Warum der Westen Libyen angriff

Business as usual

von Kurt Gritsch
Im Blickpunkt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Die alten Römer kannten einen erfolgreichen Trick, um den eigenen Einfluss zu erweitern: An ihrer Grenze schürten sie unter verfeindeten Stämmen bestehende Konflikte, bis diese eskalierten. Mit der Begründung, der Krieg im Nachbarland gefährde die Sicherheit Roms, griffen die römischen Truppen dann auf Seiten des Schwächeren in den Krieg ein, verhalfen diesem zum Sieg und unterwarfen ihn anschließend selbst. Am Ende hatten sie ihre Macht auf ein neues Gebiet ausgeweitet, das sie dem Römischen Reich einverleibten. Kommt Ihnen das bekannt vor?

In Libyen schürten CIA und andere westliche Geheimdienste jahrzehntelang Spannungen zwischen dem Bengasi-Clan und Gaddafi.(1) Mit westlichen Waffen probte ersterer den Aufstand, den der Diktator vorhersehbar mit militärischer Gewalt bekämpfte. Westliche Massenmedien stellten den Bürgerkrieg jedoch als „Bombardierung von Zivilisten“ dar, weshalb Frankreich, Großbritannien und die USA zum Schutz dieser „Zivilisten“ und zur Wahrung der Menschenrechte selbst in den Krieg eingriffen. Wer, so argumentieren die Befürworter, könnte schon gegen die Verteidigung der Menschenrechte sein? Die Motive für das NATO-Eingreifen in Libyen sind jedoch vor allem wirtschaftlicher (die Kontrolle über die großen Ölreserven des Landes) und strategischer (Truppenstationierung in Nordafrika zur direkten Kontrolle der afrikanischen Flüchtlinge sowie für den Kampf gegen den Terrorismus) Natur, nicht jedoch humanitärer. Am Ende setzte sich mit den „Rebellen“ der Schwächere gegen den Stärkeren durch – und das öl- und gasreiche Libyen hat nun eine von westlicher Hilfe abhängige Regierung. Diese bedankt sich prompt und vereinbart auf der Libyen-Konferenz in Paris Zusammenarbeit beim Wiederaufbau.

A propos Wiederaufbauhilfe – wissen Sie, wer den Wiederaufbau bezahlt? Nachdem westliche Länder von „Hilfe“ sprechen, könnte man meinen, es seien diese. Weit gefehlt: Der Westen stellt teure Kredite zur Verfügung, mit denen multinationale Konzerne bezahlt werden, Aufgaben zu übernehmen, die vor der Zerstörung durch die NATO von libyschen Firmen ausgeführt worden waren. Der libysche Steuerzahler aber muss die Kredite zurückzahlen, die sein Land in Abhängigkeit gebracht haben. Das wäre so, wie wenn jemand das Haus seines Nachbarn niederbrennt, ihm dann Wiederaufbauhilfe anbietet und der Nachbar nicht nur den Wiederaufbau des Hauses, sondern auch noch die Zinsen dazu bezahlen muss. Ein gutes Geschäft, fürwahr.

Gaddafi war ein Diktator, ein exzentrischer Autokrat, ein Tyrann. Aber er hat durch seine Diktatur den Massen soziale Absicherung verschafft (z.B. gratis Gesundheitsvorsorge). Dies gelang, weil er den Reichtum Libyens nicht ausländischen Konzernen überließ, aber auch nicht nur für sich behielt. So war die Förderung der Öl- und Gasreserven hauptsächlich dem Staat vorbehalten, ausländische Beteiligungen auf 49% limitiert. Damit niemand Libyens Bodenschätze an ausländische Firmen verkauft, hat Gaddafi das Land mehr als 40 Jahre unterdrückt – quasi im Sinne der Bevölkerung, die zwar keine politischen Freiheiten, dafür aber einen gewissen Wohlstand erreicht hatte.

Die internationale Intervention in den Bürgerkrieg hat keine humanitären Ziele, nur weil ihre VerfechterInnen behaupten, zum Schutz von Menschenleben einzugreifen. Es ging und geht im Libyen-Krieg nicht, wie einzelne Befürworter des Angriffs geschrieben haben, darum, einen Diktator zu stürzen oder gar einen „neuen Hitler“ zu bekämpfen. Denn Diktatoren sind, wenn sie den eigenen Interessen dienlich sind, überhaupt kein Problem. Tunesiens Ben Ali war über Jahrzehnte als westlich orientierter Präsident ein gern gesehener Staatsmann, ebenso wie der ägyptische Herrscher Mubarak. Als Garanten für Stabilität waren diese „unsere“ Diktatoren den westlichen Regierungen stets willkommen. Westliche Massenmedien berichteten erst mit den massiven Protesten in Nordafrika über den Polizeistaat Tunesien, und Mubarak wurde erst dann zur persona non grata, als die Ägypter ihr Schicksal längst selbst in die Hand genommen hatten. Selbst Gaddafi war noch 2009 in Paris angesichts der Pläne zum Bau von sieben französischen Atomkraftwerken ein gern gesehener Gast. Italien verbrüderte sich in Form des sich anbiedernden Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi sogar noch im August 2010 bei aufwändig inszenierten Feiern in Rom mit Gaddafi-Libyen. Es spielt also keine Rolle, ob ein Herrscher Demokrat oder Tyrann ist. Die Dämonisierung Gaddafis folgte schlicht und einfach massenmedialer Strategien zur Feindbildkonstruktion, die in Kriegszeiten notwendig ist.

Die Geschichte lehrt uns, dass Kriege begründet und gerechtfertigt werden müssen. Welcher westliche Bürger würde zustimmen, dass sein Land in Libyen interveniert, wenn er die Wahrheit erfahren würde? Dass der Krieg nämlich u.a. begonnen wurde, um bessere Geschäfte machen zu können, zum Nachteil der Libyer? Dass die Intervention mit unseren Steuergeldern bezahlt wird, die in Sanitätswesen und Bildung fehlen werden, während die zukünftig in Libyen erzielten Gewinne hauptsächlich den transnationalen Konzernen zufallen werden? Dass die „humanitäre Intervention“ Libyen ärmer machen und somit noch viel mehr Menschen zum Auswandern zwingen wird? Dass der „Hass auf den Westen“ (Jean Ziegler) durch die „Humanität“ unserer Regierungen noch wachsen wird?

Es ist Zeit, das Märchen von der „humanitären“ Begründung für Kriege zu entzaubern. Militärische Interventionen dienen nie den Menschen, zu deren Gunsten angeblich interveniert wird, sondern dem Intervenierenden. Für diesen ist das Geschäft mit dem Tod business as usual, indeed.

 

Anmerkung
1) „Die CIA hat mit ihrem klugen Schachzug 1981 auf den richtigen Clan gesetzt und in Bengasi militärische Strukturen etabliert. Seither kam es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen. Auf diese Unterminierung reagiert das betroffene Regime dann mit seiner Geheimpolizei und mit Folter, was die Lage nur noch verschlimmerte. Der aktuelle Konflikt schwelt also schon seit 30 Jahren.“ Mirko Knoche: „Bush und Obama müßten als erste auf die Anklagebank“. Libyen-Krieg: Der Westen will nicht nur Öl und Rache. Er will auch Chinas Einfluß eindämmen. Ein Gespräch mit Johan Galtung, in: Junge Welt, 28.5.2011.

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Dr. Kurt Gritsch, Historiker und Konfliktforscher. Forschungsschwerpunkte: Jugoslawien; vergleichende Konfliktforschung der Arabischen Revolutionen. Zuletzt erschienen: Inszenierung eines gerechten Krieges? Intellektuelle, Medien und der ‚Kosovo-Krieg‘ 1999, Georg Olms Verlag, Hildesheim 2010. Kontakt: kurt.gritsch@gmail.com