Das Polenbild in Deutschland - der ungeliebte Nachbar

von Thomas Handrich
Schwerpunkt
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In Deutschland sind die Polen immer noch ziemlich ungeliebte Nach­barn. Wie aktuelle Meinungsumfragen bestä­tigen, weisen Deutsche aus West und Ost den Polen überwiegend negative Ei­genschaften zu. Alte Vorurteile haben sich über Jahrzehnte hinweg gehalten und sich insbe­sondere in Berlin durch das Drumherum um den nicht gern ge­sehenen Polenmarkt der letzten Jahre wieder neu reproduziert.

Entsprechend zurückhaltend reagierte zum Beispiel die Öffentlichkeit Berlins auf die Grenzöffnung für polnische Be­sucher am 8.4.1991: Erneut wurde eine "Händlerschwemme" aus Polen erwar­tet. Daß alles ganz anders kam, der pro­gnostizierte Besucheransturm ausblieb, zeigte, wie die wiederbelebten Vorur­teile vom "Handelspolen und Dieb" in dieser Stadt einen Einblick in unser Nachbarland versperren kann. Es wurde hier in Berlin übersehen, daß in Polen mittlerweile die Preise enorm stiegen waren und es auf den dortigen Märkten viele westliche Waren zu kaufen gab. Die vorherigen Anreize einer Berlin­fahrt für Händler und Konsumenten exi­stierten nicht mehr. Zudem schämten sich viele ihrer handelnden Landsleute.

Das Westdeutsche und Westberliner Polenbild - Die faulen Freiheitshelden

Die in Westdeutschland einschließlich Berlins vorherrschende große Unkennt­nis über das Polen von heute hat seine wesentlichen Ursachen in der Ost-West-Konfrontation der letzten Jahrzehnte:

Kontaktreisen wurden durch bürokrati­sche Hindernisse unmöglich gemacht oder sehr erschwert, aber auch im Be­wußtsein blieb Polen ein Land des un­geliebten Ostens im Schatten der DDR. In Vergessenheit geriet weitgehend, daß Polen - entgegen eigenem Willen - auf­grund übergeordneter machtpolitischer Interessen auf der Konferenz von Jalta dem sowjetischen Einflussbereich zuge­schlagen wurde.

In der Atmosphäre des Kalten Krieges konnten sich alle Vorurteile, die sich im deutschen Nationalismus des 19. Jahr­hunderts ausgebildet haben, gegenüber Polen halten.

Nicht Annäherung mit dem Willen zur Versöhnung angesichts der vielen pol­nischen Opfer Hitlerdeutschlands be­stimmte die öffentliche Diskussion in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehn­ten.

In den Blickpunkt rückte Polen lange Zeit lediglich dann, wenn die Bundesre­publik den Verlust der ehemaligen deut­schen Ostgebiete beklagte und die Grenze zu Polen an den Flüssen Oder und Neiße in Frage gestellt wurde. Ein selbstkritisches Nachdenken über die nationalsozialistische Vergangenheit und in diesem Zusammenhang über das Verhältnis zu Polen verflüchtigte sich; der eiserne Vorhang und der propagierte Antikommunismus verdrängten lange Zeit Fragen nach der politischen und persönlichen Schuld zwischen 1933 und 1945.

Erst als seit Mitte der 60er Jahre die heranwachsende Generation nach der Mitschuld ihrer Väter an den Verbre­chen im Nationalsozialismus fragte, lebte die Auseinandersetzung um das zugeschwiegene Kapitel der jüngsten nationalen Geschichte wieder auf.

Gleichzeitig kam Bewegung in das deutsch-polnische Verhältnis. Der Wille zur Versöhnung eröffnete in den Bezie­hungen beider Länder neue Wege. In diesem Zusammenhang sind die Denk­schrift der EDS, der Briefwechsel deut­scher und polnischer Bischöfe aus dem gleichen Jahr und staatlicherweise vor allem der Warschauer Vertrag vom 7.12.1970 Eckpunkte eines beginnenden Annäherungsprozesses.

Von Polen und Deutschen gemeinsam gestellte Fragen an die deutsch-pol­nische Geschichte machen jedoch bis heute häufig einen Bogen um die Ge­schehnisse des Zweiten Weltkrieges. Ein Zeichen dafür, daß die Aufarbeitung der Ereignisse immer noch auf nicht verheilte Wunden stößt.

Insbesondere die Millionen von Hei­matvertriebenen sind in der Regel außer­stande, ihr im Zuge der Vertrei­bung er­littenes Leid mit dem nationalsozialisti­schen Terror, u.a. ge­genüber dem pol­nischen Volk, in eine gedankliche Ver­bindung zu bringen.

Das Bild vom "unzivilisierten, faulen Polen" hat sich - und Umfragen bestäti­gen dies, in der weiteren Entwicklung der Bundesrepublik, trotz positiverer Ansätze in den deutsch-polnischen Be­ziehungen, bis heute gehalten.

Einen neuen Nährboden fand dieses Vorurteil in der tiefen Wirtschaftskrise, in der Polen seit Mitte der 70er Jahre steckt.

Wenn auch die Kommunisten mit ihrer Planwirtschaft hauptsächliche Verursa­cher der Krise seien, so wurde argu­mentiert, trage auch die für Polen typi­sche Unfähigkeit, fehlende Disziplin und Einstellung zur Arbeit allgemein zur Krise bei. Oft wurde diese Meinung von den gleichen Personen ausgespro­chen, die im nächsten Atemzug ihre Bewunderung gegenüber dem unbändi­gen Freiheitswillen der polnischen Na­tion zum Ausdruck brachten.

Im gleichen Maße, in dem Polen im Westen durch vielzählige Aufstände (1956, 1968, 1970, 1976, 1980/81 und 1988/89) auf sich aufmerksam machte, wuchs hier das Bild vom freiheitslie­benden "Enfant terrible" des Realsozia­lismus. Parallelen zur Polenbegeisterung der deutschen Republikaner in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahr­hunderts werden gezogen. Trotz einer daraus folgenden positiveren Gesamt­einschätzung des polnischen Volkes, die sich unter anderem in einer Pakethil­feaktion vieler Bundesbürger nach Aus­rufung des Kriegsrechts am 13.12.1981 ausdrückte, findet der Stereotyp vom minderwertigen Polen immer wieder neue Anknüpfungspunkte: Jeder Deut­sche, der mit diesem Bild nach Polen reist, kann sich angesichts der gewalti­gen politischen und ökonomischen Krise in seiner Überlegenheit bestätigt fühlen. Das Begreifen der ungleichen Entwicklung in Polen im Verhältnis zu Deutschland wird in der Zukunft der Schlüssel für eine mögliche Annäherung sein.

Das Polenbild in Deutschland - der ungeliebte Nachbar

Die Polen sind in Deutschland immer noch ziemlich ungeliebte Nachbarn. Wie aktuelle Meinungsumfragen bestä­tigen3), weisen Deutsche aus West und Ost den Polen überwiegend negative Ei­genschaften zu. Alte Vorurteile haben sich über Jahrzehnte hinweg gehalten und sich insbesondere in Berlin durch das Drumherum um den nicht gern ge­sehenen Polenmarkt der letzten Jahre wieder neu reproduziert.

Entsprechend zurückhaltend reagierte zum Beispiel die Öffentlichkeit Berlins auf die Grenzöffnung für polnische Be­sucher am 8.4.1991: Erneut wurde eine "Händlerschwemme" aus Polen erwar­tet. Daß alles ganz anders kam, der pro­gnostizierte Besucheransturm ausblieb, zeigte, wie die wiederbelebten Vorur­teile vom "Handelspolen und Dieb" in dieser Stadt einen Einblick in unser Nachbarland versperren kann. Es wurde hier in Berlin übersehen, daß in Polen mittlerweile die Preise enorm gestiegen waren und es auf den dortigen Märkten viele westliche Waren zu kaufen gab. Die vorherigen Anreize einer Berlin­fahrt für Händler und Konsumenten exi­stierten nicht mehr. Zudem schämten sich viele ihrer handelnden Landsleute.

Das Westdeutsche und Westberliner Polenbild - Die faulen Freiheitshelden

Die in Westdeutschland einschließlich Berlins vorherrschende große Unkennt­nis über das Polen von heute hat seine wesentlichen Ursachen in der Ost-West-Konfrontation der letzten Jahrzehnte:

Kontaktreisen wurden durch bürokrati­sche Hindernisse unmöglich gemacht oder sehr erschwert, aber auch im Be­wußtsein blieb Polen ein Land des un­geliebten Ostens im Schatten der DDR. In Vergessenheit geriet weitgehend, daß Polen - entgegen eigenem Willen - auf­grund übergeordneter machtpolitischer Interessen auf der Konferenz von Jalte dem sowjetischen Einflußbereich zuge­schlagen wurde.

In der Atmosphäre des Kalten Krieges konnten sich alle Vorurteile, die sich im deutschen Nationalismus des 19. Jahr­hunderts ausgebildet haben, gegenüber Polen halten.

Nicht Annäherung mit dem Willen zur Versöhnung angesichts der vielen pol­nischen Opfer Hitlerdeutschlands be­stimmte die öffentliche Diskussion in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehn­ten.

In den Blickpunkt rückte Polen lange Zeit lediglich dann, wenn die Bundesre­publik den Verlust der ehemaligen deut­schen Ostgebiete beklagte und die Grenze zu Polen an den Flüssen Oder und Neiße in Frage gestellt wurde. Ein selbstkritisches Nachdenken über die nationalsozialistische Vergangenheit und in diesem Zusammenhang über das Verhältnis zu Polen verflüchtigte sich; der eiserne Vorhang und der propagierte Antikommunismus verdrängten lange Zeit Fragen nach der politischen und persönlichen Schuld zwischen 1933 und 1945.

Erst als seit Mitte der 60er Jahre die heranwachsende Generation nach der Mitschuld ihrer Väter an den Verbre­chen im Nationalsozialismus fragte, lebte die Auseinandersetzung um das zugeschwiegene Kapitel der jüngsten nationalen Geschichte wieder auf.

Gleichzeitig kam Bewegung in das deutsch-polnische Verhältnis. Der Wille zur Versöhnung eröffnete in den Bezie­hungen beider Länder neue Wege In diesem Zusammenhang sind die Denk­schrift der EDS, der Briefwechsel deut­scher und polnischer Bischöfe aus dem gleichen Jahr und staatlicherweise vor allem der Warschauer Vertrag vom 7.12.1970 Eckpunkte eines beginnenden Annäherungsprozesses. Der Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal des Warschauer Ghettos im Rahmen seines Besuches zur Unterzeichnung des War­schauer Vertrages setzte ein wichtiges symbolisches Zeichen für die westdeut­sche Bitte um Vergebung und die Aner­kennung der Schuld an den deutschen Kriegsverbrechen.

Von Polen und Deutschen gemeinsam gestellte Fragen an die deutsch-pol­nische Geschichte machen jedoch bis heute häufig einen Bogen um die Ge­schehnisse des Zweiten Weltkrieges. Ein Zeichen dafür, daß die Aufarbeitung der Ereignisse immer noch auf nicht verheilte Wunden stößt.

Insbesondere die Millionen von Hei­matvertriebenen sind in der Reel außer­stande, ihr im Zuge der Vertreibung er­littenes Leid mit dem nationalsozialisti­schen Terror, u.a. gegenüber dem pol­nischen Volk, in eine gedankliche Ver­bindung zu bringen.

Die Polen bleiben in ihren Augen Lan­dräuber, die die ehemals deutschen Städte und Bauernhöfe herunterwirt­schafteten.

Das Bild vom "unzivilisierten, faulen Polen" hat sich - und Umfragen bestäti­gen dies , in der weiteren Entwicklung der Bundesrepublik, trotz positiverer Ansätze in den deutsch-polnischen Be­ziehungen, bis heute gehalten.

Einen neuen Nährboden fand dieses Vorurteil in der tiefen Wirtschaftskrise, in der Polen seit Mitte der 70er Jahre steckt.

Wenn auch die Komunisten mit ihrer Planwirtschaft hauptsächliche Verursa­cher der Krise seien, so wurde argu­mentiert, trage auch die für Polen typi­sche Unfähigkeit, fehlende Disziplin und Einstellung zur Arbeit allgemein zur Krise bei. Oft wurde diese Meinung von den gleichen Personen ausgespro­chen, die im nächsten Atemzug ihre Bewunderung gegenüber dem unböndi­gen Freiheitswillen der polnischen Na­tion zum Ausdruck brachten. Daß mög­licherweise die fehlende Motivation und Einstellung zur Arbeit eine Folge der politischen Fremdbestimmung und Re­sultat alltäglicher, entfremdender Erfah­rungen im befehlsadministrativ funktio­nierenden sozialistischen Betrieb sein könnte, wurde in der Regel nicht mitge­dacht.

Im gleichen Maße, in dem Polen im Westen durch vielzählige Aufstände (1956, 1968, 1970, 1976, 1980/81 und 1988/89) auf sich aufmerksam machte, wuchs hier das Bild vom freiheitslie­benden "Enfant terrible" des Realsozia­lismus. Parallelen zur Polenbegeisterung der deutschen Republikaner in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahr­hunderts werden gezogen. Trotz einer daraus folgenden positiveren Gesamt­einschätzung des polnischen Volkes, die sich unter anderem in einer Pakethil­feaktion vieler Bundesbürger nach Aus­rufung des Kriegsrechts am 13.12.1981 ausdrückte, findet der Stereotyp vom minderwertigen Polen immer wieder neue Anknüpfungspunkte: Jeder Deut­sche, der mit diesem Bild nach Polen reist, kann sich angesichts der gewalti­gen politischen und ökonomischen Krise in seiner Überlegenheit bestätigt fühlen. Das Begreifen der ungleichen Entwicklung in Polen im Verhältnis zu Deutschland wird in der Zukunft der Schlüssel für eine mögliche Annäherung sein.

Das Bild der Polen in der ehemaligen DDR - der chaotische Verbündete

Auch in der DDR konnten belastende Einstellungen im Verhältnis zu Polen, trotz unmittelbarer Nachbarschaft und ideologischer Nähe der jeweiligen Staatsdoktrin, nicht überwunden wer­den.

Obwohl die wenigsten DDR-Bürger den Nationalsozialismus im Widerstand er­lebten, stellte ihnen die SED-Führung das moralische Zeugnis aus, Bestandteil des besseren, antifaschistischen Teil Deutschlands zu sein. Die zugespro­chene Entlastung von historischer Schuld vernahmen große Teile der Be­völkerung nicht ohne Zustimmung.

Die ehemaligen Widerstandskämpfer in der Regierung hatten gehofft, daß in der Bevölkerung durch neue Feindbildpro­jektionen, Fahnenaufmärsche und anti­faschistische Gelöbnisse ein antifaschi­stisches Bewußtsein erzeugt oder erhal­ten werden konnte. Jedoch ersetzen sol­che Formen demonstrativen Bekenntnis­ses nicht die Auseinandersetzung mit der erlebten Geschichte, dem eigenen Autoritätscharakter und vorhandenen rassistischen Vorurteilen. Ein Erfah­rungsaustausch z.B. über die von Polen und Deutschen erlebte Geschichte von Flucht, Vertreibung und Aussiedlung war nie Gegenstand staatlicher Aussöh­nungspolitik mit Polen.

Blockiert wurde ein Verständigungspro­zess zwischen den Menschen aus beiden Staaten auch durch unterschiedliche Entwicklungswege, die beide Parteien, aber auch beide Gesellschaften gingen: Anders als in Polen, wo immer wieder Unzufriedenheit mit der Staatsführung in gesellschaftliche Protestbewegungen mündete und Regierungswechsel er­zwungen wurden, blieben solche Verän­derungen in der DDR weitgehend aus. Dies hatte zur Konsequenz, daß sich die DDR-Führung aus Angst um ihre ideo­logische Vorherrschaft im Volk zeit­weise vom aus der Reihe tanzenden, un­ruhigen Nachbarn abgrenzte. Dabei be­diente sie sich auch alter antipolnischer Vorurteile. In Leitartikeln des "Neuen Deutschland" wurde zum Beispiel 1980/81 im Zusammenhang mit den Streiks der gesellschaftlichen Oppositi­onsbewegung Solidarno's'c vor Anarchie und Chaos in Polen gewarnt. Die Polen sollten lieber arbeiten als ständig zu streiken, lautete damals der Tenor in der parteihörigen Presse. Auch noch die letzte sozialistische DDR-Regierung bewegte sich im alten ideologischen Fahrwasser, als sie im Winter 1989/90 Versorgungsengpässe mit polnischen Handelskäufern zu begründen suchte.In der Bevölkerung fanden die Abgren­zungsversuche und Neubelebungen alter Vorurteile ein gespaltenes Echo:

Nicht zugänglich für Ressentiments wa­ren all jene, die in den 70er Jahren oder auch später im Rahmen des Jugendaus­tausches, der offiziellen Wirtschafts- und Kulturbeziehungen freundschaftli­che Kontakte knüpfen konnten. Gerade zwischen 1971 und 1980 waren Polen­reisen vor allem unter Jugendlichen sehr beliebt. Mit dem Auto, Motorrad oder per Anhalter erkundete man bei offenen Grenzen das Nachbarland und kam sich auf den Zeltplätzen oder in Jugendher­bergen näher. Polen symbolisierte in dieser Zeit ein Stück vorenthaltener westlicher Lebenskultur. Hier wurde of­fen diskutiert und kritisiert, und zudem reizte Polen zu Beginn der 70er Jahre als kleines Schaufenster der westlichen Konsumwelt. Vor allem für den aller­dings zahlenmäßig kleinen Kreis von kritischen Intellektuellen in der DDR übte das wesentlich liberalere Klima in Polen eine große Anziehungskraft aus. Bis heute fühlen sich große Teile der ehemaligen DDR-Opposition mit Polen eng verbunden.

Abfärben konnten die Ressentiments bei all denen, die bereits Ende der 70er Jahre ohnmächtig und im Zorn den pol­nischen Einkaufsreisenden hinterherge­schaut hatten. Damals kam es zu großen Versorgungsengpässen bei Lebensmit­teln und subventionierter Kinderklei­dung. In der zentral geregelten Planzu­teilung konnten die polnischen Einkäu­fer nicht berücksichtigt werden.

Neid und Antipathien brachten auch die größeren Reisefreiheiten für polnische Bürger mit sich. Vor allem reisehungri­gen, jüngeren DDR-Bürgern fiel es schwer, polnischen Reisenden bei ihrer Fahrt ins westliche Ausland im Zug oder auf den Transitautobahnen hinter­herblicken zu müssen. Viele fühlten sich dadurch persönlich herabgesetzt. Da politische Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem weitgehend außerhalb der Vorstellungskraft lagen, konnte sich allzuleicht ein Mechanismus von Kom­pensationen in Gang setzte: "Wir haben es, im Gegensatz zu den arbeitsscheuen Polen, wirtschaftlch zu was gebracht", grenzten sich noch vor wenigen Jahren viele vom polnischen Nachbarn ab.

Die soziale Unsicherheit, mit der die Bürger der ehemaligen DDR nach der formalen Vereinigung völlig unvorbe­reitet konfrontiert werden, macht das Verhältnis zu Fremden und damit auch zu Polen nicht einfacher.

Jedoch gibt es inzwischen auch Anzei­chen neuer Solidarisierungen mit dem polnischen Nachbarn: Trotz aller Unter­schiede zwischen beiden Gesellschaften im Verhalten zur Staatsmacht ist die gemeinsame Erfahrung, in sozialisti­schen Systemen gelebt zu haben, ein verbindendes Moment. Über Witze, die alltägliche Kuriositäten im Realen So­zialismus aufgreifen, kann gemeinsam gelacht werden, wo der Westdeutsche nur verständnisloser Zuhörer bleibt. Auch weisen neueste Umfragen darauf hin, daß die Einstellung ehemaliger DDR-Bürger zu den Polen im letzten Jahr positiver geworden ist. Vielleicht empfinden sich viele nach einem Jahr Umbruch von der Plan- zur Marktwirt­schaft im Lebensstandard und den Le­bensbedingungen den Polen näher als den Westdeutschen?1)

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Thomas Handrich ist pädagogoischer Mitarbeiter der Internationalen Begegnungsstätte Jagdschloß Glienicke (IBJG).