Chancen kommunaler Ausländer- und Flüchtlingspolitik - am Beispiel Bonn

Hintergrund
Hintergrund

Nachdem der Rat der Stadt Bonn ein Wechsel von Schwarz zzu Rot-Grün stattgefunden hatte, haben sich die Ausländerinitiativen, friedens- und Menschenrechtsgruppen zusammengesetzt und Forderungen für eine neue kommunale Flüchtlings- und Ausländerpolitik formuliert, die die angesichts der Bundesgesetzgebung verbliebenden Spielräume offensiv im Sinne der Flüchtlinge ausnutzen helfen sollen. Wir dokumentieren im Folgenden das Forderungs-Papier - als Ideen-Sammlung für vielleicht ähnliche Initiativen in anderen Städten.

Forderungen zur kommunalen Ausländerpolitik in Bonn (verabschiedet am 07.11.1995)

Bisher sehen wir die an der Flüchtlings- und Ausländerarbeit befassten Initiativen und Vereine sowie die in diesem Bereich tätigen Fachleute nicht die nach dem politischen Wechsel möglichen und notwendigen Änderungen kommunaler Ausländerpolitik. Wir fordern eine demokratische Teilhabe an den Entscheidungen sowohl der politischen Organe wie der Verwaltung. Im Einzelnen treten wir für folgende Forderungen ein, die im Rahmen der kommunalen Handlungsspielräume umgesetzt werden können:

GRUNDSATZ: Die Verwaltung wird angewiesen, in allen Fragen und Entscheidungen, die den Aufenthalt, die Rechtssicherheit und die soziale Situation von AusländerInnen betreffen, ihre Spielräume extensiv und zugunsten von MigrantInnen und Flüchtlingen zu nutzen.

1.    Der Stadtrat richtet eine "Kommission zur Überprüfung von Aufenthaltsbeendigungen" ein. Aufgabe ist die rechtliche Überprüfung von Abschiebungen, die die Ausländerbehörde veranlasst. Eingabeberechtigt sind die Betroffenen und die Mitglieder der Kommission.

      Die Kommission hat zu bewerten, ob der Grundsatz der extensiven Ausnutzung der rechtlichen Spielräume zugunsten der MigrantInnen und Flüchtlingen eingehalten wurde und in diesem Sinne eine Empfehlung an die Verwaltungsspitze abzugeben.

      Bei Abschiebungsandrohungen und Ausweisungen verweist die Ausländerbehörde neben der Rechtsbehelfsbelehrung auch auf die Möglichkeit der Befassung durch die Kommission. Die Einlegung eines Widerspruchs wird nicht durch die Befassung der Kommission überflüssig. In Fällen, die bei der Kommission anhängig sind, sieht die Verwaltung von der Vollstreckung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ab.

      Die Zusammensetzung der Kommission soll gewährleisten, daß sie politisch getragen und fachlich anerkannt ist. Es sollen Mitglieder nominiert werden, die sich für die Interessen von MigrantInnen und Flüchtlingen engagiert haben. Die Mitglieder der Kommission arbeiten ehrenamtlich. Die Ausländerbehörde ist auskunftspflichtig, aber nicht stimmberechtigt. Die Kommission tagt zum Schutze der Betroffenen in nicht-öffentlicher Sitzung.

      Die jetzt von der Stadt Bonn eingesetzte "Ausländerrechtliche Beratungskommission" halten wir für unzureichend.

2.    Die kommunale Ausländerbehörde stellt keine Anträge zur Durchführung einer Abschiebehaft. Die Stadtverwaltung trägt nicht zur Durchführung von Razzien gegen Illegalisierte bei.

3.    Kinder und Jugendliche, die ohne ihre Eltern hierhergekommen sind, müssen aus humanitären Gründen ein Aufenthaltsrecht bekommen. Hier sei an die UNO-Kinderkonvention erinnert.

4.    Die Stadt Bonn soll sich auf Bundes- und auf Landesebene dafür einsetzen, daß ausländische Botschaftsangehörige eine Möglichkeit zur Aufenthaltsverfestigung erhalten. Dies ist besonders dringlich wegen des Umzugs der Regierungsorgane nach Berlin und der zu erwartenden Verlegung und Verkleinerung zahlreicher Botschaften und Konsulate.

5.    Die Verwaltung wird verpflichtet, eine für die Betroffenen bestmögliche Beratung durchzuführen. Dies gilt für alle Fragen der Aufenthaltsverfestigung und der Familienzusammenführung, hinsichtlich Umverteilungsanträgen, für Vergünstigungen aufgrund neuer Erlasse, oder für die Verfahrungsweisen zur Durchsetzung von Rechten (z.B. bei der Realisierung des Anspruchs auf Sozialhilfe) etc. Entsprechende Aktivitäten der Verwaltung müssen überprüfbar sein, z.B. durch die Verpflichtung, Aktenvermerke anzulegen.

6.    Die Stadt Bonn richtet eine Ombudsstelle ein. Hier sollen MigrantInnen und Flüchtlinge Hilfestellung im Umgang mit Behörden erhalten, sowie konkrete Unterstützung, wenn sie sich in ihren Rechten benachteiligt sehen.

7.    Die Stadt Bonn wird aufgefordert, sich öffentlich und in allen relevanten Gremien (Stadtrat, Deutscher Städtetag, etc.) gegen Sondergesetze im Sozialberreich, insbesondere gegen das Asylbewerberleistungsgestz, auszusprechen.

8.    Die Stadt Bonn soll sich dafür einsetzen, daß ausländische StudentInnen den deutschen gleichgestellt werden. Insbesondere soll die regelmäßige Überprüfung von Studienleistungen entfallen, in der Frage des Fachwechsels sowie der Regelstudienzeit soll der Ermessensspielraum großzügig genutzt werden. Die Stadt Bonn soll sich dafür einstzen, daß auch ausländische StudentInnen während des Semesters arbeiten können.

9.    Bei der Erteilung einer Duldung wird derzeit als Voraussetzung der Nachweis der Anmeldung verlangt, was Flüchtlingen oft nicht möglich ist und sie in ein aussichtsloses Asylverfahren zwingt. Bei Flüchtlingen soll eine Duldung unabhängig von den Erfordernissen der Anmeldung gewährt werden.

10. Die zwangsweise Heranziehung zur Arbeit nach _ 19 BSHG soll für AusländerInnen und Deutsche abgeschafft werden. Insbesondere für AusländerInnen außerhalb der EU kann das im Gesetz formulierte Ziel der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nicht erreicht werden, da ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert, bzw. verschlossen ist. Die Stadt Bonn soll aktuelle Benachteiligungen auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt durch besondere Sprach- und andere Qualifizierungsprogramme ausgleichen helfen. Sie soll Wege und Formen besonders leichten Zugangs fördern. Programme wie "Arbeit statt Sozialhilfe" sollen ausgebaut werden. Voraussetzung dafür kann nur die freiwillige Teilnahme und die Anbindung an tarifvertragliche Regelungen sein.

11. Für Flüchtlinge soll Wohnraum bereitgestellt werden, der in Größe und Ausstattung zumindest dem Standard von Sozialwohnungen entspricht. Hierzu ist ein Sofortprogramm zu entwickeln. Dieses Programm soll sowohl Baumaßnahmen umfassen, aber auch die Bereitstellung von fehlbelegtem und leerstehendem Wohnraum. Ebenfalls soll Flüchtlingen der Zugang zu Sozialwohnungen mittels Wohnberechtigungsschein eröffnet werden.

12. Folteropfern soll in Bonn Möglichkeit zur psycho-sozialen Betreuung gegeben werden. Analog zu Einrichtungen in Köln oder Berlin soll die Stadt Bonn die Finanzierung eines Beratungs- und Therapiezentrums unterstützen.

13. Die Stadt Bonn soll eine Antidiskriminierungsstelle einrichten. Ziel dieser Stelle soll die Dokumentation von Diskriminierungen und die Entwicklung von Maßnahmen zu deren Abbau sein. die Antidiskriminierungsstelle soll vor Benachteiligungen schützen, z.B. beim Zugang zu städtischen Einrichtungen und zu Institutionen der Erziehung und Bildung, beim Zugang zum öffentlichen und privaten Sektor des Arbeitsmarktes, sowie zum öffentlichen und privaten Wohnungsmarkt und zu anderen privatwirtschaftlichen Sektoren. Diese Stelle wirkt darauf hin, daß keine Ausgrenzungen gegenüber MigrantInnen und Flüchtlingen durch die berufsständischen Kammern und Innungen praktiziert werden. Alle Entscheidungen der Verwaltung, die ausländische Wohnbevölkerung betreffen, sollen dieser Stelle vorgelegt werden, damit sie zu diskriminierenden Auswirkungen auf die Betroffenen Stellung nehmen kann.

14. Die Möglichkeit, muttersprachlichen Ergänzungsunterricht in der Schule in Anspruch zu nehmen, soll ausgebaut werden. An der Entscheidung daran, in welchen Schulen welche Sprachen angeboten werden, sollen die zuständigen Gewerkschaften, Eltern- und SchülerInnenvertretungen, der Ausländerbeirat sowie die Wohlfahrtsverbände beteiligt werden.

15. Die Stadt Bonn hat die Aufgabe, Öffentlichsarbeit durchzuführen, die zur Aufklärung über Ursachen von Migration und Flucht beiträgt. Sie muß über die Situation von AusländerInnen aufklären mit dem Ziel, Toleranz und Interkulturelles Verständnis zu fördern. Entsprechende Vorhaben von Initiativen und Einrichtungen müssen gefördert werden.

16. Öffentliche Mittel sollen an Selbsthilfeorganisationen von MigrantInnen und andere in diesem Bereich tätige Vereine vergeben werden, deren Zielrichtung ein antirassistisches und multikulturelles Bonn ist. Hierfür ist ein spezieller Haushaltsposten auszuweisen, die Vergabe der Mittel soll transparent sein.

17. Die MitarbeiterInnen der Behörden sollen über die Probleme und die Situation von MigrantInnen informiert und fortgebildet werden. Ein spezieller Bedarf besteht hier vor allem bei MitarbeiterInnen der Ausländer-, Sozial und Wohungsbehörde.

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