Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz

von Ilse-Marie Wülpern

Wir Deserteure, Kriegsdienstverweiger und "Wehrkraftzersetzer" des II. Weltkriegs haben im Oktober 1990 unsere Bundesvereinigung gegrün­det. Über hundert Zeitungen, Radio- und TV-Sendungen haben seitdem über uns berichtet.

Es ist uns auch gelungen, die führenden Historiker auf diesem Gebiet für unse­ren wissenschaftlichen Beirat zu gewin­nen. Im Juni 1991 haben wir dann im Zentrum Bremens eine Geschäftsstelle eröffnet, in der drei Mitarbeiterinnen über ABM mit viel Sachkenntnis und Engagement ihre vielseitige Arbeit auf­genommen haben.

Im letzten Jahr hatten wir zunächst ei­nige Rückschläge, z. B. ist am 30. Ok­tober 90 ein Antrag der GRÜNEN um unsere Anerkennung und Entschädigung im Bundestag auch deshalb gescheitert, weil dem Ausschuß Informationen vor­lagen, daß es "nur" ca. 10.000 Todesur­teile gegen uns gab, die NS-Militärjustiz ein Hort der Rechtsstaatlichkeit war etc. Grundlage dieser Informationen waren z.B. Veröffentlichungen von Prof. Schwinge, einer der furchtbarsten NS-Militärrichter und nach dem Kriege Rektor der Universität Marburg.

Nun hat am 11. September 1991 das Bundessozialgericht Kassel in einem Grundsatzurteil der Witwe eines hinge­richteten Deserteurs nach einem 6-jähri­gen Rechtsstreit eine Rente zugespro­chen. Das Gericht ging nach neuen For­schungen (unseres wissenschaftlichen Beirats) von 50.000 Todesurteilen aus; die "NS-Militärführung" und die Urteile seien durchweg Unrechtsurteile im Sinne des Entschädigungsrechts. Nur in ganz wenigen Fällen - wie Mord - könnten sie rechtens gewesen sein.

Und vor allem ist die Beweislast umge­dreht worden, so daß die Behörden und Gerichte uns jetzt unser Unrecht bewei­sen müssen. Dieses Urteil erfüllt uns nach Jahrzehnten der Diskriminierung mit Hoffnung und Freude. (Dazu die FR vom 12.9.91 und "DIE ZEIT" v. 26.9.91)

Zu dem Urteil hat es bislang ca. 20 Ver­öffentlichungen gegeben, wobei uns ganz besonders der beiliegende Bericht aus "DIE ZEIT" eine Flut von Anfragen gebracht hat. Man kann sich denken, wieviel zusätzliche zeit- und finanzauf­wendige Arbeit das alles mit sich bringt, denn trotz des Urteils müssen wir in je­dem einzelnen Fall unser Recht erstrei­ten.

Es geht uns aber nicht nur um die De­serteure und Wehrkraftzersetzer des II. Weltkriegs, sondern auch um die zehn­tausende von Opfer der Militärpsychia­trie, welche - wenn sie nach traumati­schen, körperlichen und seelischen Verwundungen in den NS-Psychiatrien nicht wieder fronttauglich gemacht wer­den konnten - meist in KZ's umgebracht wurden.

Und es geht uns um den Skandal, daß die zehntausenden Kriegerwitwen der hingerichteten und ermordeten Soldaten des NS-Terrors bis heute keine Kriegerwitwenrente bekommen, anders als die Kriegerwitwen der Gefallenen der Wehrmacht und der SS.

Wir wollen das nicht länger hinnehmen und uns unser Recht erstreiten. Wir wollen uns aber auch mit unserer Ge­schichte einbringen für eine humanere, gewaltfreiere Gesellschaft.

Bundesvereinigung Opfer der NS-Mili­tärjustiz e.V., Bürgermeister-Smidt-Str. 5a, 2800 Bremen 1, 0421/13853

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Ilse-Marie Wülpern arbeitet in der Geschäftsstelle der Bundesvereinigung Opfer der NS Militärjustiz in Bremen.