Griechenland

Das Diktat von IWF und EU und die deutsche Verantwortung

von attac Bundesbüro

Trotz der Krise hat Griechenland immer noch genug Geld für Rüstungsanschaffungen. In den letzten Monaten hat es von Frankreich sechs Fregatten für zweieinhalb Milliarden Euro, Helikopter für 400 Millionen Euro und eine unbekannte Zahl Militärflugzeuge vom Typ Rafale zu 100 Millionen das Stück erworben, insgesamt Rüstungsimporte von mehr als drei Milliarden Euro.[1] Deutschland verkaufte sechs U-Boote im Wert von einer Milliarde Euro an Athen. Der folgende Text sind Auszüge aus einer Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats von Attac Deutschland zu Griechenland.

Weltweite Krise - griechische Krise - Euro-Krise
Die Krise in Griechenland ist Ausdruck der Tiefe der weltweiten kapitalistischen Krise. Nach der Krise im Immobilien-Sektor (2007), nach der Bankenkrise (2008) und nach der Krise der materiellen Produktion (2009) erleben wir gegenwärtig die Krise von Staaten: Diese Krise begann mit Island, Ungarn und Litauen. Sie erlebt mit Griechenland einen vorläufigen Höhepunkt. Vieles spricht dafür, dass es auch in anderen Staaten eine solche Krise geben wird. Dabei geht es nicht allein um die Euro-Länder, die wie Italien oder Belgien ähnlich hoch wie Griechenland verschuldet sind, oder die wie Spanien, Portugal und Irland in den letzten drei Jahren einen extremen Anstieg der öffentlichen Schulden erlebt haben. Diese Staatskrise könnte bald auf Großbritannien übergreifen. Sie kann mit Japan die zweitgrößte Ökonomie der Welt erfassen, wo die öffentlichen Schulden als BIP-Anteil doppelt so hoch wie in Griechenland sind. Und sie bedroht die Hegemonialmacht USA, wo die öffentlichen Schulden von der VR China finanziert werden müssen.

Eine entscheidende Ursache der Staatenkrise ist darin zu sehen, dass 2008/2009 weltweit rund fünf Billionen US-Dollar an Steuergeld dazu aufgewandt wurden, um die Banken in Nordamerika, Japan und Westeuropa vor einem Kollaps zu retten. Dieses Geld wurde ohne relevante Gegenleistungen in das private Bankensystem gepumpt. Damit gibt es inzwischen die brandgefährliche Kombination steigender Staatsschulden und erneut aufflammender Großspekulation. Die Staatsschulden steigen, weil die privaten Banken florieren. Die privaten Banken spekulieren, weil die Steuerzahlenden ihnen nicht nur die neue Grundausstattung mit Spielgeld verschafften, sondern ihnen auch noch billige Kredite bieten, die sie wiederum an strauchelnde Staaten wie Griechenland mit einer bis zu zehnprozentigen Verzinsung verleihen.

Bei Einführung des Euro im Jahr 2000 war klar: Damit wird den ökonomisch schwächeren Eurozonen-Ländern die Möglichkeit aus der Hand genommen, durch regelmäßige Abwertungen ihrer Währung die eigene Wettbewerbsfähigkeit tendenziell zu gewährleisten. So wurde die griechische Drachme allein im Zeitraum 1979 bis 1993 gegenüber der D-Mark um 86 Prozent abgewertet. Es war absurd anzunehmen, dass die griechische Ökonomie ohne diesen Mechanismus im Gleichgewicht bleiben könnte, zumal es keinen EU-Staat und auch in der Eurozone keine einheitliche Wirtschaftspolitik gibt. Die gewaltigen Leistungsbilanzdefizite und die wachsende staatliche Verschuldung waren zu einem großen Teil ein logisches Produkt der Konstruktion der Einheitswährung. Sie bilden jedoch das Gegengewicht zu den Handelsbilanzüberschüssen in hochproduktiven Ländern wie Deutschland. Den Extraprofiten der deutschen Exportindustrie entsprechen die Extradefizite der EU-Länder Griechenland, Portugal, Spanien und Italien.

Die Erpressung durch IWF und EU vertieft die griechische Krise
Der IWF und die EU haben für Griechenland ein Diktat beschlossen. Damit wird in Griechenland ein demokratischer Prozess als Reaktion auf die Krise unterbunden. Griechenland soll in einen halbkolonialen Status versetzt werden. Der IWF war in den 1990er Jahren nach seinen auch ökonomisch desaströsen Kriseneinsätzen in der so genannten Dritten Welt und in den „Tigerstaaten“ politisch weitgehend desavouiert. Nun erlebt er ein Revival ausgerechnet in Europa: 2008/2009 bereits in Ungarn und Lettland und nun in Griechenland. Dabei sind die „Rezepte“, die hier zur Anwendung kommen, genauso zerstörerisch, wie dies in den 1980er und 1990er Jahren der Fall war.

Die für Griechenland beschlossenen Maßnahmen werden als Beiträge im Kampf gegen die Krise „verkauft“. In Wirklichkeit wird damit die Krise in Griechenland – und mittelfristig auch diejenige in der Eurozone - vertieft. Längere Lebensarbeitszeiten und ein Abbau der Beschäftigten im öffentlichen Sektor führen zu deutlich höherer Massenerwerbslosigkeit. Die massiven Kürzungen bei den Einkommen im öffentlichen Sektor, in der privaten Wirtschaft und bei den Altersbezügen führen zusammen mit der Anhebung der Mehrwertsteuer im Jahr 2010 um vier Prozentpunkte zu einem Rückgang der Binnennachfrage von rund 20 Prozent. Die Erhöhungen der Verbrauchersteuern müssen weitere Einbrüche im wichtigen Tourismusgeschäft zu Folge haben. (…)

Als Ergebnis des IWF-EU-Diktats müssen die Kosten der Krise von der einfachen Bevölkerung bezahlt werden. Eine Lehrerin, ein Müllautofahrer, der Betreiber einer kleinen Touristen-Pension und der durchschnittliche Rentner tragen keinerlei Verantwortung für die Krise. Ihre Einkommen liegen deutlich unter 800 Euro im Monat. Bei dieser Bevölkerungsgruppe ist auch die Steuermoral die höchste. (…)

Auffallend an dem Sparprogramm, das IWF und EU Griechenland verordnet haben, ist die weitgehende Ausklammerung des Rüstungsetats. Der Rüstungshaushalt Griechenlands (als Anteil am gesamten Haushalt) liegt zweieinhalb Mal höher als der deutsche und gut doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. Seit den 1980er Jahren unterstützen insbesondere französische und deutsche Rüstungskonzerne und die Regierungen in Paris und Bonn respektive Berlin eine systematische Aufrüstung der Türkei und Griechenlands. Auch im Krisenjahr 2010 soll Griechenland knapp drei Milliarden Euro für neue Rüstungsimporte ausgeben. Das entspricht rund der Hälfte der Summe, die 2010 im Rahmen des Sparprogramms von den einfachen Leuten in Griechenland zu bezahlen sind.

Deutsche Verantwortung und der Zynismus der Bundesregierung in Berlin
Die Berliner Regierung spielt eine führende Rolle bei der erpresserischen Politik, die die Mehrheit der EU-Regierungen gegenüber Athen betreibt. Deutsche Konzerne und Banken profitierten am meisten von dem beschriebenen Euro-Mechanismus. Deutsche Banken sind maßgebliche Gläubiger Griechenlands. In Deutschland gibt es, angeführt von „Bild“, eine wahre Hetzkampagne gegen Griechenland, in der die Themen Korruption („Fakelaki-Wirtschaft“) und Manipulation („Der Zugang zum Euro wurde erschlichen“) im Zentrum stehen. (…)

Nicht zuletzt sind deutsche Konzerne für die Schmiergeld-Wirtschaft in Griechenland mitverantwortlich. Seit dem Jahr 2008 wurde in mehreren juristischen Auseinandersetzungen dokumentiert, dass die deutschen Unternehmen Siemens, Ferrostaal-MAN und Deutsche Bahn AG in großem Maßstab in Griechenland Politiker einkauften und politische Entscheidungen zu ihren Gunsten „finanzierten“. So „investierte“ allein der Siemens-Konzern seit Mitte der 1990er Jahre und rund ein Jahrzehnt lang in Griechenland 15 Millionen Euro pro Jahr – um auf diese Weise Politiker der beiden wichtigen Parteien, Nea Dimokratia und PASOK, günstig zu stimmen. (…)

Für eine alternative Antwort auf die Krise in Griechenland
Das Spardiktat aus Brüssel, Berlin und Paris ist strikt abzulehnen. Der Slogan der sozialen Bewegungen und der Gewerkschaften in Griechenland „Wir zahlen nicht für eure Krise“ ist auch unsere Losung. Eine wirksame Politik als Antwort auf die Krise in Griechenland hat die fünf Elemente:

Erstens: Die griechischen Schulden müssen umgeschuldet und damit radikal gekürzt werden. Die internationalen Finanzinstitute und einzelne griechische Milliardäre, die einen großen Teil der griechischen Schuldentitel halten und die an der griechischen Krise in großem Maßstab verdient haben, müssen für das hohe Risiko, das sie eingingen, bezahlen. Ihnen dürfen nicht ein weiteres Mal Milliarden Euro an Steuergeldern zugeschanzt werden, die sie nur als neues Spielgeld im gewaltigen spekulativen Business einsetzen werden.

Zweitens: Notwendig ist eine radikale Besteuerung von großen Vermögen und hohen Einkommen in Griechenland selbst. Auch in diesem Land – wie überall in Ländern, die einen neoliberalen Kurs verfolgten – steht die Rückverteilung von oben nach unten auf der Tagesordnung.

Drittens: Notwendig ist die radikale Reduktion der Rüstungsausgaben in Griechenland – und letzten Endes auch in der Türkei. Der Kauf von neuen Waffen und Rüstungssystemen durch das Athener Verteidigungsministerium muss gestoppt werden. Notwendig ist eine massive Reduktion der allgemeinen Rüstungsausgaben. Dies wird nur funktionieren, wenn eine umfassende Friedenspolitik zwischen Griechenland und der Türkei betrieben wird und wenn es zu einer Lösung der Zypern-Frage im Interesse der beiden Bevölkerungsgruppen auf der Insel kommt. Parallel müssen die Rüstungslieferungen an die Türkei gestoppt werden. Es ist absurd und zugleich charakteristisch, dass die EU auf der einen Seite über eine Aufnahme der Türkei in die EU verhandelt, und dass gleichzeitig die zwei Eurozonen-Kernländer Deutschland und Frankreich respektive deren Rüstungskonzerne die Hochrüstung dieser beiden Länder betreiben.

Viertens: Notwendig ist ein konsequentes Vorgehen gegen die Dominanz der Finanzwirtschaft. Dabei müssen als erstes spezifische Finanzinstrumente wie die Wetten auf Staatspleiten (Credit Default Swaps) verboten und die Macht der Rating-Agenturen beseitigt werden. Vor knapp zwei Jahren, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, waren sich fast alle Kommentatoren darüber einig, dass spezifische neue „Finanzprodukte“ den Charakter von „Massenvernichtungswaffen“ hätten. Es bestand auch Einigkeit darüber, dass private Rating-Agenturen, die Teil des spekulativen Prozesses sind, nicht mehr den Status angeblich objektiver Marktbeobachter haben dürfen. (…)

Fünftens: Deutschland muss sich zu den im Zweiten Weltkrieg in Griechenland begangenen Kriegsverbrechen bekennen und die daraus resultierenden Verpflichtungen akzeptieren. Das schließt die Zahlung von Reparationen durch Deutschland, gegebenenfalls unter Einbindung von Österreich und Italien, mit ein. … [Hierzu hatten die Autoren weiter oben Näheres ausgeführt, d.Red.]

Die Zahlen aus der Einleitung stammen aus einer Presseerklärung von MEP Daniel Cohn-Bendit vom 5. Mai 2010. Als Kontakt für die Erklärung des Wissenschaftlichen Beirats von Attac werden angegeben Winfried Wolf, Elmar Altvater und  Norman Paech.

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