Interview mit Andreas Buro

Chancen und Fallstricke Ziviler Konfliktbearbeitung

von Redaktion FriedensForum

Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview des FriedensForums mit Andreas Buro. Darin haben wir Probleme aufgegriffen, die immer wieder in der Debatte um das Konzept Ziviler Konfliktbearbeitung (ZKB) benannt werden. Die Fragen formulierte Redaktionsmitglied Martin Singe.

ZKB: Ein Menschheitsprojekt
FF: Was sind aus Deiner Sicht die zentralen Prinzipien für ZKB?

AB: Konflikte ohne militärische Drohung und Militäreinsatz zu bearbeiten. Sich um die Schaffung von Vertrauen und Kooperation zum beidseitigen Nutzen zu bemühen. Bei bereits gewalttätig eskalierten Konflikten kommt hinzu: Konflikttransformation von der militärischen auf die politische Ebene. Vertrauensbildung durch einseitige Schritte und Vorleistungen. Bekenntnis zu einer Politik der Aussöhnung und des gegenseitigen Respekts. Vorteil oder zumindest Annehmbarkeit der Vorschläge für alle Seiten. Alle Akteure sind einzubeziehen, die gesellschaftlichen, die staatlichen und die internationalen. Leitfaden sind die Menschen- und Minderheitenrechte.

FF: Könnten generell alle militärisch ausgetragenen Konflikte mit ZKB bearbeitet werden oder gibt es Differenzierungen? Ist ZKB eher etwas für Konflikte, in denen für die mächtigen Staaten sozusagen geostrategisch nichts auf dem Spiel steht und auch keine Rohstoffinteressen vorhanden sind?

AB: ZKB generell durchzusetzen, ist ein riesiges Menschheitsprojekt. Bisher ist es vorwiegend im innenpolitischen Bereich und bei regionalen Integrationsprojekten wie der EU gelungen. Ich vermute, die Chancen für die Durchsetzung von ZKB wachsen in der Zukunft, weil zwischenstaatliche Kriege sich vermindern, innerstaatliche Konflikte mit Möglichkeiten für Verhandlungen zunehmen und weil die hochmodernen Waffensysteme einerseits einen enorm hohen Aufwand erfordern, während sie andererseits, wie die Gegenwart zeigt, häufig nicht geeignet sind, die gesetzten Ziele zu erreichen. Das gilt nicht zuletzt auch für die mächtigen Staaten, wenn Geo-Interessen auf dem Spiel stehen. Chinas Afrika-Politik ist ein Beispiel dafür, dass Rohstoffinteressen nicht notwendig militärisch verfolgt werden müssen. Besonders schwierig wird ZKB dort, wo eine oder beide Konfliktseiten an einem militärischen Austrag interessiert sind, weil z. B. Kriegführen ihre wichtigste Einkommensquelle ist.

Kein funktionierendes Äquivalent fürs Militär
FF: Die Aufrechterhaltung und Absicherung einer globalen Weltordnung zugunsten der westlich-reichen Nationen sind die Ziele der Militärstrategien von USA, NATO, EU und Bundesrepublik Deutschland. Es kann doch kaum darum gehen, in diesen Militärstrategien ZKB als funktionales Äquivalent einzusetzen?

AB: Zunächst: Die Methoden ZKB sind so verschieden von denen des Militärs, das sie nicht als „funktionales Äquivalent“ dienen können. Ansonsten wäre ich glücklich, wenn die mächtigen Staaten ZKB in Verfolgung ihrer Interessen einsetzen würden. Das würde menschliches Leid und viel Not ersparen. Interessenkonflikte wird es selbstverständlich immer geben. Die Frage ist nur, wie sie ausgetragen werden. Werden durch ZKB ein besseres gegenseitiges Verständnis erreicht und intelligentere Lösungen als militärischer Konfliktaustrag gefunden, so wäre das ein wichtiger Schritt vorwärts.

FF: Ist unter kapitalistischen Rahmenbedingungen eine Überwindung von Krieg und Gewalt zugunsten von ZKB-Lösungen möglich?

AB: Unter allen Gesellschaftsformationen der Geschichte hat räuberische und kriegerische Gewalt eine große Rolle gespielt. Die Globalisierung und die damit verbundene Verzahnung der einst nationalen Kapitale und ihrer Interessen, sowie die internationale Institutionalisierung lassen hoffen, ZKB könne sich zumindest erheblich ausweiten. Große Anstrengungen und auch erhebliche materielle Mittel werden innerstaatliche Konflikte erfordern. Hier spielen oft extreme Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Verarmung insbesondere dort, wo nationale „Eliten“ in Gemeinsamkeit mit internationalen Konzernen sich bereichern und ihre eigenen Völker ausplündern eine ausschlaggebende Rolle.

Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte
FF: Kann ZKB auch zur Überwindung der strukturellen Gewalt beitragen? Das weltweite Gewalt- und Unterdrückungspotential macht sich ja hauptsächlich nicht an Kriegen, sondern an struktureller Gewalt in Form von Hunger und Armut fest.

AB: ZKB bezieht sich  auf die Form des Konfliktaustrags nicht auf die Inhalte der Kompromisse. Doch es besteht eine Beziehung zwischen den angewandten Mitteln und den erreichbaren Zielen (Ziel-Mittel-Relation). Kriegerische Mittel können Hass und Feindschaft verstärken, wie man gegenwärtig in Irak und Afghanistan sieht. ZKB kann dagegen Kooperation, Aussöhnung und Empathie fördern und damit auch zu besseren Lebensbedingungen der Konfliktpartner führen. Damit dies allerdings auch für die Masse der Bevölkerung zutrifft, muss diese auf den ZKB-Dialog Einfluss nehmen oder sogar an ihm partizipieren können. Läuft der ZKB-Dialog nur über die Eliten mit ihren besonderen Bereicherungsinteressen, so wird eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung ausbleiben. Die Frage nach der Überwindung struktureller Gewalt durch ZKB ist demnach eng damit verbunden, ob auch die gesellschaftlichen Kräfte einbezogen werden.

FF: Verstehst Du ZKB nur als eine außenpolitische Strategie oder hat sie auch innenpolitisch Bedeutung?

AB: Sowohl als auch. Nur wenn es gelingt, eine „Kultur des Friedens“ (UNESCO) und damit zivile Formen des Konfliktaustrags in den Gesellschaften zu entfalten, wird die Bereitschaft gestärkt, sich auch außenpolitisch im Sinne von ZKB zu verhalten. Das werden auch politische Repräsentanten berücksichtigen müssen.

Vorsicht vor zivil-militärischer Täuschung
FF: Du hast einmal von Fallstricken für die ZKB gesprochen. Ist die Zivilmilitärische Zusammenarbeit (ZMZ, englisch CIMIC), also die Nutzung ziviler Konfliktbearbeitungsmöglichkeiten im Kontext militärischer Gesamtlogik und in Unterordnung zu militärischer Gesamtplanung ein Schritt in Richtung ZKB?

AB: Keineswegs! Der Begriff „zivil-militärisch“ soll den Bürgern vortäuschen, das zivile stünde im Vordergrund. Militär hat schon immer zivile Fähigkeiten benötigt: Erst den Schmied für die Schwerter, den Organisator für den Nachschub, den Ingenieur für den Festungsbau, für Kanonen, Flugzeuge und Raketen, den Chemiker für die Giftgase, die ideologische Agitatoren und Pamphlete-Schreiber für die Aufhetzung der Bevölkerung und die Legitimierung des Krieges, die Ärzte für das Zusammenflicken der Verwundeten usw. Neu ist, dass Großmächte wie die USA und Bündnisse wie die NATO für die Bearbeitung der Folgen von „siegreichen Kriegen“ einen großen zusätzlichen Bedarf  an Technikern und administrativem Personal haben, um den Widerstand der unterworfenen Bevölkerung durch Versorgung mit Grundbedürfnissen zu verringern, was allerdings meist nicht funktioniert, wie Irak und Afghanistan zeigen. Das alles hat jedoch nichts mit ZKB zu tun, sondern liegt in der Tradition des militärischen Konfliktaustrags.

Große Hindernisse müssen überwunden werden
FF: Welches sind die wichtigsten Hindernisse auf dem Wege zur ZKB?

AB: Erstens: Krieg und Gewalt sind als scheinbar selbstverständliche Art des Konfliktaustrags tief in der Psyche der Menschen verankert. Die Geschichtsbücher berichten vorwiegend glorifizierend über Kriege. Sie werden demagogisch auf menschliche Eigenschaften zurückgeführt und dadurch zum letztlich unabänderlichen Naturphänomen stilisiert. Zweitens: Militär-gestützte Politik wird begleitet von  Legitimationsideologien über den „Gerechten Krieg“, die „Humanitäre Intervention“ bis zum „Krieg gegen den Terror“ und „Krieg für Menschenrechte und Demokratisierung“. Dadurch sollen die BürgerInnen über den wahren Charakter der Kriege getäuscht und zu seiner Unterstützung animiert werden. Diese Ideologien produzieren das demagogische Feindbild der Bösen und das unkritische Freundbild der Guten. Drittens: Die materiellen Interessen an Rüstung und Krieg beim Militär, der Rüstungsindustrie, bei privaten Waffenhändlern und Söldnerunternehmen, bei Kämpfen um Rohstoffe, Märkte und strategische Positionen usw. Es kommt noch etwas hinzu: Wer wie zum Beispiel  die USA und Russland sehr hohe Militärinvestitionen getätigt hat, wird immer wieder geneigt sein, diese Investitionen für die Durchsetzung seiner Interessen direkt oder indirekt einzusetzen. Ein viertes Hindernis könnte sein, dass diejenigen die sich für ZKB einsetzen, den Blick für die Realität verlieren und glauben, die Akteure würden selbstverständlich nach Frieden streben und sich diesem Ziel entsprechend vernünftig verhalten. Ich habe in diesem Zusammenhang oftmals von idealistischer Irrelevanz gesprochen.

FF: Es gibt viele mit Verstand und Geld ausgestattete Forschungs- und Politikberatungsinstitute. Warum setzen diese nicht viel stärker auf ZKB?

AB: Politikberatung erfordert, will man gehört werden, sich auf die tatsächlich betriebene Regierungspolitik zu beziehen. Vorschläge werden sich deshalb eher im immanent taktischen Bereich  bewegen und grundsätzliche Kritik und Alternativen vermeiden. Die Friedensforschung selbst hat einen größeren Spielraum, hat aber auch mehr Schwierigkeiten, in der Regierungspolitik Gehör zu finden. Mein großer Wunsch an diese Institute ist, sie mögen sich neben ihren vielen guten Analysen verstärkt auf die Erforschung von Strategien zur Durchsetzung von ZKB konzentrieren. Dieser Bereich wird bisher vernachlässigt.

FF: Ist angesichts des immer perfekteren Ausbaus von militärischen Strategien und Bewaffnungen nicht Widerstand und Verweigerung die erste Pflicht der FB?

AB: Ich lehne eine Hierarchisierung dieser Aufgaben ab. Verweigerung und Widerstand müssen auch Auskunft geben können, wie sie die unvermeidlichen Interessenskonflikte zwischen Staaten und innerhalb von Gesellschaften lösen wollen. Jeder Kriegsdienstverweigerer muss seine zivile Alternative nennen können, um glaubwürdig zu sein. Nur friedfertig zu sein, ist unzureichend.

Militärischen Konfliktaustrag zurückdrängen
FF: Wie groß ist die Chance, ZKB tatsächlich durchzusetzen?

AB: Der Wandel von militärischer zu ziviler Konfliktbearbeitung und die entsprechende Abrüstung werden nicht schnell zu erreichen sein. Dazu sind die mit Rüstung und Militär verbundenen Interessen, die sie stützenden Gruppen und das traditionelle Denken in Gewalt und Gegengewalt zu stark. Trotzdem ist sehr wohl vorstellbar, dass der tatsächliche gewaltsame militärische Konfliktaustrag zurückgedrängt wird; ihm durch internationales Recht und Gerichtsbarkeit immer mehr Handlungsfelder entzogen werden; die Potentiale in den Staaten und Gesellschaften, die sich um zivile Konfliktbearbeitung und Kriegsprävention bemühen, ausgebaut werden und dadurch auch in der öffentlichen Wahrnehmung an Gewicht gewinnen; dass frühzeitig kritische Informationen zu drohenden Konflikten vermittelt werden, eine öffentliche Debatte entzündet wird und eine energische Lobby- und Medienarbeit verbunden mit Vorschlägen zur Prävention betrieben wird. Dabei ist es eine wesentliche Aufgabe für zivilgesellschaftliche Gruppen, eine kritische Gegenöffentlichkeit zu schaffen und in den Gesellschaften eine Kultur des friedlichen, auch innenpolitischen Konfliktaustrages zu entwickeln, und erfolgreiche Prävention und zivile Konfliktbearbeitung mit ihrer großen Überlegenheit für Menschen und Wirtschaft in konkreten Fällen öffentlich sichtbar zu machen. So kann es gelingen, dass sich auch in den nationalstaatlichen, wie auch in den internationalen Organisationen MitarbeiterInnen  zunehmend in diesem Sinne einsetzen, um ihre je spezifischen Aufgaben besser erfüllen zu können.

Es gilt also einen Prozess zu fördern, der in der Praxis zu verstärkter Kriegsprävention und ziviler Konfliktbearbeitung führt, der immer mehr Mittel und öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenkt und von daher eine Eigendynamik erhält. Daran können die auf Frieden orientierten Teile der Zivilgesellschaft einen erheblichen Anteil haben.

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