Einzigartige Quellensammlung zu Geschichte, Theorie und Praxis der gewaltfreien Bewegung

Das Archiv Aktiv in Hamburg

von Friedrich Erbacher

Das Archiv aktiv an der Sternschanze in Hamburg sammelt seit 1987 Zeitschriften, Broschüren, Rundbriefe, Flugblätter, Korrespondenzen und interne Unterlagen aus der außerparlamentarischen Ökologie- Friedens- und Menschenrechtsbewegung und insbesondere aus den Strömungen, die gewaltfreien Widerstand und Zivilen Ungehorsam diskutier(t)en und anwende(te)n. Damit verfügt das Archiv Aktiv über eine in Deutschland einzigartige Quellensammlung zu Geschichte, Theorie und Praxis der gewaltfreien Bewegung mit dem Schwerpunkt West-Deutschland seit 1945.

Das Archiv Aktiv ist keinesfalls eine Altpapiersammelstelle, sondern ein Ort des Wissenstransfers über fünf Jahrzehnte gewaltfreier Bewegung. Das Archiv Aktiv sieht sich an der Schnittstelle zwischen Bewegung und Wissenschaft: Die Bestände, die in staatlichen Archiven kaum erhältlich sind, stehen nach vorheriger Absprache interessierten Wissenschaftlern, Journalisten und Privatpersonen zur Recherche und Er-Forschung offen. Anfangs wurde der Kern der Sammlung, die Quellen zur Beteiligung gewaltfreier Gruppen in Neuen Sozialen Bewegungen, wenig genutzt. Eine Zeitlang lang kamen fast nur Nutzer zum Gorleben-Widerstand bzw. den Aktionen und Kampagnen gegen die Castor-Transporte. Inzwischen wird der spezifische Wert des Archivs an der Sternschanze breiter erkannt: Forschungsprojekte, zu denen in letzter Zeit im Archiv Aktiv recherchiert wurde, sind z.B. "Die WRI als transnationale Friedensorganisation und Interessenvertretung für Kriegsdienstverweigerer", (Christian Scharnefsky, Berlin), "Die Proteste gegen Atomwaffen in Großbritannien und in der Bundesrepublik, 1957-1964" (Holger Nehring, Oxford), "Eine Generation Trainings in Gewaltfreiheit - Bestandsaufnahme und kritischer Ausblick" (Achim Schmitz, Stuttgart) und "Der Weg ist das Ziel: Basisdemokratie in neuen sozialen Bewegungen Deutschlands" (Darcy Leach, Ann Arbor, USA).

Gemeinsames Mutlangen Archiv
Der Widerstand tausender Menschen gegen die Pershing II-Stationierung in Mutlangen Anfang der 80er Jahre gilt bis heute als Meilenstein des Zivilen Ungehorsams und der direkten gewaltfreien Aktion gegen Rüstung und Krieg. Ehemalige AktivistInnen aus dem Verein Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen, der Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung, der Rechtshilfe Mutlangen und der Dauerpräsenz in der Pressehütte Mutlangen wollen Erlebnisse, Erfahrungen und Erfolge des Widerstands in Mutlangen im Gedächtnis der Gewaltfreien Bewegung bewahren. Sie wollen in einem "Gemeinsamen Mutlangen Archiv" wichtiges Schriftgut, Rundbriefe, Broschüren, Prozessakten, Fotos, Filme usw. als zeitgeschichtliche Quellen erhalten und für interessierte WissenschaftlerInnen, JournalistInnen und Privatpersonen zugänglich machen. Das "Gemeinsame Mutlangen Archiv" soll in das Archiv Aktiv in Hamburg eingegliedert werden und ist zugleich Pilotprojekt zur Aufnahme neuer Bestände: Die GeberInnen in Mutlangen kümmern sich weitgehend selbst um Sichtung, Sortierung, Umbettung und die EDV-Erfassung der Archivalien. Ein Spendenaufruf der GeberInnen sichert die Finanzierung der mit 2.500 Euro veranschlagten Kosten. Das "Gemeinsame Mutlangen Archiv" ist voraussichtlich ab 2005 in Hamburg nutzbar.

Archiv der Internationale der Kriegsdienstgegner - Berlin (IDK)
"Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten." (aus der WRI-Erklärung)

Die IdK-Berlin setzt sich als eine der Deutschen Sektionen der War Resisters International (WIR) seit den 50er Jahren für eine entmilitarisierte, herrschaftsfreie, gewaltlose Gesellschaft ein. Insbesondere hat sie sich zur Aufgabe gemacht, den Verweigerern und Verweigererinnen von Kriegs- und Zwangsdiensten Schutz und Hilfe zu gewähren und damit Menschen zu unterstützen, die Abrüstung in die eigenen Hände nehmen.

Die Aktivitäten und Erfolge der IDK Berlin sind in einem umfangreichen Archiv dokumentiert. Mitte der 80er Jahre wurde das IDK-Archiv an die FU gegeben. Es enthält Vereinsinternas aus den 50er und 60er Jahren, sowie div. Publikationen, Flugblätter, Plakate bis Mitte der 90er Jahre. Dokumentiert sind z.B. die Deserteurskampagne 1968/69 (West-Berlin) an der die IDK als Teil der damaligen APO federführend beteiligt war; div. Materialien der WRI, der die IDK als eigenständige Sektion verbunden ist; Infos zur KDV-Beratung, totalen KDV und die spezielle Situation von West-Berlin sowie Aktivitäten im Umfeld der "graswurzelrevolution".

Aus Platzmangel und Finanzproblemen konnte das IDK-Archiv nicht mehr an der FU verbleiben. Schon längere Zeit war angedacht, das IDK-Archiv im Archiv Aktiv e.V. in Hamburg einzugliedern und für interessierte NutzerInnen zu erschließen und zugänglich zu machen.

Die Aufnahme des IDK-Archivs wird als gemeinsames Projekt von Archiv aktiv und IDK-Berlin durchgeführt und finanziert.

Die Gewaltfreie Aktion "AUFTAKT" der Jugendumweltbewegung
Das Jugendumweltfestival AUFTAKT war vom 28.07-2.08.1993 die Abschlussveranstaltung der größten und längsten Sternradtour durch ganz Deutschland und viele Teile von Europa. 11 Jahre später widmet Karsten Schulz aus Buxtehude AUFTAKT ein Forschungsprojekt: Er beschreibt das Festival und die Vor- und Nachbereitung durch die Auftakt-Gesamtkoordination aus den Reihen der Jugendumweltbewegung zwischen 1991 und 1996. Im zweiten Teil der Promotion vergleicht er Auftakt mit dem ersten freideutschen Jugendtag, auf dem Hohen Meißner im Oktober 1913. Im Zuge des Projekts erschließt Karsten die noch vorhandenen Materialien von AUFTAKT, erfasst es in der Faust-Dokumentation des Archiv aktiv und stellt alle Materialien nach Abschluss des Projekts dem Archiv Aktiv zur Verfügung. Weitere Infos: www.auftakt93.de

Theodor Michaltscheff
Wer sich mit der Friedensbewegung nach 1945 beschäftigt, stößt immer wieder auf einen Namen: Dr. Theodor Michaltscheff. Er hat dieser Bewegung über 20 Jahre lang wesentliche Anregungen und Impulse gegeben. Er war Gründer der Internationalen der Kriegsdienstgegner (IdK), einem Deutschen Zweig der War Resisters` International (WRI), deren langjähriger Bundesvorsitzender und Herausgeber der Monatsschrift "Die Friedensrundschau" er war. Seine Erinnerungen "Zwanzig Jahre IdK" hat er noch 1966 herausgebracht. Erinnerungen seiner Freunde erschienen kurz nach seinem Tode 1968. Das Archiv Aktiv hat die Broschüren 1996 als Reprint veröffentlicht. Es kann beim Archiv Aktiv für 5 Euro bestellt werden .

Vernetzung von Aktivisten und Forschenden
Die Vernetzung von Aktiven in Sozialen Bewegungen, ForscherInnen, die sich mit Sozialen Bewegungen beschäftigen sowie mit anderen Archiven ist dem Archiv Aktiv ein wichtiges Anliegen. Deshalb haben wir die Mailingliste [aa-info] eingerichtet: Aktivisten, Forschende und Archive sind eingeladen, über die Liste aktuelle Berichte, Aufsätze, Projektvorstellungen, Zeitungsartikel, Literatur- und Veranstaltungshinweise auszutauschen. Interessierte können sich selbst in die Liste eintragen: http://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/aa-info

Gemeinsame Trägerschaft von GeberInnen und NutzerInnen
Das Archiv Aktiv wird von einer kleinen Gruppe von Aktiven, Mitgliedern und Förderern getragen. Um das Archiv Aktiv langfristig zu sichern und neue Herausforderungen zu meistern, soll die Trägerschaft des Archiv Aktiv erweitert werden und stärker

  • auf den Schultern derer liegen, die in sozialen Bewegungen aktiv sind oder waren und die sich ein aktives Archiv als Gedächtnis ihrer Überzeugung, ihrer Aktionen und ihrer Bewegungen wünschen.
  • auf den Schultern der GeberInnen liegen, deren Gedächtnis das Archiv ist, deren Material das Archiv Aktiv aufhebt und zugänglich macht. Die GeberInnen sollen das Archiv Aktiv als "ihr Archiv" verstehen, es als solches mittragen und sich nach der Aufnahme ihres Material für das Archiv mitverantwortlich fühlen.
  • auf den Schultern der Nutzer liegen, die mit den Beständen wissenschaftlich, politisch, journalistisch oder autobiografisch arbeiten. Die Nutzer sollen das Archiv Aktiv mit ihrem Sachverstand und ihrer Erfahrung, die sie im Archiv Aktiv gesammelt haben beraten und es entsprechend ihren individuellen Möglichkeiten auch finanziell unterstützen.
  • Wir freuen uns über jeden Beitrag zur Unterstützung, Erhaltung und Weiterentwicklung des Archiv Aktiv. Wenn Sie ein Anliegen, eine Idee oder eine Anregung haben, nehmen Sie einfach Kontakt mit dem Archiv Aktiv auf!

Kontakt: Archiv Aktiv e.V. Auswertungen und Anregungen für gewaltfreie Bewegungen, Sternschanze 1, 20357 Hamburg, Tel. 040-430 20 46, info [at] archiv-aktiv [dot] de, www.archiv-aktiv.de, Bank für Sozialwirtschaft (BLZ 370 205 00), Kto-Nr. 800 93 00

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Friedrich Erbacher, seit 1981 aktiv in Protestbewegungen, war von 2002-2006 erster Vorsitzender des Archiv Aktiv.