Das Niger-Delta und der Politische Konflikt in Nigeria

von Dr. Peter Bushel Okoh
Hintergrund
Hintergrund

Eine Geschichte des Handels und großer menschlicher Tragödien prä­gen die Region des Niger-Deltas mit ihrem spektakulären, aber emp­findlichen Ökosystem. Im südlichsten Teil Nigerias gelegen, hat das Ni­ger-Delta fast 500 Jahre lang von Menschen organisierte Gewalt erlebt. Die besondere Rolle, die fossile Brennstoffe in der modernen Gesell­schaft und Industrie spielen, lenkte die Aufmerksamkeit der Welt auf die Region.

Umweltzerstörung im Nigerdelta

Die groteske Todesstrafe gegen den be­kannten Bühnenautor und Umweltaktivisten Ken Saro-Wiwa und acht weitere Führer der Ogoni hat weltweit Empö­rung ausgelöst. Verhängt von den Füh­rern der nigerianischen Militärjunta un­ter General Sanni Abacha, haben die Todesurteile die Aktualität des Kon­fliktes in dieser Region unterstrichen. Der Kampf um die Kontrolle über die Ölfelder spielt eine zentrale Rolle in der aktuellen politischen Krise.

Das Nigerdelta bedeckt etwa 70.000 Quadratkilometer, von denen 80 Prozent saisonal überflutet werden. Der Niger hat das neuntgrößte Wassereinzugsge­biet der Flüsse der Welt. Seine Mangro­venwälder sind die drittgrößten der Welt und die größten in Afrika. In der Region leben etwa 12 Millionen Menschen, die 26 Sprachen und Dialekte sprechen; 70 Prozent leben in ländlichen Gemeinden.

Die Ökologie des Niger-Deltas ist sehr empfindlich und wird seit langem rück­sichtslos ausgebeutet. Zum Beispiel liegt die Küstenlinie des Deltas sehr niedrig und das Steigen des Meeresspie­gels bedroht das Überleben der ge­samten Region. Küstenschutzbarrieren und Beobachtungsstationen sind einige der empfohlenen Gegenmaßnahmen, die das mögliche Verhängnis vom Niger-Delta abwenden könnten.

Das Gebiet ist zudem von Hochwassern und Erosion bedroht, die auf hohe Was­serspiegel, heftigen Regenfällen, das weitläufige Netz von Flüssen an den Mündungen des Niger und des Benue und eine unvorteilhafte Topographie zu­rückzuführen sind. Zudem hat die Landabsenkung die Überschwemmun­gen von Feuchtgebieten, Versalzung und den Rückgang der Bodenprodukti­vität verstärkt.

78 Prozent der afrikanischen Gasvor­kommen liegen in Nigeria. Doch 76 Prozent der Gasproduktion der fünf afrikanischen OPEC-Länder werden in Nigeria abgefackelt. Im OPEC-Durch­schnitt sind es 18 Prozent. Fast das ge­samte abgefackelte Gas wird in der Re­gion des Nigerdeltas verbrannt. Die ökologischen Folgen für die Gemein­den, für Wildtiere und das gesamte Ökosystem, die Hitze, die permanente Beleuchtung, die Korrosion an Dächern und der saure Regen sind alarmierend.

Zudem hat die Politik der Marginalisie­rung durch verschiedene nigerianische Regimes in fast 40 Jahren der Ölförde­rung eine akute Konfliktsituation ge­schaffen.

Militarisierung und
Kontrolle über Rohstoffe

Die nigerianische Armee, die das Erbe der Macht angetreten hat, ist eine post­koloniale Regierungsarmee, die von den Kolonialmächten hauptsächlich zur Unterstützung der Kolonialverwaltung und der Polizei bei der Bewahrung der inneren Ordnung und der Sicherung der Grenzen gegründet wurde.

Militärdiktatoren haben in 24 Jahren der 35jährigen Geschichte Nigerias seit sei­ner Unabhängigkeit die Grundlagen der föderalen Struktur des Landes verändert. Der Trend wurde von General Ironsi, Nigerias erstem Militärdiktator, in Gang gesetzt. Mit der Begründung, die Ver­waltung der Armee sei monolithisch, das gleiche System müsse daher auch auf das Land angewandt werden, kündigte er 1966 eine Staatsreform an, die auf eine Einheitsregierung hinauslief. Er wurde bald von seinen Untergebenen gestürzt.

Im Juli 1966 übernahm General Gowon die Macht. Er trieb während des Bür­gerkrieges 1967 die Aufteilung des Staates in 12 Länder voran. Damit er­zeugte er den Eindruck, als wolle er die Basis für einen echten Föderalismus im Lande legen, da die neuen Teilstaaten die ethnischen Gruppen der Bevölke­rungsmehrheit zu einem gewissen Grad von den Minderheiten trennten. Doch kaum war der Krieg vorbei, änderte er willkürlich die Grundlage für den nige­rianischen Föderalismus, indem er sich der Ölreserven der Minderheiten im Ni­ger-Delta bemächtigte. Dies schuf eine reiche, starke Zentralregierung, die be­sondere Anziehung auf Politiker des Militärs, ethnische Nationalisten und sogar Banditen ausübte.

General Gowon wurde 1975 in einer Palastrevolte gestürzt, und seine Nach­folger, General Murtala Muhammed und General Obasanjo, stärkten die Zentral­regierung weiter. Sie beschlagnahmten weitere Ölfördergebiete von ethnischen Minderheiten und sicherten den Mehr­heitsgruppen einen Löwenanteil an den Einnahmen aus diesen Ressourcen. Während unter General Gowon noch 40 Prozent der Öleinnahme an die ölför­dernden Teilstaaten gegangen waren, reduzierte General Obasanjo diesen Anteil diktatorisch auf 20 Prozent. Gowons Staatsstruktur von 12 Bundes­ländern wurde auf 19 erweitert, von denen die meisten in den Gebieten der ethnischen Mehrheiten gebildet wurden. So wurde die Schaffung von Ländern, anstatt sie zur Lösung des brennenden Problems der Emanzipation ethnischer Minderheiten zu nutzen, zu einem In­strument der Unterdrückung durch die ethnischen Mehrheiten gemacht. Zudem übernahm General Obasanjo Einrich­tungen der Länder wie Universitäten, Fernseh- und Radiostationen sowie Zeitungen und stärkte so die Vormacht der Zentralregierung über die Länder.

Die Generäle Buhari und Babangida vollendeten während ihrer Herrschaft (1984-1993) diesen Prozess. Buhari re­duzierte den Anteil für die fördernden Länder auf ein Prozent, Babangida spaltete den Staat in 30 Länder mit fast 600 Lokalverwaltungen auf. Diese hin­gen fast vollständig von Öleinnahmen aus den Resourcen der ethnischen Min­derheiten im Niger-Delta ab. General Babangida stellte sicher, daß die mei­sten Länder und Lokalverwaltungen in den Gebieten der ethnischen Mehrheiten lagen und daß die Formel zur Auftei­lung der Ölgewinne die ethnischen Mehrheiten begünstigten. Nach der Formel des Militärs sind die Gebiete der ethnischen Mehrheiten in mehrere Län­der mit jeweils eigenen Regierungen und einer aufgeblähten Bürokratie auf­geteilt, während die ethnischen Minder­heiten in polyethnischen Teilstaaten unter einer Einheitsregierung leben.

Dies ist sicherlich eine Fehlentwicklung und hätte sich nicht ergeben, wenn die Teilstaaten von ihren eigenen ökonomi­schen Ressourcen und nicht von den durch Zwang erworbenen Ressourcen von ethnischen Minderheiten abhängig wären. Die Minderheiten sind jedoch zu machtlos und zahlenmäßig nicht stark genug, um sich dieser blanken Margi­nalisierung zu widersetzen. Wo sie es versuchen, werden sie brutal niederge­schlagen, wie zuletzt die öffentliche Exekution der neun Ogoni-Führer durch die Militärjunta am 10. November 1995 gezeigt hat.

Seit dem Ende des Biafrakrieges 1970 hat sich Nigeria zu einer nur mehr no­minellen Föderation entwickelt. Es ist eine militarisierte Föderation mit einer sehr starken Zentralregierung, in der die herrschenden Muslime aus dem Norden (Hausa-Fulani) durch episodische Alli­anzen mit den Mehrheits-Ethnien der Yoruba und Ibo die Ressourcen des Landes dominieren und kontrollieren - und diese liegen im Niger-Delta. Dies erzeugt Kämpfe um die Kontrolle der Zentralregierung, massive Repression und die Festigung der totalitären Herr­schaft des Militärs.

Die Erfahrung zeigt, daß multi-ethni­sche Staaten, in denen starke Zentralre­gierungen die Rechte und Ressourcen der staatsbildenden Einheiten usurpie­ren, zu Leid führen müssen. Demokratie heißt Schutz der Minderheit. Wenn in einem multi-ethnischen Staat die Inter­essen der Minderheiten nicht durch die Verfassung geschützt sind, wird der Staat sie unausweichlich unterdrücken.

In Nigeria wurde die Verfassung von den ethnischen Mehrheiten gestaltet und schützt diese vollständig. Die Militär­machthaber entstammten ausnahmslos den ethnischen Mehrheitsgruppen; sie haben die Verfassung außer Kraft ge­setzt und sich auf Gewalt gestützt.

KonfliktIntensität und ihre Indikatoren

Der innerethnische politische Konflikt in Nigeria befindet sich bei extrem ho­her Intensität in einem Patt. Es gibt viele Indikatoren für mögliche große, bewaff­nete Konflikte und Bürgerkriege zwi­schen den Ethnien.

Direkte Auslöser:

1. Präsident Babangidas Annullierung der Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni 1993, die Moshood Abiola aus der mehr als 20 Millionen Menschen zählenden ethnischen Gruppe der Yoruba aus dem Süden gewann.

2.  Die öffentliche Exekution des be­kannten Bühnenautors, Umwelt- und Minderheits-Aktivisten Ken Saro-Wiwa und acht weiterer Führer der Ogoni durch das Militärregime hat weltweit Empörung ausgelöst. So hat der britischen Premierminister John Major diese Barbarei der Militärjunta als Justizmord bezeichnet. Sie hat den ethno-politischen Konflikt im Land verschärft und vertieft. Die eth­nischen Minderheiten im Niger-Delta sehen in den dramatischen Tötungen der Ogoni-Führer eine offene Bedro­hung ihrer kollektiven Existenz durch die überzentralisierte Bundesregie­rung.

Indikatoren eines verschärften Kon­flikts:

1. Der Zusammenbruch der traditionel­len Allianzen zwischen Parteien und Ethnien, wie sie von Politikern und verschiedenen Militärdiktaturen ge­pflegt wurden. Dieses Allianzsystem bot eine gewisse Garantie für die He­gemonie der herrschenden Ethnien der Hausa-Fulani. Yoruba und Ibo, die Mehrheitsethnien des Südens, handelten immer als politische Mehrheitsbeschaffer für die herrschenden Muslime aus dem Norden. Doch die Annullierung der Wahlen und die Ge­fangennahme von Moshood Abiola durch das vom Norden dominierte Militärregime hat die Ibo und Yoruba erschreckt. Trotz ihrer in der Vergan­genheit antagonistischen Beziehung wachsen ihre Gemeinsamkeiten ge­genüber den Hausa-Fulani. Die Exe­kution der Ogoni-Aktivisten und Umweltschützer hat auch andere Minderheiten auf die Seite der Ibo und Yoruba gezwungen.

2. Weit verbreitete Forderungen nach einer Neustrukturierung der Födera­tion mit einer schwachen Zentralre­gierung und föderativen Einheiten, die nach Nationalitätsprinzipien zu­sammengesetzt sein sollen. Den Ge­meinden soll eine starke regionale, lokale und Autonomie in politischen, sozialen, juristischen, fiskalischen und ökonomischen Fragen zustehen.

3. Die kompromisslose Entschlossenheit der herrschenden Oligarchen, auch mit politischer Manipulation, massi­ver Repression und Waffengewalt an der Macht festzuhalten.

4. Das Militärregime wird von der In­ternationalen Gemeinschaft - Regie­rungen, wichtigen internationalen Organisationen, Nichtregierungsor­ganisationen, bedeutenden Personen und Gruppen - zunehmend verurteilt; gegen Mitglieder und Familien der herrschenden Militärjunta werden Sanktionen verhängt. Alle Staaten der Europäischen Union, die USA, Kanada, Südafrika und andere Staa­ten haben ihre Botschafter aus Protest gegen die massiven Menschenrechts­verletzungen der Militärjunta zu­rückgerufen.

5. Die Berichte von umfangreichen Im­porten von Waffen und Munition durch verschiedene politische Grup­pen.

6. Die Einführung und Vermischung von religiösen, ökologischen, regio­nalen, ökonomischen und anderen Kategorien in diesen ethno-politi­schen Konflikt.

7. Die verschiedenen fehlgeschlagenen Versuche sowohl örtlicher wie auch internationaler Persönlichkeiten, Re­gierungen und Organisationen, in den Konflikt vermittelnd einzugreifen.

8. Die wachsenden sezessionistischen Mobilisierungen und Drohungen.

9. Die Intensivierung von Feindselig­keiten und verbaler Gewalt zwischen den Ethnien.

10. Zusammenbruch der Glaub­würdigkeit und der Autorität des Re­gimes im Land und im Ausland.

11. Die Exilierung zahlreicher aktiver, führender politischer Figuren und Persönlichkeiten der Opposition.

12. Militarisierung der ölfördernden Re­gion des Niger-Deltas durch Soldaten und Polizei, die zumeist unter dem Kommando des Nordens stehen.

13. Der Zusammenbruch lebenswichti­ger Dienstleistungen der Gesell­schaft.

Beendigung des Konfliktes

Die Chancen für eine friedliche Lösung des Konfliktes sind wegen der mangeln­den Übereinstimmung zwischen Militär­regime und Oppositionsgruppen we­sentlich gesunken. Eine Einigung über die bestehenden Gegensätze zwischen Militärregierung und Oppositionsgrup­pen sollte auf gegenseitigem Respekt in Form von gleichberechtigter Teilhabe basieren.

Die asymmetrische Position der Militär­junta sieht die Opposition als illegitim an und betrachtet sich selbst als die ein­zig legitimierte Partei auf der Suche nach einem Ende des Konfliktes. Sie hat daher Vorbedingungen für eine friedli­che Beilegung des Konfliktes aufge­stellt.

Um die bestehende Konfliktformation im Staat aufzulösen, benötigen die Be­ziehungen zwischen der Militärjunta und ihren Opponenten die Beteiligung einer dritten Partei, unter den gegebenen Bedingungen am besten durch die Inter­nationale Gemeinschaft. Ein eskalieren­der Konflikt in Nigeria rückt in be­drohliche Nähe, wenn den Parteien nicht durch gegenseitig anerkannte Prinzipien der Konfliktlösung und durch gleiche Beteiligung an der Suche nach Frieden ein gleicher Status gegeben wird. Es ist zweifelhaft, ob die harte Haltung der Militärs eine Atmosphäre schaffen kann, die den Frieden begünstigt.

Die zentrale Rolle, die die Kontrolle über die Ressource Rohöl im gegenwär­tigen Konflikt in Nigeria spielt macht das Prinzip der symmetrischen Optionen eher schwierig.

Nur ein völliger Umbau des nigeriani­schen Staatsaufbaus in Richtung auf umfassende regionale Autonomie kann die Institutionalisierung eines dauernden Friedens erleichtern.

Übersetzung: Detlef Richter.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Dr. Peter Bushel Okoh ist Direktor des African Peace Research Institute (APRI), Plot 10 No. 84, Femi Ayantuga Crescent, Lagos, Nigeria.