Das FriedensForum erscheint 6x jährlich mit aktuellen Infos aus der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeexemplar zu:
Chile: Soziale Heilung durch soziale Wiedereingliederung
vonDas Militärregime, das Tausende von Chilenen ermordete und Hunderttausende ihrer Rechte beraubte, endete vor fünf Jahren. Wie repariert eine Gesellschaft den Schaden, der von fast zwei Jahrzehnten Willkürherrschaft verursacht wurde? Die Autorin dieses Artikels war eine der Frauen, die die Demonstrationen vor Pinochets Folterzentren organisierte. Sie arbeitet heute für eine staatliche Behörde, die die Entschädigung von Folteropfern organisiert. (Die Red.)
Der soziale und politische Kontext des Übergangs in Chile ist komplex. Er hängt sehr von der Marktwirtschaft und der Gewährung von Straffreiheit für diejenigen ab, die während der Diktatur Menschenrechtsverletzungen begingen. Dennoch hat es eine gewisse Versöhnung zwischen den Opfern und einigen Teilen der Gesellschaft gegeben. Aus dieser Tatsache heraus können wir einige positive Lehren für das Thema der "sozialen Heilung" ziehen.
Während der Diktatur war die Gesellschaft als ganze durch eine Zweiteilung gekennzeichnet, der von dem Regime als unversöhnlicher Kräftegegensatz dargestellt wurde:
- diejenigen, die die sozialistische Regierung von Salvador Allende unterstützt hatten und die "links dachten", wurden alle als "Kommunisten" klassifiziert; manchmal wurde dieses Label auf alle GegnerInnen des Militärregimes ausgeweitet.
- alle anderen - von denen man annahm, daß sie die autoritäre Herrschaft unterstützten - wurden die "wahren Chilenen" genannt.
Diese Teilung wurde sprichwörtlich mit der banalen aber erschreckenden Feststellung eines Junta-Mitglieds, die oftmals in der Presse und im Fernsehen wiederholt wurde: Ihm zufolge war die chilenische Bevölkerung in "Menschen" und "Menschenartige" unterteilt. Einer anderen Kategorisierung zufolge waren wir entweder "Einheimische" oder "Moskoviten". Dies war ein typisches Beispiel für die "Doktrin der nationalen Sicherheit", die auf dem Bild des "inneren Feindes" beruht.
Der Preis der Nichtzustimmung zum Regime hieß Arbeitslosigkeit, Vertreibung, Exil, Gefängnis, Folter, Hinrichtung oder Verschwinden. In diesem Kontext war es sehr klar, daß es verschiedene Kategorien von BürgerInnen gab und wir begonnen, uns gegenseitig mit Misstrauen zu beäugen. In extremen Fällen hieß es, den anderen auszuschließen. In anderen Worten, das soziale Geflecht war zerrissen.
Das soziale Geflecht anfangen zu reparieren
Der Übergang zur Demokratie und die Machtübernahme durch eine zivile Regierung wurde durch politische Aktion möglich gemacht. Der Sieg der "Nein"-Kampagne in der Volksabstimmung 1988 war ein deutlicher Schritt zur Ausrufung von Wahlen. Soziale und Nicht-Regierungsorganisationen spielten eine aktive und entscheidende Rolle dabei, diesen Punkt zu erreichen. Außerdem war auch die Unterstützung durch die katholische und andere Kirchen und die Berichte über Menschenrechtsverletzungen wichtig.
Die neuen Institutionen der zivilen Gesellschaft haben zu dem Wandel beigetragen, aber andere Faktoren schlossen internationale Solidarität, die Rolle bestimmter bewaffneter Oppositionsgruppen, das Zeugnis politischer Gefangeneer und der Verlust an Glaubwürdigkeit durch das Regime selbst ein.
Wahrheit und Versöhnung
Was waren die Hauptschritte für den Prozess der sozialen Heilung zwischen 1990 und 1995? Der erste ist die Schaffung einer "Kommission für Wahrheit und Versöhnung" durch den ehemaligen Präsidenten Patricio Aylwin, die für die Ermittlung der schwersten Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war. Diese Ermittlungen dauerten neun Monate und beschränkten sich auf Todesfälle und auf Fälle spurlosen Verschwindens. Die Kommission war gefragt, Empfehlungen abzugeben, wie Wiedergutmachung für diese Verluste geleistet werden könne.
Durch den offiziellen Charakter ihrer Ermittlungsergebinisse - die in drei Bänden veröffentlicht wurden - hatte die Kommission einen unmittelbaren Einfluss auf die soziale Heilung. Präsident Aylwin, der sich per Fernsehen an das ganze Land wandte, bat offiziell um Verzeihung für das, was im Namen des chilenischen Staates geschehen war.
Eine andere Auswirkung der Arbeit der Kommission war, daß diejenigen, die hingerichtet oder verschwunden waren, offiziell als "Opfer" anerkannt wurden, anstatt als Kriminelle angesehen zu werden oder einfach unbekannt und nicht anerkannt zu sein.
Neue Fäden für das Geflecht
Der nächste Schritt war die Gründung der Behörde für Nationale Wiedergutmachung und Versöhnung. Auf ihre Anweisung hin werden nun Renten an die Familien von Opfern bezahlt. Deren Kinder erhalten eine kostenlose Ausbildung von der Mittelschule bis zur Universität, was bedeutet, daß der Staat die materielle Verantwortung des fehlenden Elternteils übernimmt. Ein spezielles Gesundheits-Fürsorgeprogramm sichert die Familien. Es steht auch anderen Opfern des Regimes zur Verfügung und bringt dadurch die Betroffenen in das soziale Geflecht zurück. Kinder von Opfern sind vom Militärdienst ausgenommen.
Auf dem Friedhof in Santiago gibt es jetzt ein Denkmal für die 3.197 bekannten Opfer der Diktatur. Viele von ihnen sind auch dort begraben. Auch außerhalb der Hauptstadt wird vergleichbare Arbeit getan, die Opfer der Diktatur anzuerkennen und ihnen Würde zu geben. Was die Verschwundenen betrifft, so ist die Arbeit der Behörde, ihre Leichen zu finden und zu identifizieren, bis Ende 1995 verlängert worden.
Bildung für Versöhnung
Der dritte Hauptbereich sozialer Heilung ist das Schulsystem. Dort zieht sich nun das Thema "Menschenrechte" durch das ganze Curriculum; Ziel ist, daß die öffentliche Bildung eine Kultur ermutigt, die auf dem Respekt gegenüber dem Anderen beruht.
Dies sind einige der Mechanismen, die genutzt wurden, um eine integrierter Gesellschaft zu schaffen. Ein sehr wesentlicher Schritt, den wir in vielen verschiedenen Kontexten gesehen haben, war die Schaffung von Kontaktpunkten zwischen den Betroffenen und den VertreterInnen des Staates (in ihrer offiziellen und öffentlichen Rolle). Parallel hierzu hat es sich bewährt, verschiedene Kanäle für die Förderung und Verbreitung von Menschenrechten zu haben. Dadurch beabsichtigen wir, ein größeres Bewußtsein von diesen Rechten zu schaffen, damit die Gesellschaft als Ganze ein wacheres Bewußtsein ihrer Wichtigkeit hat und sicherstellt, daß sie in Zukunft nicht wieder verletzt werden.
Dieser Artikel wurde aus Peace News März 1995 übernommen und leicht gekürzt. Übersetzung: Red.