Chiapas - Ein neues Einsatzgebiet für PBI?

von peace brigades international (pbi)
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Internationales Erkundungsteam soll Möglichkeiten überprüfen

Seit dem 1. Januar 1994 erfährt die Welt von Akten direkter Gewalt in Chiapas. Menschenrechtsverletzungen und die zugrundeliegende strukturelles Gewalt in diesem südlichen Bundesstaat des vermeintlich wirtschaftlich und politisch stabilen Mexico waren vorher kaum beachtet worden. Vorüber zwei Jahren aber lenkte der Beginn des Aufstands des "Zapatistischen Heeres der Nationales Befreiung" (EZLN-Ejercito Zapatista de Liberación Nacional) die Aufmerksamkeit auf die Bedingungen, unter denen viele Menschen in Chiapas leben. Zunehmende Übergriffe auf organisierte Zivilbevölkerung führten zur Bitte um internationale Präsenz in Chiapas.

In Chiapas herrschen noch vorrevolutionäre Eigentumsverhältnisse

Trotz des Reichtums an Erdöl, Gas und Wasserkraft sowie Kaffeeplantagen, Viehzucht und Holzverkauf und vielem mehr haben die 3,5 Mio EinwohnerInnen von Chiapas das niedrigste Pro-Kopf-Einkommen Mexikos. WEtwa die Hälfte der Bevölkerung verfügt nicht über fließend Wasser; auch andere Indizien wie Kindersterblichkeit und Analphabetenrate weisen Chiapas als den benachteiligten Staat Mexikos aus. Der erwirtschaftete Reichtum bleibt in den Händen einiger Weniger. Im Zuge der Vorbereitungen für NAFTA (Nordamerikanische Freihandelszone) änderte die Regierungspartei PRI (Partido Revolucionario Institucional) den Verfassungsartikel zu Landfragen dahingehend, daß landlose ChiapanekInnen keine Chance mehr sahen, jemals von einer Landreform, die in Chiapas zu Zeiten der Revolution von 1910 an den Großgrundbesitzern vorbeiging, profitieren zu können. Auch die staatliche Förderung des kleinbäuerlichen Agrarsektors wurde weitgehend aufgehoben; die sozialen Folgen werden durch Nothilfeprogramme kaum abgefedert. Diese Probleme auf Ebene des Bundesstaates Chiapas sowie die Demokratiedefizite auf nationaler Ebene wurden seit Jahren in friedlichen Protesten angeprangert, gelangten aber erst durch die militärische Aktion des EZLN auf die politische Tagesordnung.

Der zapatistische Aufstand und seine Folgen

Die Rebellion der zumeist jungen, indigenen Zapatisten, die ihre Gesichter unter Skimasken vernargen, begann mit der bewaffneten Besetzung der Rathäuser mehrerer chiapanekischer Städte, unter anderem des Touristenortes San Cristobal. Der Zeitpunkt des Aufstands bezog sich auf den NAFTA-Beitritt,  diesen vermeintlichen Eintritt Mexicos in die erste Welt. Die Vorbereitungen für eine bewaffnete Rebellion hatten alerdinhs schon etwa zehn Jahre zuvor in den unwegsamen Berg- und Urwaldgebieten von Chiapas begonnen.

BASTA - Uns Recht's

Der Aufstand, der mit dem Slogen "uns reichts!" begann und die Mißstände in Chiapas sowie in ganz Mexico anprangert, wird von einer relativ neuartigen Guerrilla getragen. Im Gegensatz zu den zentralamerikanischen Aufstandsbewegungen legte der EZLN Wert darauf, sich nur als bewaffneter Arm ziviler Interessen darzustellen. Ziel sei nicht die Machtübernahme, sondern es solle Spielraum für eine zivilgesellschaftliche Veränderung des mexikanischen Staates geschaffen werden. Der charismatische Sprecher des EZLN, der auch in der deutschen Presse porträtierte Subcomandante Marcos, betonte immer wieder, die Rebellen hätten selbst nichts zu verlieren, ihr Erfolg allerdings würde allen Menschen nützen, und der Dialog mit der Zivilgesellschaft sei zusammen mit der internen Basisdemokratie zentral für den EZLN.

Zivilgesellschaft und Basisdemokratie sind zentral für den EZLN

Kurz nach Beginn des Aufstands rückte das Militär aus. Menschenrechtsorganisationen berichten von extralegalen Hinrichtungen durch Angehörige des Militärs. Nach blutigen Kämpfen, die auch zivile Opfer forderten, erklärte die mexikanische Regierung am 12. Januar 1994 eine Feuer pause und rief zu Verhandlungen auf. Die Militärpräsenz in Chiapas nahm und nimmt trotz der Verhandlungsrunden zwischen Regierung und EZLN unter Vermittlung des Bischofs von San Cristobal, Samuel Ruiz, zu. Die erste Verhandlungsrunde ging nach mehreren Unterbrechungen mit einem Abkommen über indigene Kultur und Rechte zu Ende. Wichtige Punkte wie landfragen und Frieden stehen jedoch noch aus.

Nach Solidaritätsbekunden von nationaler und internationaler Seite wurde nach mehreren Versammlungen verschiedener mexikanischer Gruppen mit dem EZLN der Nationale Demokratische Konvent (CND) als Forum der Zivilgesellschaft eingerichtet. Die mexikanische Öffentlichkeit reagierte auf diese Bemühungen positiv und viele z.T. neu entstandene Gruppen nahmen an mehreren Foren teil. Im Sommer 1995 beteiligten sich überraschend viele Menschen an einer nationalen Konsultation über die Zukunft und Ausrichtung des EZLN. Nicht zuletzt daraufhin riefen die Zapatisten zum zweiten Jahrestag ihres Aufstandes zur Bildung einer neuen Bewegung auf. In dieser Frente Zapatista de Liberación Nacional sollen sich oppositionelle Gruppen mit dem EZLN zusammentun, ohne sich in eine Partei zu verwandeln. Bislang aber fürchten weite Bevölkerungsteile repressive Maßnahmen in Chiapas. Die Annahme, ortsansässige indigene Kleinbauern in den Konfliktgebieten unterstützten die Zapatisten, macht sie zur Zielscheibe staatlicher und paramilitärischer Repression.

Gewaltfreie Opposition und Organisation in Chiapas

Da Errungenschaften der Mexikanischen Revolution (1910-20) in Chiapas nie ganz umgesetzt wurden und die Erschließung der Urwaldgebiete (selva) erst in den 70er Jahren als Ventil für die Unzufriedenheit der Bevölkerung ohne Land unternommen wurde, gab und gibt es in Chiapas seit jeher scherwiegende Landkonflikte. einer zahlenmäßig kleinen Schicht von Großgrundbesitzern stehen Kleinbauern auf ejidos (gemeinschaftlich bewirtschaftetem Land) und landlose Tagelöhner gegenüber. Angesichts der Vernachlässigung durch die herrschende PRI begannen chiapanekische Bauern, unabhängig vom regierungsnahen Bauernsektor ihre Belange zu äußern.

Zivilgesellschaftliche Aktionen nehmen zu

Für den Übergang von kleinen lokalen Organisationen der chiapanekischen Kleinbauern zu regionalen und multiethnischen Verbänden wurde 1974 von Bischof Samuel Ruiz in San Cristobal ein Indigenenkongress einberufen; des Weiteren wurde die Mobilisierung von Kleinbauern auch durch Dissidentengruppen, die nach dem harten Durchgreifen der Sicherheitskräfte von 1968 (Massaker von Tlatelco) die Hauptstadt Mexikos verlassen hatten, unterstützt. Ende der 70er Jahre gab es mehrere regionale Bauernorganisationen, die auf offenen Konfrontationskurs mit der Regierung gingen. mit der wirtschaftlichen Krise der neoliberalen Wende entstanden Anfang der achtziger Jahre unabhängige Dachverbände von Produzentenorganisationen, die stärker auf Lobbyarbeit bei Regierungsstellen setzen. Seit Ende der achtziger Jahre äußert sich der Verdruss über diePRI-Herrschaft in verstärkten Protesten. Mit dem Beginn des Aufstandes bildeten sich neue unabhängige Regionalorganisationen; dabei traten vor allem die indigenen Belange (z.B. Autonomieforderungen) in den Vordergrund. In ganz Mexiko nahmen zivilgesellschaftliche Aktionen zu; dies ist bei weitem nicht auf den vom EZLN einberufenen Nationalen Demokratischen Konvent (CND) beschränkt.

guardias blancas - neue Keimzelle für Todesschwadronen?

Gruppe indigener Kleinbauern in Chiapas, die sich im Gegensatz zum EZLN unbewaffnet für soziale Gerechtigkeit und bessere Lebensbedingungen einsetzen, werden seit Beginn des Aufstandes verstärkt zur Zielscheibe von mächtigen Großgrundbesitzern. Deren paramilitärische guaradias blancas (weiße Garden), die als Keimzelle für Todesschwadronen gesehen werden können, bedrohen und schüchtern Kleinbauern ein. Auch die über 2.500 Landnahmen, die Landlose nach der Änderung des Verfassungsartikes über Landreform, der eine der Haupterrungenschaften der Mexikanischen Revolution darstellte, organisiert haben, werden von den guardias blancas bedroht. 1994 wurden nach Angaben der katholischen Kirche in San Cristobal 600 Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ermordet; die Anschläge der weißen Garden gehen straffrei aus. Mitglieder des Gegenparlaments des Oppositionskandidaten in Chiapas wurden ermordet; auch der Vermittler der Verhandlung, Bischof Samuel Ruiz und seine MitarbeiterInnen, wurden wiederholt bedroht.

Internationale Präsenz in Chiapas

Angesichts von Militärübergriffen und zunehmenden Menschenrechtsverletzungen baten einige mexikanische Organisationen in Ausland um internationale Präsenz in Chiapas, z.B. zum Schutz von gewaltfreien Gruppen wie Kleinbauern und Indigenenorganisationen, deren Mitglieder wegen ihres Engagements bedroht oder umgebracht werden. CONPAZ (Coordinación de Organismos No Gubernamentales por la Paz), ein Zusammenschluss von in Chiapas ansässigen Nichtregierungsorganisationen fragt 1994 bei verschiedenen Friedens- und religiösen Gruppen an. PBI-Spanien leitete die Anfrage, die sie im November 1994 erhalten hatten, an das internationale Büro weiter. Dort wird jetzt die Möglichkeit, ein Team zu entsenden erkundet.

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