Das "Gesetz zur Vergebung" und die Deserteure in Kroatien

von Zoran Ostric
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Das "Gesetz zur Vergebung" wurde im Kroatischen Parlament am 25.9.1992 verabschiedet und zielte auf die Normalisierung der Bezie­hungen mit den SerbInnen in Kroatien, die in der Krajina leben und an der 'Rebellion' gegen Kroatien teilgenommen haben. Gleichzeitig sollte es auch für kroatische Soldaten gelten, die Kriegsverbrechen begangen hatten.

Ich war überrascht zu hören, daß dieses Gesetz auch für Deserteure und diejeni­gen gilt, die sich einer Einberufung ent­zogen haben. Ge­nau dieses wurde vom kroatischen Vizepräsidenten Ivica Ko­stovic in einer Pressekonferenz während seines Deutschlandbesuches bekanntge­geben. Ähnliches war schon vorher vom Justizminister und dem Präsi­denten der Amnestie-Kommission gesagt worden.

Auch wenn es eher überraschend ist, daß Desertion als "kriminelles Vergehen in bewaffneten Konflikten" betrachtet wird - das Gesetz und diese Erklärungen geben uns die legale Basis, Menschen zu verteidi­gen, die desertierten oder sich dem Wehrdienst entzogen, wenn sie nach Kroatien zurückkehren. Ich er­warte, daß die kroatische Regie­rung nicht darauf bestehen wird, diesen Per­sonenkreis zu verfolgen, speziell wenn öffentlicher Druck ausgeübt wird. Zehntausende von Menschen vermieden den Militärdienst (reagierten nicht auf die Ein­berufung) und nur wenige von ihnen sind jemals verurteilt worden.

Ein Angestellter der deutschen Bot­schaft fragte uns (Antikriegskampagne Kroatien, d.Ü.) nach unserer Meinung, und wir antworteten, daß das wichtigste, was die deutsche Regierung tun könne, sei, eine Liste all derjenigen zu machen, die nach Kroatien zurückgeschickt wer­den und zu beobachten, was mit ihnen nach ihrer Rückkehr geschieht. Und, vielleicht noch wichtiger, ihnen zu sa­gen, daß sie das Recht haben, nicht ver­folgt zu werden und daß es Nicht-Regie­rungs-Organisationen in Kroatien (1) gibt, die ihnen helfen wür­den, falls sie Probleme bekommen. Selbstverständ­lich können all diese Organisationen noch mehr tun: sie über ihre Rechte und die Möglichkeiten zu informieren, sich für Menschenrechte in Kroatien einzu­setzen, und sie zu ermutigen, für ihre Rechte und Überzeugungen zu kämp­fen!

Lasst mich einige persönliche Bemer­kungen machen. Ich bin in einer eigen­artigen Position, wenn wir diese Frage diskutieren. Menschen aus dem Ausland fragen mich nach Belegen, daß Leute, die das Land während der letzten Jahre verlassen haben, das Recht haben, um Asyl anzusuchen, weil es für sie zu ge­fährlich sein könnte, zurückzukeh­ren. Ja, das Leben ist schwer in Kroatien, mit der zerstörten Wirt­schaft und einer auto­ritären Regierung, aggressivem nationalisti­schem Extremismus und po­litischer Gewalt. Aber trotzdem, ich habe hier die ganze Zeit gelebt, ich habe öffentlich für meine politi­schen Mei­nungen gekämpft, und ich bin immer noch hier. Unsere Gegner bedrohten uns, einige meiner MitkämpferInnen wurden zusammengeschla­gen (meine 190 cm und breite Schultern retteten mich zwei oder drei Mal), aber wir sind immer noch hier und setzen unseren Kampf fort. Die zivile Gesellschaft in Kroatien ist heute viel stärker als sie es vor ein oder zwei Jahren war. Unsere Aktivitäten und unser Einfluss sind ge­wachsen und neue Organisationen sind entstanden. Da ist Gefahr, aber es gibt auch Möglichkeiten. Gewaltfreiheit heißt nicht, nicht zu kämpfen. Wenn alle ge­bildeten, liberalen und anti-nationalisti­schen jungen Leute das Land verlassen würden, überließen sie es den Rechts­extremen. Es gibt hier Arbeit zu tun, und wir brauchen unsere Leute hier, nicht in Deutschland etc. Ich glaube, daß auch die Ar­beit des "Internationalen Deserteurs-Netzwerks" sich darauf orien­tieren sollte, Menschen zu ermuti­gen und darauf vorzubereiten, in ihr Land zurückzukehren und dort zu kämp­fen, nicht nur ihnen zu hel­fen, im Aus­land zu bleiben.

Dennoch verstehe ich jemanden, der nicht bereit ist, dieses Risiko auf sich zu nehmen, speziell wenn wir die wirt­schaftliche Situation mit berücksichti­gen. Jeder hat das Recht zu versuchen, sich ein neues Leben in einem anderen Land aufzubauen.

Nochmal zurück zu der konkreten rechtlichen Situation. Von dem oben erwähnten Amnestie-Gesetz werden nur Fälle abgedeckt, die vor dem 25. Sep­tember 1992 geschahen. Wir wissen von Personen, die nach die­sem Zeitpunkt desertierten, weil sie in der Armee schlecht behandelt oder gezwungen wurden, nach Bosnien-Herzegowina zu gehen. Es ist auch möglich, daß jeman­dem während seiner Abwesenheit ein Einberu­fungsbescheid zugesandt wurde. Er könnte wegen Vermeidung des Mili­tärdienstes verfolgt werden. Dennoch, wie oben gesagt, Verfolgung ist selten, und wenn wir von Leuten wissen, glaube ich, daß wir auf dem Wege der politischen Auseinandersetzung Rück­kehrer vor Verfol­gung schützen kön­nen.

Der letzte Punkt ist, daß all dies nur für die Vergangenheit gilt. Jeder Mann, der nach Kroatien zurückkehrt, kann den nächsten Tag in die Armee einberufen werden. (Ihr müsst bedenken, daß sich Kroatien immer noch im Krieg befindet; es gilt allein ein zweifelhafter Waf­fenstillstand seit Januar 1992.) Für den­jenigen, der dies vermeiden will, gibt es zum Glück einen einfachen Weg: Er muß Zivildienst be­antragen. Das kann auch aus dem Ausland geschehen. Ein Problem dabei ist, daß laut Gesetz Re­servisten einen solchen Antrag nur bis vor dem 26. Mai dieses Jahres stellen durften. Allerdings war das Ver­fassungsgericht vor kurzem der Ansicht, daß diese Frist die Verfas­sung verletzt und ich erwarte, daß das Gesetz annulliert werden wird.

In diesem Artikel schrieb ich haupt­sächlich über Probleme der Kriegs­dienstverweigerung. Andere Probleme, die damit zusammenhängen, ist die Angst vor Verfolgung in der Armee auf der Basis von ethni­scher Zugehörigkeit oder politischer Meinung (2). Dennoch gilt hier dasselbe: Wir brauchen Men­schen hier, die sich für Menschenrechte einsetzen, und es gibt jetzt einige insti­tutionelle Möglichkeiten (Institutionen der zivilen Gesellschaft), die es vor ei­nem Jahr noch nicht gab.

Ich erinnere mich an einen deutschen Grafitti: "Ausländer, lasst uns nicht mit diesen Deutschen allein"! Als Kroate kann ich dasselbe sa­gen. Wir brauchen Serben, Italiener, Ungarn, Roma und andere in die­sem Land.

1) Antikriegskampagne mit Gruppen in Zagreb, Rijeka, Osijek, Karlo­vac und Porec, das Kroatische Helsinki Komitee für Menschenrechte, das Dalmatinische Komitee für Menschenrechte in Split etc.)

2) Darüber schrieb Zoran Ostric in sei­ner "Addition to the Report about the State of Conscientious Objection, 11. March 1993", der von der Antikriegs­kampagne Kroatien bezogen werden kann.

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Zoran Ostric ist Mitarbeiter der Anti­kriegskampagne Kroatien.