Der christlich-muslimische Dialog

Christen und Muslime gemeinsam für den Frieden

von Horst Scheffler
Schwerpunkt
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Der interreligiöse Dialog findet nicht zwischen Religionen, sondern zwischen Menschen statt. Was einen Menschen bewegt, was er erhofft und was ihn belastet, bringt er in den Dialog ein. Dies gilt in besonderer Weise für den christlich-muslimischen Dialog.  

Angesichts der Fülle der heute zwischen ChristInnen und MuslimInnen zu verhandelnden gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Themen zeigt der folgende Bericht an zwei Beispielen auf, wie ChristInnen und MuslimInnen sich gemeinsam für den Frieden einsetzen. Die in diesen Projekten engagierten Frauen und Männer sind überzeugt, dass ihre Religionen ein riesiges Friedenspotential haben, das es zu nutzen gilt.
 
Projekt: Christlich-islamische Friedensarbeit in Deutschland
In den Jahren 2002 bis 2006 luden die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) und Pax Christi gemeinsam mit islamischen Organisationen jährlich zu einem Workshop im Rahmen des Projekts „Christlich-islamische Friedensarbeit in Deutschland“ ein. Die islamischen Partner waren der Zentralrat der Muslime in Deutschland und die Schura, der Rat der islamischen Gemeinschaft in Hamburg. Auf dem fünften und letzten Workshop im Jahr 2006 trat an die Stelle des Zentralrats der Muslime in Deutschland die Deutsche Muslimliga Hamburg. Der Anstoß für AGDF und Pax Christi, den Dialog mit den in Deutschland lebenden Muslimen aufzunehmen, lag in der seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 weltweit bedrohlich wachsenden Gewaltbereitschaft und -anwendung.  
Die Workshops sind in Publikationen dokumentiert. Sie enthalten neben den Referaten, Arbeitsgruppenberichten und aktuellen Stellungnahmen jeweils einen kommentierenden Bericht des Verlaufs durch den damaligen Vorsitzenden der AGDF, Michael Mildenberger. Das Ziel war die Begegnung mit MuslimInnen und ChristInnen in der gemeinsamen Arbeit für den Frieden. Dabei konzentrierte man sich von Anfang an auf die gesellschaftliche Situation in Deutschland, um sich nicht ins Uferlose zu verlieren, und wollte Konfliktfelder innerhalb Deutschlands aufgreifen.

Der erste Workshop
Zum ersten Workshop wurde vom 25. bis 27. Oktober 2002 nach  Hannover eingeladen. Zum Thema „Die Aufgabe des Friedens und das Problem der Gewalt“  referierten Hamideh Mohaghedi über Gewalt und Gewaltfreiheit im Islam, aus evangelischer Sicht Heike Spiegelberg über Christliche Friedensarbeit heute, aus katholischer Sicht Herbert Froehlich über Friedensaufgaben heute.

Michael Mildenberger eröffnete seinen Bericht über diese christlich-islamische Begegnung mit der recht zuversichtlichen Einschätzung, hier könnte der erste Schritt zu einer gemeinsamen christlich-islamischen Friedensarbeit getan worden sein. Jedenfalls hatten die 25 christlichen und muslimischen Teilnehmenden diesen Eindruck gewonnen. Von islamischer Seite war der schiitische Islam des Islamischen Zentrums Hamburg stark präsent. Doch mit den Muslimen des Zentralrats und der Schura sowie Teilnehmenden aus Köln, Berlin, Bielefeld und anderen Orten war die Vielfalt des Islam in Deutschland repräsentiert. Es fehlten allerdings die großen türkischen Gruppierungen.

Die Atmosphäre des Workshops war vertrauensvoll. Dazu trug bei, dass sich die Teilnehmenden nicht nur auf der intellektuellen, sondern auch auf der spirituellen Ebene begegneten. Lesungen aus Bibel und Koran, Meditation, Lieder, gemeinsames Gedenken an die Opfer von Unfrieden und Gewalt, gegenseitige Friedenswünsche waren Elemente und Gesten, die eine geistliche Gemeinschaft zwischen ChristInnen und MuslimInnen schufen.

Der Dialog verlief auf zwei Ebenen. Die ethische und historische Fragestellung nach dem Friedensauftrag in den beiden Religionen wurde gestellt vor dem geschichtlichen und aktuellen Hintergrund praktizierter und erlittener Gewalt auf beiden Seiten. Es gelang aber auch der Austausch über persönliche Erfahrungen und Betroffenheiten in der christlich-islamischen Begegnung, Erfahrungen von Nähe, Fremdheit, Vertrauen, Vorurteil und Angst. In zwei Arbeitsgruppen wurden die Themen dieser Ebenen besprochen. Mildenberger befand, es gelang nicht nur, beiden Ebenen in ihrer jeweiligen Bedeutung Raum und Geltung zu verschaffen, sondern sie konnten sich im Gespräch in glücklicher Weise gegenseitig durchdringen und anregen.

Einen weiteren Schwerpunkt des Dialogs bildeten die friedenspädagogischen Aufgaben und Perspektiven, die in einer Arbeitsgruppe erörtert wurden. Hier war man sich einig, dass eine Erziehung zum Frieden so früh wie möglich einsetzen muss, um präventiv der individuellen und kollektiven Gewaltbereitschaft entgegenzuwirken. Hierzu sollte auch die strukturelle Unterrepräsentanz von MuslimInnen in pädagogischen und öffentlichen Einrichtungen abgebaut werden.

Der Workshop schloss mit der Verabredung, den eröffneten Dialog weiterzuführen. Zusätzlich bot die Mitgliedsorganisation der  AGDF, der Ökumenische Dienst Schalomdiakonat, heute Gewaltfrei handeln, an, Muslime in seine Kurse aufzunehmen.

Die Workshops von 2003 bis 2006
Die weiteren Workshops fanden in christlichen Tagungshäusern statt, in Imshausen bei Bebra (Adam-von-Trott-Stiftung) 2003 und 2005, in Weisendorf bei Erlangen (Edith-Stein-Haus) 2004 und in Germete bei Warburg (Katholische Schwesterngemeinschaft Serviam) 2006. Dass man sich in christlichen Tagungsstätten traf, bereitete den MuslimInnen offensichtlich keine Probleme. Die Anzahl der Teilnehmenden vergrößerte sich. Auch waren nun die türkischen Muslime, vor allem von der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), dabei.

Bemerkenswert ist, dass auf der Grundlage des gegenseitigen Vertrauens sich ChristInnen und MuslimInnen ab 2004 auch zu gemeinsamen christlich-islamischen Andachten verabredeten. Bisher hatte man an der jeweiligen Feier der anderen Religion teilgenommen.  
Die Arbeitsweise in den Workshops änderte sich insofern, dass sie nicht mehr hauptsächlich durch Referate mit folgender Aussprache bestimmt wurde. Man kam zusammen, um zu bilanzieren, was an den im Vorjahr verabredeten Aufgaben gelungen bzw. misslungen war. Zu reden war z. B. über ein auf die christlich-islamische Situation zugeschnittenes Kommunikations- und Konflikttraining "Konflikt - Gefahr oder Chance" und über einen christlich-islamischen Pilgerweg über 120 km von Diemelstadt-Wethen nach Imshausen.
Aus dem die Workshops vorbereitenden Arbeitskreis entwickelte sich ein gemeinsames Sprecheramt der islamischen und christlichen Trägerverbände mit dem Ziel, die gesellschaftliche Situation in Deutschland zu beobachten und bei gravierender Diskriminierung von MuslimInnen oder Störung der gegenseitigen Beziehungen in geeigneter Form zu intervenieren. So nahm man öffentlich Stellung zum Kopftuchstreit, zur Frage der Integration („Gesellschaftlicher Friede – nur  mit Muslimen, nicht gegen sie!“) und zur Religionsfreiheit ("Freiheit und Religion – eine notwendige Aufgabe!")

Schwierigkeiten und Ende des Projekts
Im Bericht zum Workshop im Jahr 2005 beklagte Mildenberger ein Stagnieren des Projekt, weil berufliche und sonstige Verpflichtungen die Mitwirkenden derart auslasten, so dass keine zusätzlichen Ressourcen an Zeit und Kraft investiert werden könnten.  
Die eingetretene Stagnation zeigte sich am folgenden Workshop im Jahr 2006 in Germete. Obwohl er einen Tag kürzer geplant war, kamen nur sechzehn TeilnehmerInnen, also etwa nur die Hälfte im Vergleich zu den Vorjahren. Für die MuslimInnen hatte sich die politischen und gesellschaftlichen Lage durch die Initiativen der Bundesregierung zu Integrationsgipfel und Islamkonferenz verändert.

Obwohl im Jahr 2006 die Weiterarbeit verabredet wurde, kam im nächsten Jahr ein weiterer Workshop nicht mehr zustande.

Christlich-Muslimische Friedensinitiative Deutschland (CMFD)
Im Jahr 2018 gründete Pax Christi zusammen mit der Islamischen Gemeinschaft Milli Görus (IGMG), der Türkisch-Islamischen Union (DITIB), dem Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) die Christlich-muslimische Friedensinitiative Deutschland (CMFD), der inzwischen auch die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) beigetreten ist. In ihrem Flyer beschreibt die CMFD ihr Selbstverständnis:

"Als Christen und Muslime erkennen wir in unseren Religionen eine starke Kraft zum Frieden. In unserem Glauben, dass Gott der Schöpfer aller Menschen, aller Lebewesen und aller Dinge ist, der seine Geschöpfe liebt und sich ihnen zuwendet, gründet unsere achtungsvolle Zuwendung zum Mitmenschen und zur Schöpfung. Die Anerkennung der Würde und der Bedürfnisse des Anderen sowie das Streben nach Freiheit und Gerechtigkeit für alle ist der Weg zum Frieden."

In unserer Gesellschaft mit Menschen aus unterschiedlichen Religionen, Kulturen, Weltanschauungen und Lebenskonzepten seien Brückenbauarbeiten auf allen Ebenen wichtig, um ein harmonisches Miteinander zu ermöglichen. Dies sei besonders notwendig in einer Zeit, in der Gewalttaten und Terror, Armut und Hunger traurige Wirklichkeiten sind, in der viele Menschen unterschiedlichen Glaubens aus Krieg und Elend in ihren Heimatländern fliehen. In Europa, aber auch in Deutschland begegneten sie dann oft Rassismus und Nationalismus, Ausgrenzung von Menschen anderer Hautfarbe, Nationalität und Religion sowie islamfeindlichen Einstellungen.

Als ihre Aufgaben und Ziele benennt die CMFD:

  • Gemeinsam treten wir dafür ein, dass alle Menschen ihre Religion in Freiheit und Würde ausüben können.
  • Gemeinsam treten wir ein für Offenheit, Dialog und ein respektvolles Kennenlernen der jeweils anderen Religionen in der Begegnung.
  • Gemeinsam möchten wir uns der Quellen für Frieden und Gewaltüberwindung in unseren Religionen bewusst werden.
  • Gemeinsam versuchen wir, auf Konflikte in unserem Land öffentlich einzuwirken und Wege zur Überwindung von Gewalt (physische und psychische) einzuschlagen.
  • Gemeinsam möchten wir unsere Haltung für Frieden und Gewaltüberwindung stärken und gewaltfreie Konfliktlösungen suchen und einüben.

Auf dem diesjährigen Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) in Dortmund trat die CMFD mit einem Workshop am 22. Juni 2019 erstmals in die Öffentlichkeit. Unter dem Motto „Christlich-muslimischer Friedensdialog: Starke Kraft zum Frieden" diskutierten unter der Moderation von Eva Maria Willkom (AGDF) Ahmad Aweimer (Zentralrat der Muslime), Josef Freise (Pax Christi), Rafet Özturk (DITIB) und Horst Scheffler (AGDF). Dieser gut besuchte Workshop und die engagierte Mitarbeit der Teilnehmenden ermutigen zu weiteren Schritten gemeinsam für Frieden.

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Schwerpunkt
Horst Scheffler, Jg. 1945, ist Ltd. Militärdekan a.D., ehemaliger Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) und des Vereins für Friedensarbeit im Raum der Kirchen (VfF). Er lebt in Zornheim/Rheinhessen.