UN-System; regionale Systeme; nationaler Schutz

Das internationale System des Menschenrechtsschutzes und seine Mängel

von Frauke Lisa Seidensticker

Das System des Menschenrechtsschutzes der Vereinten Nationen ruht auf zwei wesentlichen institutionellen Säulen: den politischen Organen und den Fachorganen. Das politische Organ des Menschenrechtsschutzes ist die Menschenrechtskommission, die voraussichtlich in diesem Jahr zum 62. und letzten Mal tagen wird, bevor sie durch einen so genannten Menschenrechtsrat mit veränderter Zusammensetzung und Arbeitsweise ersetzt wird.
Die Menschenrechtskommission ist vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen eingesetzt worden, und bei aller Kritik, die an ihrer Arbeitsweise geäußert wurde, ist zu hoffen, dass im Rahmen des Menschenrechtsrates ihre vielen Errungenschaften erhalten bleiben. Ein wesentliches Problem der Menschenrechtskommission war es, dass es eine Angelegenheit politischer Verhandlungen war, zu welchen Ländern eine kritische Resolution mit den entsprechenden Empfehlungen verabschiedet wurde. Während es selten oder nie die falschen getroffen haben wird, hat es die richtigen aber häufig verschont, denn viele menschenrechtsverletzende Staaten spielen im internationalen oder regionalen Gefüge eine entscheidende Rolle. Mit ein bisschen oder auch ein bisschen mehr Lobbying des entsprechenden Staates an der richtigen Stelle ließ sich eine Verabschiedung der Resolution vermeiden, oft wurde sogar erreicht, dass die. Debatte wegen Nichteintretens gar nicht erst aufgenommen wurde.

Ein großer Verdienst der Menschenrechtskommission ist aber die Erarbeitung der menschenrechtlichen Verträge, und, in der Praxis ebenfalls sehr bedeutend, die Entwicklung von speziellen Mechanismen zur Beobachtung der Menschenrechtslage. Neben der Unterkommission, die Studien zu bestimmten Themen erarbeiten kann, sind dies in der Regel Sonderberichterstatterinnen und Sonderberichterstatter oder auch Arbeitsgruppen zu Themen wie Folter, Gewalt gegen Frauen oder dem Recht auf Wohnen, zum anderen aber auch zu einzelnen Ländern. Diese leisten vielfach ausgezeichnete Arbeit und machen auch umstrittene Menschenrechtsprobleme mit ihren Berichten an die Kommission sichtbar. Ihre Empfehlungen beruhen auf einer differenzierten Beurteilung. Gerade in jüngster Zeit ist mit den Arbeiten des Sonderberichterstatters zu Folter, der sich hintereinander mit China und den USA befasst hat und bezüglich beider Länder kein Blatt vor den Mund genommen hat, sichtbar geworden, wie viele Möglichkeiten diese Mechanismen haben, wenn sie sie nutzen.

Von dem her bleibt zu hoffen, dass der neu zu gründende Menschenrechtsrat, von dem man sich schnellere Krisenreaktion und höhere Glaubwürdigkeit erhofft, da der Zugang weniger einfach ist, die wirksamen Mechanismen der Menschenrechtskommission beibehält, die sich eben auch einmal den Großmächten gegenüber Kritik erlauben können.

Der politischen und politisierten Arbeit der Menschenrechtskommission steht diejenige der menschenrechtlichen Fachorgane gegenüber, die die Einhaltung der sieben Menschenrechtsverträge - den Zivil- und den Sozialpakt sowie die Abkommen gegen Frauendiskriminierung, gegen Rassendiskriminierung, gegen Folter, für Kinderrechte und für die Rechte von Wanderarbeitern und ihren Familien- überwachen. Sie treffen sich zu einigen mehrwöchigen Sitzungen pro Jahr, in der Regel in Genf - der Frauenrechtsausschuss tagt aber in New York-, und nehmen die Berichte über die Umsetzung der Abkommen entgegen, die Staaten in der Regel alle vier Jahre abliefern müssen. Natürlich liefern viele Staaten ihre Berichte nicht oder mit teilweise großer Verspätung ab. Wenn aber ein Bericht eingereicht ist und der Dialog zwischen den berichterstattenden Ländern und den Vertragsorganen aufgenommen wird, ist dies in der Regel ein fruchtbarer Prozess, in dem die Vertragsorgane wichtige Impulse für die bessere Umsetzung der Verträge geben. Deutschland gegenüber etwa äußerte der Ausschuss zum Sozialpakt große Besorgnis zu menschenunwürdigen Zuständen in Pflegeheimen, und der Ausschuss gegen die Folter hat eine Verbesserung der zentralen Datensammlung zu Misshandlungsvorwürfen gegen Vollzugsbeamte gefordert, um ein mal zwei Beispiele zu nennen.

Über ihre Empfehlungen an die einzelnen Länder hinaus führen die Vertragsorgane die Rechtsauslegung ihrer Konvention weiter- die so genannten Allgemeinen Empfehlungen der Ausschüsse leisten Konkretisierungen der Menschenrechtsnormen auf dem Weg der Interpretation. Sie stellen etwa fest, dass bestimmte Körperstrafen den Tatbestand der Folter erfüllen, oder halten fest, wann zeitweilige positive Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierung erforderlich sind. Damit geben sie wichtige Impulse für Rechtsentwicklungen auch auf nationaler Ebene. Schließlich haben einige Ausschüsse die Kompetenz, Einzelbeschwerden in einem quasigerichtlichen Verfahren zu behandeln - auf Grundlage einer speziellen, für die Staaten fakultativen Unterwerfung unter dieses Verfahren. Trotz fehlender rechtlicher Bindungswirkung kommt den Individualbeschwerdeverfahren der Vertragsorgane eine große Rolle zu.

Obwohl also eine gerichtliche Durchsetzbarkeit nicht verankert ist, ist dieses UN-Schutzsystem  in seiner Entwicklung der letzten Dekaden bedeutend. Durch die zahlreichen Verhandlungs- und Diskussionsprozesse zu menschenrechtlichen Fragen in den politischen und den Fachorganen, die sich in multiplen bi- und multilateralen Foren fortsetzen, hat das internationale Menschenrechtsschutzsystem eine Anerkennung erfahren, dies einer Umsetzung äußerst zuträglich ist.

Eine besondere Herausforderung bilden die Menschenrechtsverletzungen im Umfeld und im Zentrum bewaffneter Konflikte. In diesem Zusammenhang hat auch der UN-Sicherheitsrat eine menschenrechtliche Aufgabe. Friedensmissionen der Vereinten Nationen, die sich von den ursprünglichen peacekeeping-Mandaten zur Beobachtung eines Waffenstillstands längst in komplexe Operationen mit umfassenden Aufgaben von peace-enforcement bis hin zu den aufbauenden Maßnahmen des peace-building gewandelt haben, zum Teil sogar vorübergehend UN-Protektorate einrichten, haben heutzutage häufig eine Menschenrechtskomponente - oder sie sollten sie haben. Dem Sicherheitsrat kommt natürlich eine Schlüsselrolle zu, was den Einsatz militärischer Mittel, zumal gegen den Willen des Empfängerstaates, angeht, aber auch die Ausgestaltung des Mandats wird zunächst im Sicherheitsrat verhandelt - und die Integration von Menschenrechtsreferenzen wirkt sich erheblich auf die Möglichkeiten einer Feldmission auf. Einen Meilenstein in der Ahndung schwerer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen bewaffneter Konflikte bildet die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord oder schwere Verletzungen der Genfer Konventionen können hier auf internationaler Ebene strafverfolgt werden, wenn der zuständige Nationalstaat nicht fähig oder nicht willens ist, das Strafverfahren selbst durchzuführen.

Auf regionaler Ebene haben wir in Europa ein sehr ausgereiftes Schutzsystem, wegweisend ist insbesondere der Europäische Menschenrechtsgerichtshof; der Beschwerden von Einzelpersonen auf Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention entgegennimmt. Mit 800 Millionen Rechtsunterworfenen und 46 Vertragsstaaten hat der Gerichtshof einen·enormen Einzugsbereich. Er ist allerdings dringend reformbedürftig, insbesondere da er völlig überlastet ist. Erwähnt seien schließlich zwei wichtige menschenrechtliche Kommissionen, die im Rahmen des Europarats eingerichtet wurden: die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz und das Komitee, das die Einhaltung des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe überwacht. Mit regelmäßigen Staatenbesuchen und anschließenden Berichten mit Empfehlungen haben beide Ausschüsse wesentliche Beiträge zum Abbau von Rassismus und Diskriminierung und zur Folterprävention in Europa geleistet.

Auf nationaler Ebene bilden in Deutschland die nationale Rechtsprechung und das Bundesverfassungsgericht wesentliche Eckpfeiler des Menschenrechtsschutzes. UN-Menschenrechtsabkommen bilden hier unmittelbar geltendes Recht und damit eine zentrale Referenz - die aber leider zu wenig genutzt wird. Die Umsetzung auf der nationalen Ebene wird aber von Staat zu Staat sehr unterschiedlich gehandhabt. Die wesentliche Umsetzung findet immer auf der nationalen Ebene statt- UN-Organe und Menschenrechtsgremien des Europarats können wichtige Impulse geben und auf Missstände aufmerksam machen. Eine wesentliche Neuerung hat das Menschenrechtsschutzsystem durch die Einrichtung von nationalen Menschenrechtsinstitutionen erfahren, die in staatlichem Auftrag, aber unabhängig darüber wachen, ob und wie die Menschenrechtsabkommen, die das entsprechende Land ratifiziert hat, eingehalten werden. Viele dieser Institutionen haben sogar eine Einzelfallkompetenz, sie können also Individualbeschwerden aufgreifen und, meistens in quasi-gerichtlicher Funktion, Verbesserungen erwirken. Im Zusammenspiel zwischen Staat, Zivilgesellschaft, internationalen und regionalen Menschenrechtsgremien und nationalen Institutionen liegt die größte Chance für substantielle Verbesserungen im Menschenrechtsschutz.

 

 

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Frauke Lisa Seidensticker ist stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin.