Ein Kommentar

Das Abkommen von Dayton

von Christine Schweitzer
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Die Bosnien-Verhandlungen in den USA sind abgeschlossen. Wenn al les gut geht, werden die Waffen schweigen. Dies ist allerdings wohl auch das einzig Positive, das über das Abkommen von Dayton zu sagen ist. Der Preis für einen - dazu vielleicht nur vorübergehenden - Frie den ist sehr hoch:

* Bosnien-Herzegowina bleibt nicht nur zweigeteilt mit einer vermutlich für BürgerInnen praktisch undurch­lässigen Grenze, sondern

* es wird voraussichtlich in sog. "ethnisch reine" Gebiete zerfallen. Vertreibungen der jeweiligen Minderheit gehen schon jetzt in die näch­ste Runde: in den letzten Wochen sind wiederum hunderte, wenn nicht tausende von MuslimInnen aus dem serbischen Teil vertrieben worden; Rückgabe von Gebieten wird mit Verlassen der Gebiete durch die der­zeit dort lebende Bevölkerung gleichgesetzt und es hat bereits die Rückansiedlung von Flüchtlingen der jeweils "richtigen" Volkszugehörig­keit begonnen - Serben ins serbische Gebiet, Kroaten in kroatisch kontrol­lierte, Muslime in von Sarajevo kontrollierte Gebiete.

* Mit viel Getrommel wird die Entsendung der "Frieden-durchführenden- Truppe"(peace implementing force) der NATO gefeiert, die aber wohl nur ein Jahr (bis zu den Wahlen in den USA?) bleiben soll - und gleichzeitig das Waffenembargo schrittweise auf gehoben. Nimmt man beide Faktoren zusammen, ist sehr zweifelhaft, ob diese Truppe wirklich Frieden er zwingen würde, sollte eine der Kriegsparteien sich im nächsten Frühsommer für eine neue Runde im Krieg entscheiden. Sie wird sich wohl bestenfalls mit "kleineren Stö­rungen", etwa bewaffnetem Wider­stand lokaler Militäreinheiten, befas­sen. Die einzigen, die ihr Ziel erreicht haben, wird die NATO sein: Sie wird sich endgültig als bewaffneter Arm der UNO etablieren. Und dies ist wohl auch der Grund, warum man ausgerechnet nach der Schließung eines Waffenstillstandes die Blau­helme abzieht, deren traditionelle Aufgabe früher einmal die Überwachung von Waffenstillständen gewe­sen ist.

* Wohl fast jedem, der/die die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien verfolgt hat, dürfte beim Anblick der in Dayton gezeichneten Karte eine Gänsehaut den Rücken runterlaufen. Eine serbische Enklave zwischen Kroatien und dem bosnisch-kroati­schen Teil Bosnien-Herzegowinas, nur durch einen Korridor mit dem anderen serbischen Teil verbunden - wie viele Jahre wird der Frieden hier wohl halten? Vom völlig abge­schnittenen Gorazde gar nicht erst zu reden.

Trotzdem: Wenn die Regelungen von Dayton der Preis dafür sind, daß zumindest auf absehbare Zeit Waffenstill stand herrscht und mit dem Wiederaufbau begonnen werden kann, dann ist das Abkommen zu begrüßen. Vielleicht ge­lingt es ja, in der nächsten Zeit "nachzubessern." Nicht im Sinne von Herrn Karadzic, sondern im Sinne der Wiederherstellung und Stärkung einer zivilen Gesellschaft. Von ihr wird jetzt viel abhängen. Nur starke Menschen rechts-und BürgerInnengruppenn und nicht-nationalistische Oppositionsparteien werden sich gegen zukünftige Menschenrechtsverletzungen wie z.B. Vertreibungen von Menschen der jeweils "falschen" Volkszugehörigkeit einsetzen, können für ein demokratisches politisches Klima sorgen und da durch vielleicht auch - aber dies grenzt schon beinahe an Träumerei - einen nächsten Krieg verhindern. Der Waffenstillstand gibt ihnen, so ist zu hoffen, den notwendigen Freiraum, um für Wiederaufbau und ein multi-ethnisch, multi-kulturelles, multi-religiöses Bos­nien einzutreten.

Hierbei werden sie auch in Zukunft die Unterstützung durch die internationale Friedensbewegung benötigen. Sobald die Waffen schweigen, wird Bosnien aus den Schlagzeilen der internationalen Medien verschwinden. Es ist die Aufgabe der Friedensbewegung, sich jetzt erst recht weiter in dieser Region zu engagieren. 

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.