Die Maßnahmen der bewaffneten serbischen Kräfte sind in erster Linie auf die Bekämpfung der UCK und deren vermutete Anhänger und Unterstützer gerichtet."(ebd., S. 55)

VII. Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 11. März 1999 (Az.: 13 A 3894/94.A):

"Albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo waren und sind in der Bundesrepublik Jugoslawien keiner regionalen oder landesweiten Gruppenverfolgung ausgesetzt." (Leitsatz 1)

Der Vorstand der Deutschen Sektion der IALANA

Marburg, den 22. April 1999

i.A. Dietmar Göttling (e-mail: Goettling [dot] Geisel [at] t-online [dot] de)

Adresse: IALANA, Postfach 1168, 35041 Marburg, Tel.: 06421/23027, Fax: 06421/15828

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