Bericht von einer Reise nach Palästina und Israel

Checkpoints, Hauszerstörungen, Landraub und Widerstand

von Renate Wanie

Der brutale Krieg im Gazastreifen mit seinen katastrophalen Folgen überlagert den Rückblick auf meine sechstägige Reise nach Palästina und Israel im März 2014. Die Bombardierungen und die Raketenangriffe potenzieren nur das, was ich während der Reise erlebt, gesehen und gehört habe - Zwangsenteignungen, Flucht, illegal errichtete israelische Siedlungen, Willkür und Menschenrechtsverletzungen.

Die Reiseroute (1) führt uns per Kleinbus von Hebron über Bethlehem, Ostjerusalem in die Westbank, nach Ramallah und in das Jordantal. Friedensinitiativen in Israel besuchten wir in Tel Aviv, in Sderot nahe Gaza und Jerusalem.

Hauszerstörungen und Wiederaufbau
Einen ersten Eindruck einer gewaltvollen israelischen Besatzungspolitik vermittelte uns der jüdisch-amerikanische Aktivist Dr. Jeff Halper. Er ist Gründer des Komitees gegen Hauszerstörungen (The Israeli Committee Against House Demolitions, ICADH), eine Initiative, die von israelischen SoldatInnen zerstörte palästinensische Häuser in den besetzten Gebieten wieder mit aufbaut und über die Vertreibungspolitik aufklärt. Die Zerstörung mehr als 26.000 palästinensischer Häuser habe nichts mit Sicherheit zu tun. Die Motivation sei eine rein politische.

Auf einem Hügel am Rand von Ostjerusalem informiert Jeff Halper, woran palästinensische Häuser zu erkennen sind: an den riesigen schwarzen Tonnen auf den Dächern. In den Tonnen sammeln die palästinensischen BewohnerInnen Wasser für Notsituationen. Sie sind zwar an die israelische Wassserversorgung angeschlossen. Aber wenn das Wasser im Land knapp wird, dann wird es für die palästinensischen Häuser bis über mehrere Tage abgestellt.

Shuafat, ein Stadtteil sich selbst überlassen
Tief bewegt hat mich die Situation im Stadtviertel Shuafat, ein palästinensisch-arabisches Flüchtlingslager im Nordosten Jerusalems. Rund 18.000 Flüchtlinge leben dort. Ein Stadtteil völlig sich selbst überlassen: ohne Stadtplanung, keine Bürgersteige, keine richtige Müllabfuhr, keine Infrastruktur. Selbst die Polizei fehlt. Israel verbietet, eine eigene Verwaltung aufzubauen. So verkommt dieser Stadtteil zu einem Ort von Kriminalität und Drogen.

Hebron: “Palestine never existed – (and never will)”
Dieser Slogan auf dem Transparent im jüdischen Viertel ist eindeutig: PalästinenserInnen gibt es nicht, sie sind hier nicht erwünscht. Hebron, die älteste Stadt Palästinas, nach dem Oslo-Abkommen ursprünglich unter palästinensischer Verwaltung, wird heute von militanten religiösen Siedlern terrorisiert. Normalerweise an isolierten strategischen Punkten oder am Rand von palästinensischen Ortschaften gebaut, befinden sich die jüdischen Siedlungen hier mitten in der Stadt. Der Zugang zum Basar in der Altstadt ist nur über Checkpoints erreichbar, Stacheldraht umzäunt die Siedlungen. Die ehemaligen Geschäftsstraßen sind leer, die Wirtschaft liegt am Boden. Netze überspannen stellenweise die schmalen Straßen und fangen den aus dem Fenster geworfenen Müll der Siedler auf.

Für Juden wie für Muslime gilt Hebron gleichermaßen als „heilig“, hier ist die Grabstätte des biblischen Stammvaters Abraham (arab.: Ibrahim). Seit dem Massaker eines extremistischen Siedlers an 29 betenden Muslimen im Jahr 1994 verläuft auch hier eine Grenze durch das Gotteshaus: Auf der einen Seite der Zugang über eine Moschee, auf der anderen Seite, militärisch bewacht, über eine Synagoge.

Friedensarbeit in Israel
Zahlreiche Organisationen der israelischen Friedensbewegung beraten, unterstützen, ermutigen. In Tel Aviv ist der Sitz der Non-Profit-Organisation „Zochrot“ (hebräisch, in Deutsch: Erinnerung), geleitet von Eitan Bronstein. Ziel der Initiative ist es, an die gewaltvolle israelische Staatsgründung zu erinnern und ein Bewusstsein für die „Nakba“ (die Vertreibung der PalästinenserInnen) wach zu halten. Trotz Widerstände versucht Zochrot in Schulklassen über die Gründungsgeschichte des Staates Israel aufzuklären. Im öffentlichen Diskurs über die „hebräische Nakba“ sorgt Zochrot für Unruhe, z.B. mit Namensschildern an Straßen und Plätzen, die ehemalige palästinensische Orte sichtbar machen. In Deutschland, wie z.B. in Heidelberg, rief die Nakba-Ausstellung Protest von jüdischer Seite hervor.

In der Altstadt von Jerusalem besuchen wir das katholische Menschenrechtsbüro „Society of St. Yves“. Es bietet rechtliche Beratung an, begleitet Gerichtsprozesse, z.B. bei Landkonfiszierungen und erwirkte z.B. während des 2. Golfkrieges 1991, dass auch an die palästinensische Bevölkerung Gasmasken abgegeben werden mussten. Nach der Einschätzung einer Mitarbeiterin bekomme die israelische Friedensbewegung keinen Nachwuchs, die Aktiven seien seit Jahrzehnten die gleichen. Dabei erinnere ich mich an eine Strategiekonferenz der israelischen Friedensbewegung im Jahr 1999, zu der ich von der Heinrich-Böll-Stiftung eingeladen war. Damals, nach einem Regierungswechsel, herrschte Aufbruchstimmung. Lernen wollten sie von AktivistInnen aus anderen Ländern, wie z.B. aus Südafrika. Mein Vortrag galt den Konzepten ziviler Konfliktbearbeitung und dem Aufbau des Zivilen Friedensdienstes.

Einen halben Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt liegt die israelische Siedlung Moshav Netiv Ha’asara, nahe Sderot, wo ein paar Tage vorher 60 Raketen einschlugen. Seit Jahrzehnten lebt hier Roni Keidar. Roni engagiert sich bei „The other Voice“, die sich den Dialog mit der „anderen Seite“, zur Aufgabe gemacht hat - über Telefon und die neuen Medien wie Facebook, SMS und per Skype. Auf ihren Brief an die Knesset, in dem sie die Auflösung der Blockade des Gazastreifens fordert, kam die Antwort „You are a dreamer“.

Westbank und Jordantal – “to exist is to resist!”
So lautet der Slogan der Kampagne “Jordan Valley Solidarity”. Gewaltfrei Präsenz zeigen, Monitoring betreiben (mit Fotos, Filmen dokumentieren) und die internationale Öffentlichkeit (mit Blogs, Medien, politische Lobby) über die Schikanen und Hauszerstörungen zu informieren sind Ziele der Kampagne.

Ausgedehnte grüne Plantagen mit Bananen, Orangen und Dattelpalmen. Paradiesisch. Genügend Wasser ist die Basis für den florierenden Anbau in den israelischen Siedlungen. Dann der Kontrast: ausgetrocknete Wasserläufe, abgeholzte Olivenhaine, zerstörte Häuser, ärmliche Zelte und Wellblechhütten der PalästinenserInnen, abgeschnitten von Elektrizität, Krankenversorgung und Kanalisation.

Seit der 2. Intifada (2000) errichtet Israel Sperranlagen aus Betonmauern (über 780 km), Zäunen und Checkpoints. Der überwiegend auf palästinensischem Boden gebaute Mauerwall zerschneidet palästinensische Grundstücke. Schwerbewaffnete Soldaten an hunderten Checkpoints kontrollieren den Verkehr zwischen palästinensischen Dörfern.

Im Westjordanland werden wir von MenschenrechtsverteidigerInnen zum Essen eingeladen. Das Haus ist zur Hälfte zerstört. Mit selbst gefertigten Lehmbausteinen soll das Haus wieder aufgebaut werden. Neben dem gewaltfreien Widerstand gegen die Besatzung steht der konstruktive Wiederaufbau von Wohnhäusern, Schulen, Kindergärten und Gesundheitszentren.

Nicht zu entmutigen sind auch die Menschen in einem arabischen Beduinendorf. Gastfreundlich empfangen wird unsere Reisegruppe von dem Dorfältesten Avid Ibrahim, Mitglied der Jordan Valley-Kampagne; er hat 3 Frauen und 22 Kinder. Sieben Mal sind seine Zelte vom israelischen Militär abgerissen worden, sieben Mal hat er sie wieder aufgebaut.

Israel sichert über die Hälfte seiner Wasserversorgung über besetztes Territorium. Während Israelis mit moderner Technik ausgestattete Brunnen betreiben, ist den PalästinenserInnen nur erlaubt, in geringer Tiefe zu bohren. Während in der Vergangenheit die Brunnen sechs Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr für die palästinensische Bevölkerung sicherten, muss sie heute Wasser von dem israelischen Unternehmen Mekorot kaufen. Die Siedlung Ma‘ale Adumin ist eigentlich eine Industriestadt mit 40.000 jüdischen EinwohnerInnen. Bevor die Region für das illegale Settlement planiert wurde, lebten hier etwa 3000 Beduinen. Jetzt produzieren in diesem besetzten Gebiet viele ausländische Firmen, wie z.B. Soda Stream (Sprudler).

Politischer Druck von außen und verhandeln
Das Grundübel ist die israelische Dauerbesatzung und der Landraub mit dem Bau von Siedlungen. Welche internationalen Handlungsoptionen liegen z.B. auf dem Tisch? Nur Druck von außen auf die israelische Regierung kann die Besatzungspolitik beenden.

Die beiden Seiten müssen an den Verhandlungstisch zurückkehren. Nur zivile Konfliktbearbeitung schafft die Grundlage für Frieden.

Die EU und auch die Bundesregierung müssen eine aktivere Rolle als bisher ausüben. Z.B. ein Boykott von Siedlungsprodukten, was eine genaue EU-Kennzeichnung der Waren voraussetzt. (s. Friedensforum 2/2014)

Fortführung der Nichtzusammenarbeit wissenschaftlicher EU- und US-amerikanischer Institutionen, z.B. mit israelischen Forschungseinrichtungen, bis Israels Regierung internationales Recht einhält.

Umsetzung der UN-Resolution Nr. 242 mit der Verpflichtung zum Rückzug aus den eroberten Gebieten von 1967.

Die palästinensische Regierung in Ramallah möge unverzüglich dem Internationalen Strafgerichtshof beitreten. Dann könne dieser endlich dem Zustand ein Ende bereiten, dass mutmaßliche Verbrechen beider Seiten im israelisch-palästinensischen Konflikt juristisch nicht ungesühnt bleiben. (2) (Appell von siebzehn angesehenen Menschenrechtsorganisationen)

Eine Zweistaatenlösung mit einer Rückgaberegelung für die besetzten Gebiete.

 

Anmerkungen
1 Die Reise der 15-köpfigen Gruppe wurde geleitet von Wiltrud Rösch-Metzler, pax-christi Bundesvorsitzende, und Dr. Beate Gilles, pax-christi Nahostkommission.

2 Khouri, Rami G.: Palästina: Frieden durch Recht. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 6’14, S. 33

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