Das Gewissen der "Welt-AG"

von Wolfgang Menzel
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Die Kritischen AktionärInnen sind auch bei der ersten Aktionärsversammlung des fusionierten Daimler-Chrysler-Konzerns wieder präsent. Sie fordern ein Ende der Rüstungsproduktion, ökologisch und menschenrechtlich orientierte Unternehmenspolitik und die Einhaltung sozialer Standards. Erste transatlantische Kontakte deuten darauf hin, dass die kritische Aktionärsbewegung bald auch auf die USA übergreifen wird. Der diesjährige "alternative Geschäftsbericht" des Dachverbandes der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KAD) erscheint erstmals zweisprachig - in deutsch und englisch.

Stuttgart - Wenig Freude bereitete Daimler-Chef Jürgen Schrempp in den vergangenen Jahren eine kleine, aber immer einflussreicher werdende Gruppe von Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten, die beharrlich und kenntnisreich die Missstände in Deutschlands größtem Industriekonzern anprangerte: die Kritischen AktionärInnen Daimler-Benz. Auch nach der Fusion mit Chrysler bleiben sie Stachel im Fleisch des Konzerns. Die in einem Dachverband zusammengeschlossenen Kleinaktionäre, Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen setzen ihre erfolgreiche Arbeit unter neuem Namen verstärkt fort.

Anlässlich der ersten Aktionärshauptversammlung des deutsch-amerikanischen Konzerns am 18. Mai in Stuttgart legt der Dachverband der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KAD), wie er sich jetzt nennt, erstmals einen zweisprachigen "alternativen Geschäftsbericht" vor. Er wird traditionell vor der Schleyer-Halle in Stuttgart an die eintreffenden Aktionäre und Aktionärinnen verteilt, begleitet von phantasievollen Aktionen. Wie bereits in den vergangenen Jahren, so gibt es auch diesmal eine Reihe kritischer Gegenanträge, beispielsweise zu den exorbitant gesteigerten Managergehältern, den Defiziten im ökologischen Bereich, unzureichenden Sozialstandards in einigen ausländischen Werken, der immer noch offenen Entschädigung ausländischer Zwangsarbeiter während des Dritten Reichs und - an erster Stelle - der aktuellen Rüstungsproduktion des Konzerns. Da jeder Aktionär Rederecht hat, werden Aufsichtsratsvorsitzender Hilmar Kopper und die Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp und Robert J. Eaton eine Reihe kritischer Fragen beantworten müssen. Die Kritischen AktionärInnen interessiert besonders, warum das Pentagon die Daimler-Landmine MUSPA als Anti-Personenmine deklariert, der Konzern sie dagegen als Submunition abtut und weiterhin an ihrer Produktion festhält - entgegen allen Beteuerungen, man befürworte das Landminenverbot gemäß Ottawa-Vertrag.
 

"Eine kritische Auseinandersetzung mit dem global tätigen Konzern ist notwendiger denn je", sagte der Sprecher der Kritischen Aktionäre, Holger Rothbauer. "Wir sehen einen wachsenden Bedarf, vor allem in den USA. Dort ist ethisches Investment unvergleichlich bedeutender als in Deutschland." Erste Kontakte in die USA, wo der KAD unter der Bezeichnung "Critical Shareholders Daimler-Chrysler" auftritt, sind bereits geknüpft. Beispielsweise zu dem einflussreichen Umwelt-, Menschenrechts- und Konsumentenanwalt Ralph Nader und zu einer Bürgerinitiative in Toledo, Ohio. Gemeinsam mit der Bürgergruppe kämpft Nader gegen die Kungelei von Bürgermeister und Konzern bei der Erweiterung des Jeep-Werkes in Toledo. Obwohl Daimler-Chrysler Rekord-Gewinne einfährt, hat der Konzern die Stadtverwaltung unter Druck gesetzt, der Firma Steuervergünstigungen zu gewähren und die Hauseigentümer, die der Erweiterung im Wege stehen, enteignen zu lassen. Und der Bürgermeister von Toledo spielt mit, obwohl Daimler-Chrysler keine verbindliche Zusage über die Schaffung neuer Arbeitsplätze gemacht hat. Die Empörung über den eigenartigen "Deal" zum Nachteil der Stadt und zum Vorteil des Konzerns wurde in Toledo noch größer, nachdem bekannt wurde, dass Bürgermeister Finkbeiner Mitte April eine Einladung des Konzerns zu einer Deutschland-Rundreise angenommen hat, Werksbesichtigungen und Gala-Diners inklusive.

Die Kritischen AktionärInnen Daimler-Chrysler sind seit etwa zehn Jahren so etwas wie das Gewissen des Konzerns. Sie haben dazu beigetragen, das Akklamations-Ritual der Aktionärsversammlung zu politisieren und den Gedanken der Aktionärsdemokratie wieder mit Leben zu füllen. Denn die unternehmerischen Entscheidungen eines global tätigen Konzerns sind immer zugleich auch politische Entscheidungen, beeinflussen sie oder nehmen sie vorweg, indem sie Sachzwänge schaffen. Die Wechselwirkungen von Politik und Konzern zu beiderseitigem Vorteil und zum Nachteil der arbeitenden Menschen und der Natur sind überall zu spüren, nicht nur in Toledo, Ohio.
 

Unermüdlich fordert KAD die globale wie die regionale und lokale Verantwortung des bi-nationalen Großkonzerns ein. Die Respektierung von Menschenrechten und Bürgerrechten, die Durchsetzung und Einhaltung sozialer Standards sowie von Arbeitnehmerrechten und Mitbestimmung, die stärkere Berücksichtigung von Umweltschutz und Umweltverträglichkeit sind ebenso Themenschwerpunkte wie eine Begrenzung des maßlosen Anstiegs der Managergehälter oder der Ausstieg aus der Rüstungs- und Kriegswaffenproduktion. Immer mehr Aktionäre und Aktionärinnen schließen sich diesen Forderungen an und übertragen dem KAD ihr Stimmrecht. Die Mehrheitsverhältnisse haben sich dadurch noch nicht geändert, doch steter Tropfen höhlt den Stein...

Der Alternative Geschäftsbericht sowie Informationen über KAD und das Instrument der Stimmrechtsübertragung können angefordert werden beim: Dachverband der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler, c/o Ohne Rüstung Leben, Sophienstr. 19, 70178 Stuttgart, Tel: 0711/608396, Fax: 0711/608357 (Bitte mit 3,- DM frankierten, adressierten Rückumschlag beilegen.)

Dachverband Kritischer AktionärInnen DaimlerChrysler - Critical Shareholders Daimler-Chrysler- (vormals Dachverband Kritischer AktionärInnen Daimler-Benz) Postanschrift: Sophienstr. 19, 70178 Stuttgart

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