Von Friedensaposteln und anderen Militärstrategen

Das neue “Wir-Gefühl“

von Christine ParsdorferGeorg Lutz

In der Debatte, ob "wir" in möglichst vielen Teilen der Welt militärisch intervenieren sollen, hat die staatstragende Linke den analytischen Löffel abgegeben. Die selbsternannten Vorzeigeveteranen der 68er, Joschka Fischer und Danny Cohn Bendit, sind die Prototypen in dem von den Medien hochgeputschten politischen Komödienstadel. Fischer, in Gedanken schon ministerial in Bonn, bewegt die zentrale Frage: was sag ich den deutschen Müttern, wenn die ersten Zinksärge hier landen? Ihm als Taktiker ist bekannt, daß bisher für den Heldentod "unserer" Jungs keine Mehrheiten in Sicht sind. Cohn Bendit spielt die personifi­zierte Moral und ereifert sich über den "Völkermord": er will lieber heute als morgen in Bosnien einmarschieren. Gar bitterlich beklagt er sich über die  deutsche Linke, die nicht wie in alten Zeiten auf die Straße geht.

 

Es ist schon sonderbar, wie in den letz­ten zwei Jahren der bundesrepublikanische Nachkriegskonsens, auf den Punkt gebracht durch den Satz "Der Friede ist der Ernstfall", außer Kraft gesetzt wird. Hinter dem Krieg stand der Atomtod. Generationen von Jugendlichen wurden Waffen als reine Abschreckungsmittel vermittelt. Zudem schien gerade die Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre den good-will des besseren Deutschlands zu zeigen, aus den Erfah­rungen der Geschichte zu lernen und je­der Form der Militarisierung mittels Händchenhalten und Massenaufläufen einen Riegel vorzuschieben.

Vor dem Hintergrund dieses absoluten peace keeping übersieht man aber allzu leicht, worum es einem Teil der Frie­densbewegung eigentlich ging, und daß es nicht verwundern muß, wenn heute ehemalige Friedensaktivistinnen mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr Rambo-Pogo tanzen. Der eigene, atomwaffenfreie Vorgarten, das durch die Stationierung von Mittelstreckenraketen in seiner Existenz bedrohte Europa war die Triebfeder von nicht wenigen Frie­densfreundInnen. Die heutige Empö­rungsformel "In Europa herrscht Krieg und wir schauen zu" offenbart nur die Kehrseite eines auch gerade in linken Kreisen herrschenden "Europäismus", der Europa mit Zivilisation gleichsetzt. Diese Anfang der 80er durch die Aufrü­stung der Großmächte bedrohte europäi­sche "Zivilgesellschaft" muß heute im "eigenen" Haus für Ordnung sorgen.

Auf wessen Kosten solche eurozentristi­sehen Sichtweisen gehen und wer traditionell als Gegenbild für das fortschritt­liche Europa herhalten muß, hat die in­ternationalistische Linke eigentlich lange genug thematisiert. Nun nach dem Ende des Kasernenhofsozialismus sind überall alte Gewißheiten am zusammenbröckeln. Neue Feindbilder repro­duzieren das alte "Gut-Böse-Schema" und bieten ideologische Strohhalme zur Komplexitätsreduktion in einer unüber­sichtlich gewordenen Welt.

Zwei Konstellationen, die eng mit der europäischen Geschichte verhaftet sind, feiern fröhliche Urstände, Einerseits wird das Bild des grausam-heimtückischen Asiaten neu gezeichnet. Die Ser­ben - das kriegerische, vandalierende, vergewaltigende "Volk" - rechtfertigen eine Intervention im Namen europäischer Vernunft, die mit dem "kroatischen Volk" gleichgesetzt wird. Die Bosnier stehen zur Zeit für das Ide­albild der Multi-Kulti-Gesellschaft. Sollten sie aber Sympathien für musli­mische Fundis zeigen, kann sich das schnell ändern. Überall stereotype Kennzeichnungen, um alte Vorurteile zu untermauern. Schlimmer noch in Afrika. Dort steht der "homo somaliens" für den ganzen "Elendskontinent": Hungernde Kinder, Aids und marodierende Banden schreien geradezu nach westlicher Mis­sion, diesmal nicht im Namen des Kreu­zes, sondern im Namen eines karitativen Humanismus, der seine neokoloniale Perspektive mehr recht als schlecht ver­birgt. Zum Beispiel Angola: Wirksamen politischen Druck auf die UNITA gibt's erst dann, wenn die Förderung strategi­scher Rohstoffe gefährdet ist Politiker wie Rühe, die jahrelang mit wesentlich höheren Beiträgen Diktatoren wie Siad Barre unterstützten (Polizeihilfe von der BRD und Geheimdienstaufbau von der DDR), reden jetzt blumig über "die En­gel von Phnom Phenh" und die univer­sellen Menschenrechte. Dabei geht es doch schlicht um eigene Interessen. Sollten die gequälten Menschen auf die Idee kommen, hier Bürgerrechte einzu­fordern, stehen sie vor der Festung Europa.

Vier "Entwicklungsdekaden" predigten die Priester der Metropolen: "Ihr habt die Chance so zu sein wie wir; wenn ihr euch anpaßt und anstrengt." Heute, wo die Plätze in der Weltwirtschaft besetzt sind und dem Teil der Welt, der nicht am Tisch Platz nehmen kann, empfoh­len wird, sich in die "Treuhandschaft" der Industrieländer zu begeben, sind wir wieder an einem klassischen Topos angelangt. Die Barbarei   der "Unter­entwickelten" zeigt letztlich nur, daß "wir" halt doch die besseren sind.

Hinter der heilsmissionarisch verklei­deten Caritas kommen Entwicklungen zum Tragen, die auf drei Ebenen einen neuen "pax imperialistica" einleiten: In Somalia  wird die "Lösung" zukünftiger Konflikte geprobt, die angesichts der Abschreibung ganzer Kontinente nicht ausbleiben werden. In Europa werden auf dem Rücken Ex-Jugoslawiens die zukünftigen Kräfteverhältnisse – sowohl  in der EG als auch zwischen den Machtblöcken - ausgehandelt. Der Streit zwischen Frankreich, England und Deutschland um die Anerkennungspoli­tik macht dies ebenso  deutlich wie die Vereinnahmung Rußlands nach dem Motto "Kredite gegen politische Ruhigstellung". In Deutschland selbst kann sich unter dem vordergründigen "Verantwortung in der Welt übernehmen" eine aus historischen Gründen desavouierte "Normalisierungspolitik entfalten. Zunächst als teure PR-Tour in den Norden Somalias. Was die Bundeswehr dort leisten soll, machen andere Organisationen im Rahmen herkömmli­cher "Entwicklungshilfe". Schon beim nächsten Mal, z.B. in Aserbaidschan, könnte es blutiger Ernst werden.

Wer angesichts dessen mit der Forde­rung daherkommt, doch bitte  Implikationen und Konsequenzen von Interven­tionen mitzudenken, kommt leicht in den Geruch des Unmenschen. Angesichts des medial selektiv aufbereiteten Leids verkommt der kritische Einwurf zu purer Ketzerei.

Was ist aber mit dem berechtigten Mit­leid, der moralischen Empörung über die Schweinereien weltweit? Mitleid ist scheinbar selbstlos, wird ohne Eigeninteresse praktiziert - damit aber implizit geleugnet, daß die Verhältnisse hier et­was mit den Verhältnissen dort zu tun haben. Man schaut in entfernte Teile der Welt, beklagt fremdes Leid in fremden Ländern. Saturierte Ex-Linke, die aus­schließlich verbal moralischen Katego­rien verhaftet sind, ohne gleichzeitig Handlungsdefizite an sich selbst zu er­kennen, müssen nach Gründen suchen, um dieses fortbestehende Elend ertragen zu können. Sie geben früher oder später die Schuld für das Leiden an diejenigen zurück, die man zuvor noch zutiefst be­dauert hat.

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