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Interview zum Thema Nachwuchsmangel mit Dr. Alexander Leistner
„Das Image der Friedensbewegung ist ein enormes Problem“
vonWer auf Friedensdemonstrationen oder Kongresse geht, findet dort kaum junge Menschen. Wieso ist das so? Und stirbt die Friedensbewegung aus? Ein Gespräch mit Bewegungsforscher Dr. Alexander Leistner (Jahrgang 1979) vom Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig.
Gibt es in Deutschland überhaupt eine „Friedensbewegung“?
Auf jeden Fall! Man muss davon aber im Plural sprechen – selbst im historischen Kontext gibt es verschiedene Bewegungen, Strömungen, Flügel wie etwa die Friedensbewegung in der DDR und parallel dazu die in der BRD. Anders als es der Begriff „Friedensbewegung“ und auch Bilder und Zuschreibungen suggerieren, war es schon immer und ist es auch heute eine sehr heterogene Bewegung. Und das hat gerade aktuell noch einmal eine ganz andere Dynamik: Es gibt Zusammenarbeit aber auch ein Nebeneinander und sogar Gegeneinander. Auf den Straßen ist „Frieden“ wiederum ein präsentes Thema geworden bis weit in das rechtsextreme Protestspektrum hinein. In der politischen Kommunikation auch – dort werden aber kaum Akteurinnen und Akteure der klassischen Friedensbewegung gehört.
Welche verschiedenen Akteurinnen und Akteure sehen Sie?
Es gibt die klassischen Akteure, die immer engagiert waren, die es aber mittlerweile schwer haben, mit ihren Themen in der Öffentlichkeit durchzudringen. Der Ostermarsch ist fast das einzige Event, mit dem die Friedensbewegung bundesweit wahrgenommen wird – das aber vor allem, weil der Ostermarsch zum Inventar deutscher Protestkultur gehört, fast wie ein Relikt vergangener Zeiten und verblasster Größe. Dann gibt es noch neue Akteure wie z.B. „Rheinmetall entwaffnen“, die mit ihrer Kampagne und mit Aktionen zivilen Ungehorsams Aufmerksamkeit gewinnen konnten. Und dann gibt es auch neue Akteur*innen, die auf das Thema aufgesprungen sind: Ab 2014 gab es immer mehr Protestaktionen für „Frieden“ aus dem verschwörungstheoretischen Spektrum. In dem Jahr gab es eine unterschätzte Zäsur in der deutschen Gesellschaft. In der Zeit hat sich sehr vieles angebahnt, was heute umso radikaler durchschlägt. Mit den „Montagsmahnwachen für Frieden“ begann damals eine starke Popularisierung von Verschwörungstheorien. Die neuen Akteure waren viel stärker in Sozialen Medien vertreten als die klassische Friedensbewegung – Ken Jebsen ist da zu nennen. Alle damaligen Friedensgruppen waren gezwungen, sich dazu zu verhalten: Einige haben die Mahnwachenbewegung abgelehnt und sind bei ihrem Friedensbegriff geblieben, andere haben sich den neuen Gruppen und Personen und damit für tendenziell politisch rechte Kräfte geöffnet – damit verbunden war ihre Hoffnung, als Bewegung wieder größer zu werden. Und dieser Bruch wirkt bis heute fort und ist die Wurzel eines gewaltigen Imageproblems, dass bei Außenstehen Misstrauen erzeugt, wenn irgendwo Friedensbewegung draufsteht.
Wie Sie schon sagten, war die Bewegung auch früher schon heterogen – was ist heute also anders?
Auch früher bestand die „Friedensbewegung“ schon aus Menschen und Gruppen mit teils sehr unterschiedlichen Weltanschauungen: Da waren Antimilitarist*innen, Pazifist*innen, Christen und viele mehr – die Bewegung war schon immer sehr breit. Und es gab immer Diskussionen darüber, was „Frieden“ ist. Solche dauerhaft laufenden Diskussionen können ein „Jungbrunnen“ für Bewegungen sein: In den Friedensgruppen, in denen ich war, wurde stark versucht „Schritt zu halten“ mit den Entwicklungen in der Welt, da ging es mal um Terror, dann um asymmetrische Kriege oder Friedensgefährdungen in der eigenen Gesellschaft. Wie jeweils dazu Friedenspositionen aussehen könnten, darum wurde viel gestritten. Es braucht eine stetige Reflexion der eigenen Positionen – das scheinen einige Gruppen und Akteure in Bezug auf den Ukraine-Krieg verlernt zu haben. Positionen sind heute teilweise sehr vereinfacht und die „Feindbilder“ noch aus Zeiten des Kalten Krieges: Die NATO ist der Kriegstreiber. Russland ist Opfer. Punkt.
Mittlerweile wird das Thema „Frieden“ auch von politisch rechten Organisationen und beispielsweise auch von der „Alternative für Deutschland“ bespielt. Ist das auch eine Folge von 2014?
Ja. Die klassische Friedensbewegung verliert die Deutungshoheit über den Begriff „Frieden“ – und auch ihre Symbole werden gekapert: Spätestens seit der Corona-Pandemie sieht man Fahnen mit Friedenssymbolen auch auf zum Teil rechtsextremen Demonstrationen. Erst letztens habe ich an einem Infostand „Schwerter zu Pflugscharen“-Aufkleber neben welchen zum „Great reset“ und welchen mit einer Abbildung Josef Goebbels gesehen. Auch die AfD macht sich das Thema zu eigen. Und in Görlitz gab es neulich eine „Friedensdemonstration“ der extrem Rechten „Freien Sachsen“. Auch jemand vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ war daran beteiligt. Gerade das BSW sieht sich als Bewegungspartei, die das Thema „Frieden“ versucht mit ihrer Namensgeberin zu personalisieren und zu monopolisieren. Das Thema „Frieden“ wird instrumentalisiert und es wird versucht, der klassischen Friedensbewegung die Deutungshoheit darüber zu entreißen. Sowohl bei der AfD als auch beim BSW ist „Frieden“ nationalistisch aufgeladen. Mit Blick auf den Bundestagswahlkampf werden beide Parteien versuchen, „Frieden“ für sich zu besetzen, und es stellt sich die Frage, ob klassische Akteurinnen und Akteure der Friedensbewegung da überhaupt noch eine Chance haben, ihre Deutung davon, was „Frieden“ ist, breiter vertreten zu können. Die Öffentlichkeit blickt mittlerweile sehr kritisch auf die Friedensbewegung und es fällt ihr schwer zu unterscheiden, mit wem sie es jeweils genau zu tun hat. Das Image der Bewegung, für das viele Organisationen nichts können, ist ein enormes Problem.
Eine Untersuchung über die Ostermärsche im von Ihnen mitveröffentlichten „Forschungsjournal Soziale Bewegung“ (2022 | Band 35 | Heft 4) kam zu dem Ergebnis, dass der Krieg in der Ukraine und die Aufrüstung der Bundeswehr nicht zu mehr Zulauf geführt haben – woran liegt das?
Die „Friedensbewegung“ ist eine sehr gealterte Bewegung. Ein Generationenwechsel, wie es ihn beispielsweise in der Umweltbewegung gibt, ist nicht gelungen: Dort hatte man über lange Zeiträume immer wieder Protestanlässe als verjüngendes Aktionselement: Die Atommülltransporte und später kamen die Klimagerechtigkeitsbewegung und dann Fridays for Future. Dabei sind dann immer auch einige junge Menschen langfristig politisch aktiviert geworden. Diese „Verjüngungspunkte“ hatte man in der Friedensbewegung in den letzten Jahrzehnten kaum oder hat es nicht geschafft, dabei langfristig neue, junge Menschen zu aktivieren. Die Friedensbewegung ist dabei heute nicht nur tendenziell eine Bewegung alter Menschen, sondern auch weißer Menschen – neben jüngeren sind auch Menschen mit Migrationshintergrund kaum vertreten.
Die Ostermärsche sind für Jüngere auch nicht attraktiv. Ich habe mir 2022 beispielsweise mal die Websites vieler Friedensgruppen angesehen – das waren teilweise Seiten, die sahen aus wie aus den 1990er-Jahren. Das „in der Bewegung alt werden“ ist ein strukturelles Problem, und die Frage ist, ob es gelingt, sich zu verjüngen. Und da gibt es einen Kipppunkt: Wenn eine oder zwei Generationen fehlen und dann überwiegend nur ältere Leute da sind, verliert man den Anschluss zu den darauffolgenden jungen Generationen. Zum Teil sind der Friedensbewegung auch die – zugespitzt gesagt – „eigenen Erfolge auf die Füße gefallen“: Man hatte irgendwann Friedensforschungsinstitute an Universitäten und Friedensdienste, die junge Leute ins Ausland schickten – die waren aber nicht mehr organisch mit der Bewegung verbunden. So ist es noch heute.
Ist die Bewegung damit also am Ende?
Es könnte sein, dass sie aufgrund der starken Aneignung des Themas durch andere Akteure in ihrer traditionellen Form verschwindet. Ich neige da manchmal selbst zu Pessimismus und frage mich, ob man den Deutungskampf um den Friedensbegriff nicht schon verloren hat. Für junge Menschen ist die heutige Bewegung schlicht unattraktiv. Vielleicht braucht es einen Neuanfang. Vielleicht sind auch bestimmte Symbole verbrannt und man muss sich neu erfinden. Doch wie so ein Neuanfang aussehen kann, weiß ich auch nicht.
Was vielleicht Hoffnung machen kann: In der DDR gab es eine staatliche Friedensbewegung und eine allgegenwärtige Propaganda, die den Friedensbegriff stark militarisiert und entstellt hat. Und trotzdem haben sich dort unabhängige Strukturen gebildet und konnten ihrerseits den Friedensbegriff prägen. Heute weiß ich aber nicht, inwieweit es in einigen Gruppen Diskussionen darüber gibt, wie man sich von populistischen, nationalistischen Akteurinnen und Akteuren abgrenzen kann und sollte. Aktuell sind Grenzziehungen wichtig, für die Bewegung (im Plural) vielleicht überlebenswichtig.
Das Interview wurde geführt von Michael Schulze von Glaßer, politischer Geschäftsführer der DFG-VK und Redakteur des Friedensforums.