Konflikte gewaltfrei lösen

Das Konzept eines Zivilen Friedens­dienst (ZFD)

von Helga Tempel
Schwerpunkt
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Nachrichten von Mord und Zerstörung unvorstellbaren Ausmaßes be­herrschen die Medien. Weltweit und auch in unserem Land scheint die Gewaltbereitschaft - besonders gekoppelt mit Fremdenfeindlichkeit - zuzunehmen. Fassungslos reagieren Bürgerinnen und Bürger auf das Leiden der Menschen, und entgegen ihrer grundsätzlichen Überzeu­gung fordern selbst gestandene Pazifisten den Einsatz zumindest be­grenzter militärischer Gewalt.

Unvoreingenommene Militärs müssen andererseits zugeben, daß die heute vor­herrschenden ethnischen Konflikte, die Verteilungskämpfe zwischen Arm und Reich, blutige Stammesfehden sowie religiöse Auseinandersetzungen nicht durch militärisches Eingreifen zu lösen sind. Wo es keine klaren Frontlinien, keine zu verteidigenden Grenzen und keine tragfähigen Lösungsvorschläge gibt, muß auch nach ihrer Erkenntnis alle militärische Strategie versagen.

Viele Menschen aus der Friedensbewe­gung fühlen sich dadurch bestätigt in ih­rer Auffassung: Gewalt löst keine Pro­bleme - und leiden deshalb doch nicht weniger unter der scheinbar aussichtslo­sen Situation.

Gleichzeitig sprechen Politiker von mit der Wiedervereinigung "gestiegener in­ternationalen Verantwortung" Deutsch­lands und denken dabei weiter­hin nur in militärischen Kategorien. Sie versuchen unter Berufung auf den Gene­ralsekretär der Vereinten Nationen, Bhutros Ghali, den "out of area"-Einsatz der Bundes­wehr ungeachtet der Be­stimmungen des Grundgesetzes als un­abwendbar hinzu­stellen; dabei hat der Ge­neralsekretätr ausdrücklich davon ge­sprochen, daß er "vielerlei auch nicht-militärische Mög­lichkeiten" für Deutschland sähe, seiner Verantwortung im Rahmen der Völker­gemeinschaft gerecht zu werden.

In dieser politischen Situation legt der Bund für Soziale Verteidigung (BSV) sein Konzept eines Zivilen Friedens­dienstes (ZFD) vor. Es wurde auf der Grundlage der im Oktober 1991 von der Berlin-Brandenburgischen Kirche ent­wickelten Idee von einer Arbeitsgruppe erstellt und zielt darauf ab, einen Frei­willigendienst als Instrument zur ge­waltfreien Krisenintervention und zi­vilen Konfliktbearbeitung zu schaffen.

Konzept

Das Konzept für den Zivilen Frie­densdienst liegt in gedruckter Form vor. Das handliche DIN A6 Heft­chen ist zu bestellen beim: Bund für Soziale Verteidigung, Postfach 2110, 32378 Minden. Preise: 50 Ex­empla­re: DM 30,-; 100 Exemplare DM 50,-; je weitere Exemplare DM 40,-

Es enthält "Überlegungen zum Aufbau, zur gesellschaftlichen Verankerung, zur Ausbildung von Freiwilligen sowie zu den möglichen Aufgaben und Einsatz­feldern eines solchen Dienstes" und soll als Grundlage zu Gesprächen mit allen Interessierten dienen.

Wichtige Eckpfeiler der Idee eines Zi­vilen Friedensdienstes werden im fol­genden weitgehend im Wortlaut wie­dergegeben:

1. Der ZFD ist ein freiwilliger Dienst, der Frauen und Männern jeden Alters die Möglichkeit geben soll, mit ge­waltfreien Mitteln planvoll in Krisen und Konflikte einzugreifen und ge­waltmindernd zu wirken.

2. Ziel der Einsätze sollen unter an­derem - vorbeugende Maßnahmen im Vorfeld gewaltsamer Konflikte,

- die Beendigung und Überwindung von gewaltsamen Auseinanderset­zungen,

- die Suche nach konsensfähigen Lösun­gen mit den direkt Beteiligten sowie,

- die Unterstützung der Kräfte sein, die für Versöhnung, gewaltfreien Kon­fliktaustrag und die Herstellung ge­rechter Verhältnisse eintreten.

3. Die Männer und Frauen erhalten für derartige Einsätze allgemein und für besondere Aufgabengebiete speziell eine mehrmonatige gründliche Aus­bildung, für die der ZFD verantwort­lich zeichnet.

4. Die Träger des ZFD sind freie Orga­nisationen verschiedener Art. Der Staat schafft die gesetzlichen Rah­menbedingungen, sichert die Frei­willigen rechtlich ab und finanziert die Dienste.

5. Grundlage des Dienstes ist das Prin­zip der Freiwilligkeit. Nur so kann die erforderliche Motivation gekop­pelt mit einem hohen Maß an Ver­bindlichkeit entstehen. Freiwillige des ZFD werden von der Wehrpflicht befreit.

6. Über Aufgaben und Einsatzgebiete des ZFD entscheidet ein zu schaf­fendes Koordinationsgremium, in dem die Trägerorganisationen mit Vertretern des Staates zusammenar­beiten.

7. Der ZFD dient dem Gemeinwohl al­ler Menschen und nicht partikularen (z.B. nationalen oder wirtschaftli­chen) Interessen.

8. Der Zivile Friedensdienst sucht die Zusammenarbeit und Vernetzung mit entsprechenden internationalen Diensten sowie anderen Organisatio­nen.

9. Er arbeitet eng mit Friedensfor­schungsinstituten und anderen rele­vanten Einrichtungen zusammen.

10.Der ZFD soll schrittweise den Ein­satz militärischer Mittel überflüs­sig machen.

Besonderer Diskussionsbedarf sowohl zwischen den beteiligten Friedensorga­nisationen wie auch mit den möglichen Trägern sowie vor allem auch mit staat­lichen Stellen besteht noch hinsichtlich des Aufbaus und der Organisations­struktur des Dienstes. Kritische Stim­men konzentrieren sich auf die Frage: Wieviel Staat scheint nötig, wieviel Staat scheint möglich für einen solchen Dienst, der sich als unabhängig von je­der Regie­rungspolitik verstehen will und muß?

Erste Erörterungen mit Verwaltungs- und Staatsrechtlern, mit Politikern und anderen Sachverständigen z.B. vom Deutschen Entwicklungsdienst haben ergeben, daß einerseits das Konzept des BSV in seiner derzeit vorliegenden Form einer gründlichen und fachmänni­schen Überarbeitung bedarf, bevor es zur Grundlage eines entsprechenden Gesetzenentwurfs gemacht werden kann - daß aber andererseits die Schwierig­keiten auf dem Weg der Realisierung keineswegs unüberwindlich zu sein scheinen.

Die Entwicklung des ZFD bis hin zu ei­ner entsprechenden Gesetzesvorlage soll von einer zu gründenden "Initiative Zi­viler Friedensdienst" vorangetrieben werden, deren Koordination bis auf weiteres von der Geschäftsstelle des BSV wahrgenommen wird. Es ist daran gedacht, eine ABM-Kraft für diese Auf­gabe zu suchen. Die "Initi­ative" wird sich bemühen, eine möglichst breite Ba­sis für diesen neuen gewalt­freien An­satz im politi­schen und öffentlichen Le­ben zu finden, und mit al­len Personen und Gruppen zusammenzuarbeiten, die die Idee eines solchen Zi­vilen Friedens­dienstes för­dern wollen.

Als weiterer nächster Schritt ist ein Aufruf zur Unterstützung der Idee des ZFD geplant, mit dem zu­nächst promi­nente Erst-Un­terzeichnerInnen und später weitere Unterschrif­ten ge­wonnen werden sol­len. Neu an dieser Aktion ist, daß die Unterschrift nur zu­sammen mit einer Spen­de von 100,- (für Verdie­nen­de) veröffent­licht wer­den wird. Wir hof­fen, auf diese Weise zu­mindest ei­nen Teil des nö­tigen Start-Ka­pitals zusam­menzubringen. Parallel zu diesem Schritt in die Öf­fentlichkeit sollen erste Kontakte vor allem zu Po­litikern aufge­nommen wer­den, die letztlich auch der Fortentwicklung des Kon­zepts mit dem Ziel ei­ner Realisierung in abseh­barer Zeit dienen. Auf ei­ner er­neuten Fachta­gung in der Evangelischen Akade­mie Mülheim im Spät­herbst werden Exper­tnIn­nen an der Endfassung des Kon­zepts arbeiten.

Zeitgleich zu diesen Bemühungen lau­fen bereits Vorbereitungen zu ersten "Pilotprojekten" zur Gewaltprävention im In- und Ausland. Erste Trainings für Freiwillige fanden statt, weitere sind in Planung und für die notwendige Ausbil­dung liegt bereits ein Curriculum vor, an dem weiter gearbeitet wird.

 

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