Chancen für den Aufbau einer Infrastruktur ziviler Konfliktbearbeitung?

von Martina Fischer
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Der außenpolitische Teil der Koalitionsvereinbarung, mit der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen angetreten sind, beginnt mit einem Bekenntnis zur Friedenspolitik. Es heißt, deutsche Außenpolitik orientiere sich an den Prinzipien des Völkerrechts, an den Menschenrechten, an Dialogbereitschaft, Gewaltverzicht und Vertrauensbildung und sie werde sich "mit aller Kraft um die Entwicklung und Anwendung von wirksamen Strategien und Instrumenten der Krisenprävention und der friedlichen Konfliktregelung bemühen". Die Verhandlungskommission der Bündnisgrünen konnte zunächst entscheidende Essentials ihrer Programmatik in der Agenda verankern. Über die "Kröten", die man schon beim Regierungsantritt schlucken musste (vor allem in Fragen der Abrüstung und Bundeswehrstruktur), ist ausführlich geschrieben worden.1

Auch der Paradigmenwechsel, den die rot-grüne Regierung bezogen auf die Selbstmandatierung der NATO bei der militärischen Krisenintervention vorgenommen hat, ist von VertreterInnen der Friedensforschung und -bewegung ausgiebig kritisiert worden (vgl. antimilitarismus-information 1/1999, S. 46ff; vgl. auch Andreas Zumach in der taz vom 10.11.98). Anstelle der Mechanismen der Vereinten Nationen werden die NATO-Strukturen gestärkt, die Legitimität militärischer Intervention wird kaum mehr, die Frage nach dem jeweiligen politischen Ziel und dem zu erwartenden Nutzen militärischer Einsätze für Konflikttransformation gar nicht mehr ernsthaft diskutiert. Angesichts des Stillschweigens von weiten Teilen der Fraktionen der Koalitionsparteien sogar beim Angriff US-amerikanischer und britischer Streitkräfte auf den Irak schwindet die Hoffnung, dass die fatale Weichenstellung noch korrigiert werden kann.
 

Ob die rot-grüne Regierung noch als Hoffnungsträger für friedenspolitische Veränderungen gelten kann, hängt unter anderem davon ab, ob sich die AußenpolitikerInnen von der Fixierung auf die Frage der "ultima ratio" zu lösen vermögen, um sich auf die Erfordernisse der "prima ratio" zu konzentrieren, ob sie mit vereinten Kräften dazu übergehen, die mit dem Koalitionsvertrag festgeschriebenen Spielräume für Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung auszubauen. Die Ankündigung, eine entsprechende "Infrastruktur" zu errichten, darf nicht zur rhetorischen Phrase verkommen. Um dieses Feld zu operationalisieren, ist eine Ressortabstimmung zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) und dem Auswärtigem Amt (AA) erforderlich (die in der Vergangenheit unter anderem wegen parteipolitischer Rivalitäten der jeweiligen Minister nicht zustandekam). AA und BMZ müssen in Verbindung mit Nichtregierungsorganisationen und wissenschaftlichen Einrichtungen eine konzeptionelle Debatte über die Erfordernisse präventiver Außen- und Außenwirtschaftspolitik einleiten. Nur dann, wenn die politischen Akteure den Aufbau einer Infrastruktur ziviler Konfliktbearbeitung tatsächlich als ministerienübergreifende Querschnittsaufgabe begreifen und wenn die Betrachtung von Prävention und ziviler Konfliktbearbeitung als Spielwiese und Alibi überwunden wird, sind substantielle Fördermaßnahmen zu erwarten.

Die für Entwicklungszusammenarbeit zuständige Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat (in Anlehnung an Willy Brandt) Entwicklungspolitik als die "Friedenspolitik des 21. Jahrhunderts" bezeichnet. Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass die schon 1997 in verschiedenen Studien des BMZ konstatierte Notwendigkeit der Krisenvorbeugung und Bewältigung von Konfliktursachen endlich offiziell akzeptiert wird und konzeptionelle Weiterentwicklungen nach sich zieht.

Die Diskussion um den "Zivilen Friedensdienst"
Die Diskussion wird derzeit stark vom Stichwort "Ziviler Friedensdienst" bestimmt, der jedoch nur einen Ausschnitt aus dem breiten Spektrum der erforderlichen Mechanismen für zivile Konfliktbearbeitung bildet. Das BMZ hat erste Initiativen dafür ergriffen, mit bundesdeutschen Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Trägern der Entwicklungszusammenarbeit die Möglichkeiten der Umsetzung und Förderung ziviler Friedensfachdienste und entsprechender Qualifizierungen für Fachkräfte zu erörtern. Auf Einladung der parlamentarischen Staatssekretärin im BMZ, Uschi Eid, fand hierzu im Dezember 1998 ein erstes Treffen statt, dem weitere Arbeitstagungen folgen sollen. Inzwischen wurde signalisiert, dass für das Haushaltsjahr 1999 sechs Millionen Mark bereitgestellt werden könnten. Ungeklärt ist jedoch weiterhin, wie die in Aussicht gestellten Mittel konkret eingesetzt werden und wer die Federführung übernehmen soll.
 

Der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) hat angekündigt, das Konzept im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit umsetzen zu wollen.2 Auch bei der "Arbeitsgemeinschaft der Dienste" (Ag dD), einem Zusammenschluss von Personal-Entsendeorganisationen der EZ, ist ein Konzept für einen möglichen Beitrag zur Umsetzung von Friedensfachdiensten in Arbeit. Gleichzeitig setzen sich verschiedene Dachverbände von NGOs aus dem Bereich der Friedensarbeit für die Förderung und Professionalisierung zivilgesellschaftlicher Ansätze der Konfliktbearbeitung ein.

Das "Forum Ziviler Friedensdienst" (Forum ZFD), ein 1994 gegründeter Zusammenschluss von inzwischen 30 Friedensgruppen und 100 Einzelpersonen) verfolgt das Ziel der "Verwirklichung der Idee eines zivilen Friedensdienstes als staatlich geförderter Dienst von weiblichen und männlichen Fachkräften in pluraler gesellschaftlicher Trägerschaft". Helga Tempel, Sprecherin des Vorstands des Forums ZFD führt aus: "Der ZFD möchte letztlich, dass (...) den Anforderungen nach internationaler Unterstützung und Präsenz entsprochen werden kann, am besten, indem ein Pool von ausgebildeten Friedensfachkräften auf Abruf zu entsprechenden Einsätzen bereit ist" (Ziviler Friedensdienst und Friedensfachdienst, in: Ohne Rüstung leben, Informationen 4/ 1998, S. 86). Für Gewaltprävention und Konfliktnachsorge sollen demnach eine Vielzahl ausgebildeter Teams zur Verfügung stehen. Einem Memorandum zufolge, das Anfang März vorgestellt wurde, möchte das Forum ZFD mit den Mitteln des BMZ einen mehrmonatigen Ausbildungsgang etablieren, "Zentralstellenfunktion für Entsendeorganisationen" übernehmen bzw. "deren auf den ZFD gerichtete Arbeit" koordinieren und darüber hinaus für spezielle Programme in osteuropäischen Konfliktregionen selbst als Entsendeeinrichtung fungieren. Der Finanzbedarf für die Umsetzung dieser Vorschläge für Einsatz und Qualifizierung wird mit 5,2 Millionen Mark jährlich angegeben.

Die "Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden" (AGDF), ein Zusammenschluss von 31 Friedensorganisationen im Bereich der evangelischen Kirche, von denen einige dem "zivilen Friedensdienst" auch kritisch gegenüberstehen), hatte im Dezember ein Memorandum zur Förderung von Friedensfachdiensten vorgelegt. Die AGDF-Mitgliedsorganisationen favorisieren eher dezentrale Strukturen für Maßnahmen ziviler Konfliktbearbeitung. Sie betonen vor allem die Vorrangigkeit von "empowerment" und Qualifizierung einheimischer Fachkräfte in Konfliktregionen. Der Finanzbedarf wurde mit zwei Millionen jährlich angegeben.

Das Interesse des DED, Ansätze der Friedensarbeit in den Maßnahmenkatalog der Entwicklungszusammenarbeit aufzunehmen, ist sehr zu begrüßen. Gleichwohl hat Willi Erl, ehemaliger Geschäftsführer des DED und Mitbegründer des Forums ZFD, verdeutlicht, dass weder der DED, noch die übrigen in der "Arbeitsgemeinschaft der Dienste" (AgdD) zusammengeschlossenen Entwicklungsdienste (mit Ausnahme des Weltfriedensdienstes und des christlichen Dienstes Eirene) über die erforderliche Erfahrung in der Friedensarbeit verfügen, um einen Alleinvertretungsanspruch für das Thema des "zivilen Friedensdienstes" zu erheben (vgl. E+Z, 3/ 1999, S. 60): Bei den Verfahren der Konfliktvermittlung zwischen verfeindeten Gruppen, beim Erlernen von Möglichkeiten des gewaltfreien Umgangs mit Konflikten, der Stärkung von Friedenspotentialen, der Konfliktnachsorge (Traumaarbeit und Verständigungsarbeit) haben sie Nachholbedarf. Umgekehrt hat die Evaluation des Pilotkurses des vom Forum ZFD und der AGDF gestalteten Modellprojekts "Ausbildung in ziviler Konfliktbearbeitung" in Nordrhein-Westfalen gezeigt, dass die Friedensorganisationen bei der Frage der Personalauswahl und Motivationsklärung wie auch bei der Praxisvorbereitung wiederum von den Entsendeorganisationen der EZ wichtige Erfahrungen übernehmen können.3 Daher wäre zu wünschen, dass zwischen den unterschiedlichen, an Präventions- und Konfliktarbeit interessierten staatlichen Einrichtungen und gesellschaftlichen Gruppen ein Austausch etabliert würde, der sich nicht nur auf die Sicherung von Haushaltsanteilen sondern auch auf die Diskussion der praktischen Erfahrungen, Anforderungsprofile und Ausbildungsinhalte konzentriert. Das bereits seit einigen Jahren praktizierte "Konsortium Ziviler Friedensdienst" bietet Ansatzpunkte dafür, die aber mit einiger Willensanstrengung von allen Seiten weiter ausgebaut werden müssten. Die staatliche Ebene in Gestalt der zuständigen Ministerien wiederum sollte akzeptieren, dass es einen Bedarf an Aktivitäten des "peace-building" sowohl durch staatliche als auch durch gesellschaftliche Träger gibt, und (nach Erarbeitung eines übergreifenden Gesamtkonzeptes sowie nachvollziehbarer Vergabekriterien) eine Streuung der bereitgestellten Mittel unter den beteiligten Verbänden vornehmen.

Die Herausforderung: Förderung von Friedenslobbies in Konfliktregionen
Es wäre jedoch verkürzt, das Anliegen der "zivilen Konfliktbearbeitung" auf die Etablierung eines "zivilen Friedensdienstes" einzuengen. Zum einen bildet er nur eine mögliche Institutionalisierungsform von Friedensfachdiensten (vgl. Iris Smidoda in Ohne Rüstung Leben Nr. 84, 2/98). Zum anderen ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Intervention von externen Akteuren oder Dritten Parteien zwar in bestimmten Konfliktsituationen effektiv sein kann, dass konstruktive Konfliktbearbeitung aber nicht notwendigerweise an diese gebunden ist, sondern auch bzw. vorrangig von Akteuren in den Krisenregionen selbst betrieben werden kann und soll. Dauerhafte Friedensprozesse hängen davon ab, ob es gelingt, in Konfliktregionen sogenannte "peace constituencies" zu schaffen: Friedensallianzen aus einer Vielfalt an zivilgesellschaftlichen Akteuren (aus der Geschäftswelt, aus Berufsverbänden, Kirchen, Medien, privaten Bürgerinitiativen, Erziehungs- und Ausbildungseinrichtungen sowie Nichtregierungsorganisationen), die gegen Gewaltkulturen arbeiten und sich am Aufbau von Mechanismen zur friedlichen Konfliktbearbeitung beteiligen. Es geht darum, Netzwerke von Personen zu schaffen, die ein persönliches Interesse an Konfliktregelung haben und über den Einfluss und die Fähigkeiten verfügen, dieses auch umzusetzen. Ausländische Fachkräfte können diesen Prozess zwar maßgeblich unterstützen (etwa indem sie einheimischen AktivistInnen Möglichkeiten des internen Austausches und der Vernetzung bieten, um ihre Kräfte zu bündeln, die Suche nach Ressourcen erleichtern oder Angebote zur Weiterqualifizierung vermitteln). Aber die eigentliche Friedensarbeit ist von einheimischen Akteuren und Bürger-Initiativen zu leisten.
 

BMZ und AA müssen daher Budgetlinien für die materielle Absicherung und politische Unterstützung für Projekte des "peace-building" einheimischer NGOs in Krisenregionen schaffen und dabei die Transformations- und Transitionsgesellschaften im osteuropäischen Raum und im Gebiet der GUS einbeziehen. Es bedarf gleichzeitig einer Entbürokratisierung und Flexibilisierung der Vergabepolitik, die auf die Bewegungsdynamik der zivilgesellschaftlichen Träger in jenen Regionen abgestimmt werden muss. Allein für die Vorbereitung und den Einsatz von einheimischen Fachkräften und Fachkräften, die zu deren Unterstützung entsandt werden, sowie für die Evaluation von Projekten müssten pro Jahr insgesamt 15-20 Millionen Mark zur Verfügung gestellt werden.

Eine zentrale Voraussetzung für die Schaffung zivilgesellschaftlicher Strukturen in Konfliktregionen ist die Errichtung von Institutionen der Rechtsstaatlichkeit und von Gewaltmonopolen in Nachkriegsregionen. Ein wichtiger Bereich, in dem bundesdeutsche Außenpolitik zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen in Konfliktregionen beitragen kann, ist die Entsendung von Personal zur Unterstützung solcher Transformationsprozesse. Das umfasst die Ausbildung von PolizistInnen für Aufgaben der Beratung beim Umbau von Gewaltapparaten und auch von Personal für Justizmonitoring. Im Zuge der Implementierung der "International Police Task Force", die mit der Reform der Polizeien in Bosnien-Herzegovina betraut wurde, wurde immer wieder auf die Schwierigkeit verwiesen, genügend PolizeibeamtInnen dafür abzustellen, weil diese aus dem nationalen Dienst abgezogen werden müssen. Es wäre daher erforderlich, ein gewisses Kontingent von PolizistInnen vorzuhalten, die speziell für derartige Auslandseinsätze geschult werden.

Bei der Implementierung der laufenden OSZE-Mission im Kosovo hat sich zudem erneut gezeigt, dass dringend Qualifizierungsmaßnahmen für Personen erforderlich sind, die unter dem Mandat von Staatenorganisationen - sei es zur Wahlbeobachtung oder zum Menschenrechts-"monitoring" oder für "fact-finding-missions" - in Krisenregionen entsandt werden. Diese Einschätzung hat sich inzwischen vor allem im Auswärtigen Amt durchgesetzt. Dort denkt man derzeit verstärkt über Anforderungen und Gestaltung angemessener Ausbildungsmaßnahmen nach.
 

Die genannten Vorschläge und Maßnahmen lassen sich nicht zum Nulltarif realisieren. Umfassende Maßnahmen zum Aufbau einer Infrastruktur für zivile Konfliktbearbeitung können am ehesten realisiert werden, wenn Mittel aus dem militärischen Bereich dafür umgewidmet werden. Die Möglichkeit dafür wird durch einen Verteidigungsminister, der eine Erhöhung des Budgets für die Truppe anstrebt, eingeschränkt. Dennoch und erst recht angesichts der Entscheidung des Parlaments, in den kommenden Jahren die ständige Stationierung von ca. 10.000 Bundeswehrsoldaten auf dem Balkan zu finanzieren, muss der Forderung, die Haushaltspolitik dem Prinzip der Vorrangigkeit ziviler Maßnahmen der Konfliktbearbeitung anzupassen, immer wieder Nachdruck verliehen werden. Der Vorschlag für eine fünfprozentige Kürzung des Verteidigungshaushalts, der von

Bündnis 90/Die Grünen im Bundestagswahlprogramm vorgebracht wurde, wäre weiterhin ein notwendiger und glaubwürdiger Schritt in diese Richtung.

Anmerkungen
1. Die FachpolitikerInnen Angelika Beer, Winfried Nachtwei und Christian Sterzing haben sie in einer Stellungnahme mit dem Titel "Friedenspolitischer Aufbruch oder Kapitulation?" für die Fraktionsarbeitsgruppe "Frieden, Abrüstung und Verteidigung" dargelegt.

2. Jürgen Wilhelm, der neue Geschäftsführer des DED hat dies in verschiedenen Zeitungsinterviews verdeutlicht (vgl. FAZ 8.12.1998, S. 19) und anschließend in seinem Beitrag "Ziviler Friedensdienst - Eine neue Aufgabe für den DED", (Entwicklung & Zusammenarbeit 2/1999, S. 32ff) ausdifferenziert.

3. Vgl. Fischer, Martina: Evaluation des Modellprojekts "Ausbildungskurs zivile Konfliktbearbeitung" im Auftrag der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, Berlin/ Wuppertal 1998 (Leitung: Prof Dr. Gerda Zellentin, Bergische Universität Wuppertal).

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