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Das Niger-Delta und der Politische Konflikt in Nigeria
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Eine Geschichte des Handels und großer menschlicher Tragödien prägen die Region des Niger-Deltas mit ihrem spektakulären, aber empfindlichen Ökosystem. Im südlichsten Teil Nigerias gelegen, hat das Niger-Delta fast 500 Jahre lang von Menschen organisierte Gewalt erlebt. Die besondere Rolle, die fossile Brennstoffe in der modernen Gesellschaft und Industrie spielen, lenkte die Aufmerksamkeit der Welt auf die Region.
Umweltzerstörung im Nigerdelta
Die groteske Todesstrafe gegen den bekannten Bühnenautor und Umweltaktivisten Ken Saro-Wiwa und acht weitere Führer der Ogoni hat weltweit Empörung ausgelöst. Verhängt von den Führern der nigerianischen Militärjunta unter General Sanni Abacha, haben die Todesurteile die Aktualität des Konfliktes in dieser Region unterstrichen. Der Kampf um die Kontrolle über die Ölfelder spielt eine zentrale Rolle in der aktuellen politischen Krise.
Das Nigerdelta bedeckt etwa 70.000 Quadratkilometer, von denen 80 Prozent saisonal überflutet werden. Der Niger hat das neuntgrößte Wassereinzugsgebiet der Flüsse der Welt. Seine Mangrovenwälder sind die drittgrößten der Welt und die größten in Afrika. In der Region leben etwa 12 Millionen Menschen, die 26 Sprachen und Dialekte sprechen; 70 Prozent leben in ländlichen Gemeinden.
Die Ökologie des Niger-Deltas ist sehr empfindlich und wird seit langem rücksichtslos ausgebeutet. Zum Beispiel liegt die Küstenlinie des Deltas sehr niedrig und das Steigen des Meeresspiegels bedroht das Überleben der gesamten Region. Küstenschutzbarrieren und Beobachtungsstationen sind einige der empfohlenen Gegenmaßnahmen, die das mögliche Verhängnis vom Niger-Delta abwenden könnten.
Das Gebiet ist zudem von Hochwassern und Erosion bedroht, die auf hohe Wasserspiegel, heftigen Regenfällen, das weitläufige Netz von Flüssen an den Mündungen des Niger und des Benue und eine unvorteilhafte Topographie zurückzuführen sind. Zudem hat die Landabsenkung die Überschwemmungen von Feuchtgebieten, Versalzung und den Rückgang der Bodenproduktivität verstärkt.
78 Prozent der afrikanischen Gasvorkommen liegen in Nigeria. Doch 76 Prozent der Gasproduktion der fünf afrikanischen OPEC-Länder werden in Nigeria abgefackelt. Im OPEC-Durchschnitt sind es 18 Prozent. Fast das gesamte abgefackelte Gas wird in der Region des Nigerdeltas verbrannt. Die ökologischen Folgen für die Gemeinden, für Wildtiere und das gesamte Ökosystem, die Hitze, die permanente Beleuchtung, die Korrosion an Dächern und der saure Regen sind alarmierend.
Zudem hat die Politik der Marginalisierung durch verschiedene nigerianische Regimes in fast 40 Jahren der Ölförderung eine akute Konfliktsituation geschaffen.
Militarisierung und
Kontrolle über Rohstoffe
Die nigerianische Armee, die das Erbe der Macht angetreten hat, ist eine postkoloniale Regierungsarmee, die von den Kolonialmächten hauptsächlich zur Unterstützung der Kolonialverwaltung und der Polizei bei der Bewahrung der inneren Ordnung und der Sicherung der Grenzen gegründet wurde.
Militärdiktatoren haben in 24 Jahren der 35jährigen Geschichte Nigerias seit seiner Unabhängigkeit die Grundlagen der föderalen Struktur des Landes verändert. Der Trend wurde von General Ironsi, Nigerias erstem Militärdiktator, in Gang gesetzt. Mit der Begründung, die Verwaltung der Armee sei monolithisch, das gleiche System müsse daher auch auf das Land angewandt werden, kündigte er 1966 eine Staatsreform an, die auf eine Einheitsregierung hinauslief. Er wurde bald von seinen Untergebenen gestürzt.
Im Juli 1966 übernahm General Gowon die Macht. Er trieb während des Bürgerkrieges 1967 die Aufteilung des Staates in 12 Länder voran. Damit erzeugte er den Eindruck, als wolle er die Basis für einen echten Föderalismus im Lande legen, da die neuen Teilstaaten die ethnischen Gruppen der Bevölkerungsmehrheit zu einem gewissen Grad von den Minderheiten trennten. Doch kaum war der Krieg vorbei, änderte er willkürlich die Grundlage für den nigerianischen Föderalismus, indem er sich der Ölreserven der Minderheiten im Niger-Delta bemächtigte. Dies schuf eine reiche, starke Zentralregierung, die besondere Anziehung auf Politiker des Militärs, ethnische Nationalisten und sogar Banditen ausübte.
General Gowon wurde 1975 in einer Palastrevolte gestürzt, und seine Nachfolger, General Murtala Muhammed und General Obasanjo, stärkten die Zentralregierung weiter. Sie beschlagnahmten weitere Ölfördergebiete von ethnischen Minderheiten und sicherten den Mehrheitsgruppen einen Löwenanteil an den Einnahmen aus diesen Ressourcen. Während unter General Gowon noch 40 Prozent der Öleinnahme an die ölfördernden Teilstaaten gegangen waren, reduzierte General Obasanjo diesen Anteil diktatorisch auf 20 Prozent. Gowons Staatsstruktur von 12 Bundesländern wurde auf 19 erweitert, von denen die meisten in den Gebieten der ethnischen Mehrheiten gebildet wurden. So wurde die Schaffung von Ländern, anstatt sie zur Lösung des brennenden Problems der Emanzipation ethnischer Minderheiten zu nutzen, zu einem Instrument der Unterdrückung durch die ethnischen Mehrheiten gemacht. Zudem übernahm General Obasanjo Einrichtungen der Länder wie Universitäten, Fernseh- und Radiostationen sowie Zeitungen und stärkte so die Vormacht der Zentralregierung über die Länder.
Die Generäle Buhari und Babangida vollendeten während ihrer Herrschaft (1984-1993) diesen Prozess. Buhari reduzierte den Anteil für die fördernden Länder auf ein Prozent, Babangida spaltete den Staat in 30 Länder mit fast 600 Lokalverwaltungen auf. Diese hingen fast vollständig von Öleinnahmen aus den Resourcen der ethnischen Minderheiten im Niger-Delta ab. General Babangida stellte sicher, daß die meisten Länder und Lokalverwaltungen in den Gebieten der ethnischen Mehrheiten lagen und daß die Formel zur Aufteilung der Ölgewinne die ethnischen Mehrheiten begünstigten. Nach der Formel des Militärs sind die Gebiete der ethnischen Mehrheiten in mehrere Länder mit jeweils eigenen Regierungen und einer aufgeblähten Bürokratie aufgeteilt, während die ethnischen Minderheiten in polyethnischen Teilstaaten unter einer Einheitsregierung leben.
Dies ist sicherlich eine Fehlentwicklung und hätte sich nicht ergeben, wenn die Teilstaaten von ihren eigenen ökonomischen Ressourcen und nicht von den durch Zwang erworbenen Ressourcen von ethnischen Minderheiten abhängig wären. Die Minderheiten sind jedoch zu machtlos und zahlenmäßig nicht stark genug, um sich dieser blanken Marginalisierung zu widersetzen. Wo sie es versuchen, werden sie brutal niedergeschlagen, wie zuletzt die öffentliche Exekution der neun Ogoni-Führer durch die Militärjunta am 10. November 1995 gezeigt hat.
Seit dem Ende des Biafrakrieges 1970 hat sich Nigeria zu einer nur mehr nominellen Föderation entwickelt. Es ist eine militarisierte Föderation mit einer sehr starken Zentralregierung, in der die herrschenden Muslime aus dem Norden (Hausa-Fulani) durch episodische Allianzen mit den Mehrheits-Ethnien der Yoruba und Ibo die Ressourcen des Landes dominieren und kontrollieren - und diese liegen im Niger-Delta. Dies erzeugt Kämpfe um die Kontrolle der Zentralregierung, massive Repression und die Festigung der totalitären Herrschaft des Militärs.
Die Erfahrung zeigt, daß multi-ethnische Staaten, in denen starke Zentralregierungen die Rechte und Ressourcen der staatsbildenden Einheiten usurpieren, zu Leid führen müssen. Demokratie heißt Schutz der Minderheit. Wenn in einem multi-ethnischen Staat die Interessen der Minderheiten nicht durch die Verfassung geschützt sind, wird der Staat sie unausweichlich unterdrücken.
In Nigeria wurde die Verfassung von den ethnischen Mehrheiten gestaltet und schützt diese vollständig. Die Militärmachthaber entstammten ausnahmslos den ethnischen Mehrheitsgruppen; sie haben die Verfassung außer Kraft gesetzt und sich auf Gewalt gestützt.
KonfliktIntensität und ihre Indikatoren
Der innerethnische politische Konflikt in Nigeria befindet sich bei extrem hoher Intensität in einem Patt. Es gibt viele Indikatoren für mögliche große, bewaffnete Konflikte und Bürgerkriege zwischen den Ethnien.
Direkte Auslöser:
1. Präsident Babangidas Annullierung der Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni 1993, die Moshood Abiola aus der mehr als 20 Millionen Menschen zählenden ethnischen Gruppe der Yoruba aus dem Süden gewann.
2. Die öffentliche Exekution des bekannten Bühnenautors, Umwelt- und Minderheits-Aktivisten Ken Saro-Wiwa und acht weiterer Führer der Ogoni durch das Militärregime hat weltweit Empörung ausgelöst. So hat der britischen Premierminister John Major diese Barbarei der Militärjunta als Justizmord bezeichnet. Sie hat den ethno-politischen Konflikt im Land verschärft und vertieft. Die ethnischen Minderheiten im Niger-Delta sehen in den dramatischen Tötungen der Ogoni-Führer eine offene Bedrohung ihrer kollektiven Existenz durch die überzentralisierte Bundesregierung.
Indikatoren eines verschärften Konflikts:
1. Der Zusammenbruch der traditionellen Allianzen zwischen Parteien und Ethnien, wie sie von Politikern und verschiedenen Militärdiktaturen gepflegt wurden. Dieses Allianzsystem bot eine gewisse Garantie für die Hegemonie der herrschenden Ethnien der Hausa-Fulani. Yoruba und Ibo, die Mehrheitsethnien des Südens, handelten immer als politische Mehrheitsbeschaffer für die herrschenden Muslime aus dem Norden. Doch die Annullierung der Wahlen und die Gefangennahme von Moshood Abiola durch das vom Norden dominierte Militärregime hat die Ibo und Yoruba erschreckt. Trotz ihrer in der Vergangenheit antagonistischen Beziehung wachsen ihre Gemeinsamkeiten gegenüber den Hausa-Fulani. Die Exekution der Ogoni-Aktivisten und Umweltschützer hat auch andere Minderheiten auf die Seite der Ibo und Yoruba gezwungen.
2. Weit verbreitete Forderungen nach einer Neustrukturierung der Föderation mit einer schwachen Zentralregierung und föderativen Einheiten, die nach Nationalitätsprinzipien zusammengesetzt sein sollen. Den Gemeinden soll eine starke regionale, lokale und Autonomie in politischen, sozialen, juristischen, fiskalischen und ökonomischen Fragen zustehen.
3. Die kompromisslose Entschlossenheit der herrschenden Oligarchen, auch mit politischer Manipulation, massiver Repression und Waffengewalt an der Macht festzuhalten.
4. Das Militärregime wird von der Internationalen Gemeinschaft - Regierungen, wichtigen internationalen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, bedeutenden Personen und Gruppen - zunehmend verurteilt; gegen Mitglieder und Familien der herrschenden Militärjunta werden Sanktionen verhängt. Alle Staaten der Europäischen Union, die USA, Kanada, Südafrika und andere Staaten haben ihre Botschafter aus Protest gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen der Militärjunta zurückgerufen.
5. Die Berichte von umfangreichen Importen von Waffen und Munition durch verschiedene politische Gruppen.
6. Die Einführung und Vermischung von religiösen, ökologischen, regionalen, ökonomischen und anderen Kategorien in diesen ethno-politischen Konflikt.
7. Die verschiedenen fehlgeschlagenen Versuche sowohl örtlicher wie auch internationaler Persönlichkeiten, Regierungen und Organisationen, in den Konflikt vermittelnd einzugreifen.
8. Die wachsenden sezessionistischen Mobilisierungen und Drohungen.
9. Die Intensivierung von Feindseligkeiten und verbaler Gewalt zwischen den Ethnien.
10. Zusammenbruch der Glaubwürdigkeit und der Autorität des Regimes im Land und im Ausland.
11. Die Exilierung zahlreicher aktiver, führender politischer Figuren und Persönlichkeiten der Opposition.
12. Militarisierung der ölfördernden Region des Niger-Deltas durch Soldaten und Polizei, die zumeist unter dem Kommando des Nordens stehen.
13. Der Zusammenbruch lebenswichtiger Dienstleistungen der Gesellschaft.
Beendigung des Konfliktes
Die Chancen für eine friedliche Lösung des Konfliktes sind wegen der mangelnden Übereinstimmung zwischen Militärregime und Oppositionsgruppen wesentlich gesunken. Eine Einigung über die bestehenden Gegensätze zwischen Militärregierung und Oppositionsgruppen sollte auf gegenseitigem Respekt in Form von gleichberechtigter Teilhabe basieren.
Die asymmetrische Position der Militärjunta sieht die Opposition als illegitim an und betrachtet sich selbst als die einzig legitimierte Partei auf der Suche nach einem Ende des Konfliktes. Sie hat daher Vorbedingungen für eine friedliche Beilegung des Konfliktes aufgestellt.
Um die bestehende Konfliktformation im Staat aufzulösen, benötigen die Beziehungen zwischen der Militärjunta und ihren Opponenten die Beteiligung einer dritten Partei, unter den gegebenen Bedingungen am besten durch die Internationale Gemeinschaft. Ein eskalierender Konflikt in Nigeria rückt in bedrohliche Nähe, wenn den Parteien nicht durch gegenseitig anerkannte Prinzipien der Konfliktlösung und durch gleiche Beteiligung an der Suche nach Frieden ein gleicher Status gegeben wird. Es ist zweifelhaft, ob die harte Haltung der Militärs eine Atmosphäre schaffen kann, die den Frieden begünstigt.
Die zentrale Rolle, die die Kontrolle über die Ressource Rohöl im gegenwärtigen Konflikt in Nigeria spielt macht das Prinzip der symmetrischen Optionen eher schwierig.
Nur ein völliger Umbau des nigerianischen Staatsaufbaus in Richtung auf umfassende regionale Autonomie kann die Institutionalisierung eines dauernden Friedens erleichtern.
Übersetzung: Detlef Richter.