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Das Recht auf Rückkehr
vonIm "FriedensForum" FF2/01 haben wir den ersten Teil eines Artikels von Uri Avnery aus "Der Pazifist" (Feb./01) veröffentlicht. Im Folgenden publizieren wir nun den zweiten und letzten Teil.
Das Recht auf Rückkehr ist ein grundlegendes Menschenrecht, das heutzutage nicht verweigert werden kann.
Vor kurzem führte die internationale Gemeinschaft einen Krieg gegen Serbien, um das Recht der Kosovaren auf Rückkehr in ihre Heimat durchzusetzen. Es sollte erwähnt werden, dass Deutschland das Recht vertriebener Deutscher auf Rückkehr in ihre Heimat in Ostpreußen, Polen und im Sudetenland aufgab, aber dies war das Resultat tief empfundener Schuld des deutschen Volkes für die schrecklichen Verbrechen der Nazis. Die oft gehörte Phrase "Aber die Araber haben den Krieg angefangen" ist in diesem Kontext irrelevant.
Ich schlage vor, der Staat Israel solle das Recht auf Rückkehr im Prinzip anerkennen und dabei darauf hinweisen, dass die Verwirklichung des Prinzips auf dem Weg der Verhandlung und Übereinkunft erzielt werden soll.
Nachdem der ideologische Aspekte geklärt ist, wird es möglich, sich mit dem praktischen Aspekt des Problems zu befassen.
Die Lösung des Flüchtlingsproblems wird mit der Errichtung des Staates Palästina zusammenfallen. Deshalb kann der erste Schritt darin bestehen, jedem palästinensischen Flüchtling, wo immer er sich aufhält, die palästinensische Staatsbürgerschaft zu garantieren, wenn es der palästinensische Staat so entscheidet.
Für die Flüchtlinge wird dieser Schritt von äußerster Wichtigkeit sein, nicht nur aus symbolischen, sondern sehr praktischen Gründen. Vielen Palästinensern ohne Staatsbürgerschaft wird das Privileg, Grenzen zu überqueren, insgesamt verweigert; für alle anderen bedeutet die Überquerung von Grenzen Leiden, Entwürdigung und Bedrohung.
Die Garantie der Staatsbürgerschaft wird die Situation von Flüchtlingen an Orten wie dem Libanon, wo Flüchtlinge Gefahren ausgesetzt sind, vollständig verändern.
Freie Wahl
Ein Grundelement des Rechts auf Rückkehr ist das Recht jeden einzelnen Flüchtlings, zwischen Rückkehr und Wiedergutmachung frei zu wählen.
Dies ist ein persönliches Recht. Während die Anerkennung im Prinzip ein kollektives Recht ist, liegt seine Umsetzung in der Praxis im Bereich des individuellen Palästinensers. Um in der Lage zu sein, diese Entscheidung zu treffen, muss er alle ihm zustehenden Rechte kennen: welche Summen denen gezahlt werden, die wählen, nicht zurückzukehren, und welche Möglichkeiten denen offenstehen, die sich für eine Rückkehr entscheiden.
Jeder Flüchtling hat das Recht auf Wiedergutmachung für allen Besitz, der zurückgelassen wurde, als er vertrieben wurde, ebenso für den Verlust von Gelegenheiten usw. Ohne einen Vergleich zwischen dem Holocaust und der Nakba anstellen zu wollen, kann man von der deutschen Methode der Wiedergutmachung an jüdischen Opfern lernen. Dies wird jeden Flüchtling in die Lage versetzen zu entscheiden, was für ihn und seine Familie gut ist.
Die Wiedergutmachungen, die zweifelsohne große Summen umfassen werden, müssen aus einem internationalen Fonds, an dem sich alle reicheren Wirtschaftsstaaten beteiligen, bezahlt werden. Die Palästinenser können dies mit Recht von den Mitgliedsstaaten der UNO fordern, die 1947 für die Teilung Palästinas stimmten und keinen Finger rührten, um die Flüchtlingstragödie zu verhindern.
Die Israelis sollten sich nicht täuschen lassen, dass nur andere bezahlen werden. Der israelische "Treuhänder abwesenden Eigentums" verfügt über ungeheure, von den Flüchtlingen zurückgelassene Güter - Gebäude, Land, bewegliches Eigentum - und es ist seine Pflicht, sie zu registrieren und zu verwalten.
Die Rückkehr nach Palästina
Der historische Kompromiss zwischen Israel und Palästina basiert auf dem Prinzip der "zwei Staaten für zwei Völker". Der Staat Palästina soll die historische Persönlichkeit des palästinensisch-arabischen Volkes verkörpern und der Staat Israel die historische Persönlichkeit des israelisch-jüdischen Volkes, wobei die arabischen Bürger Israels, die ein Fünftel aller israelischen Staatsbüger ausmachen, volle Partner innerhalb des Staates sind.
Es ist klar, dass die Rückkehr von Millionen palästinensischer Flüchtlinge in den Staat Israel dessen Charakter vollständig verändern würde, gegen die Intentionen seiner Gründer und der meisten Einwohner. Dies würde das Prinzip "zwei Staaten für zwei Völker" verletzen, auf dem die Forderung nach einem palästinensischen Staat basiert.
All dies führt zu der Schlussfolgerung, dass die meisten der Flüchtlinge, die für eine Rückkehr stimmen, ihren Platz im Staat Palästina finden werden. Als palästinensische Bürger werden sie in der Lage sein, ihr Leben dort aufzubauen, unter ihren Gesetzen und den Entscheidungen ihrer Regierung.
Um eine große Anzahl von Flüchtlingen aufnehmen und sie mit Unterkunft und Arbeit versehen zu können, muss der Staat Palästina angemessene Entschädigungen vom internationalen Fonds und Israel erhalten. Israel muss außerdem die intakten Siedlungen an die palästinensische Regierung übergeben, nachdem die Siedler auf israelisches Territorium zurückgekehrt sind. Bei der Entscheidung über eine gerechte und gleichmäßige Verteilung des Wassers und anderer Ressourcen zwischen Israel und Palästina, muss diese umfangreiche Aufnahme von Flüchtlingen ebenfalls berücksichtige werden.
Wenn sich die Grenze zwischen Palästina und Israel dem freien Verkehr von Menschen und Waren gemäß den Prinzipien friedlicher Koexistenz zwischen guten Nachbarn öffnet, werden die früheren Flüchtlinge als palästinensische Staatsbürger in der Lage sein, die Orte zu besuchen, an denen ihre Vorväter lebten.
Die Rückkehr nach Israel
Um die Heilung der psychologischen Wunden und eine historische Verständigung möglich zu machen, ist es unerlässlich, dass eine angemessene Anzahl von Flüchtlingen in den Staat Israel zurückkehrt. Die genaue Zahl muss in Verhandlungen zwischen Israel und Palästina ausgehandelt werden.
Dieser Teil des Plans wird in Israel den stärksten Widerspruch hervorrufen. In der Tat hat sich nicht ein einziger Politiker oder Denker in Israel getraut, ihn vorzuschlagen. Extreme Opposition dagegen existiert sowohl am rechten als auch am linken Ende des politischen Spektrums.
Dennoch ist eine solche begrenzte Rückkehr die natürliche Ergänzung der prinzipiellen Anerkennung des Rechts auf Rückkehr und die Akzeptanz der Verantwortung für die Ereignisse der Vergangenheit. Wie wir sofort sehen werden, ist die Opposition dagegen irrational und ein Ausdruck alter Ängste, die keine Basis in der Realität besitzen.
Vor kurzem bot die israelische Regierung an, jährlich ein paar tausend Flüchtlinge (3000 wurden erwähnt) im Rahmen der "Wiedervereinigung von Familien" zurückzunehmen. Dies weist auf einen falschen Ansatz hin. Stattdessen ist eine offene Rückkehr, im Rahmen des Rechts auf Rückkehr, als symbolischer Akt der Verständigung notwendig. Natürlich ist die erwähnte Zahl lächerlich.
Niemand behauptet Israel, das gerade erst erfolgreich eine Million neuer Einwanderer aus der früheren Sowjetunion integriert hat, wäre nicht in der Lage, eine vernünftige Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen. Das Argument ist klar ideologisch und demographisch: die Rückkehr jeder beliebigen Anzahl von Flüchtlingen würde die national-demographische Zusammensetzung des Staates verändern.
Um die Irrationalität des Arguments zu beweisen, reicht es zu erwähnen, dass die extreme Rechte in Israel die Annektierung der arabischen Viertel in Ost-Jerusalem fordert und vollständig damit einverstanden ist, der dort lebenden Viertelmillion Araber die israelische Staatsbürgerschaft zu garantieren. Der rechte Flügel fordert ebenso die Annektierung großer "Siedlungsblöcke", die viele arabische Dörfer miteinschließen, ohne über Maßen über das Anwachsen der Anzahl arabischer Bürger in Israel beunruhigt zu sein.
Es lohnt auch sich daran zu erinnern, dass die Regierung von David Ben Gurion und Moshe Sharett 1949 angeboten hat, 100.000 Flüchtlinge zurückzunehmen. Was auch immer die Motive waren, die dieses Angebot inspiriert haben, und selbst wenn es nur ein diplomatisches Manöver gewesen ist, stellt dieses Angebot einen wichtigen Präzedenzfall dar. In Beziehung zur damaligen jüdischen Bevölkerung Israels würde diese Zahl heute 800.000 betragen. In Beziehung zur Anzahl der damaligen Flüchtlinge betrüge sie heute eine halbe Million.
Die entscheidende Frage lautet: Wie viele können zurückgebracht werden? Minimalisten mögen von 100.000 sprechen, Maximalisten von einer halben Million. Ich selbst habe eine jährliche Quote von 50.000 für zehn Jahre vorgeschlagen. Doch ist dies ein Thema für Verhandlungen, die in einem Geist des guten Willens geführt werden müssen mit der Absicht, diese schmerzhafte Frage erfolgreich zu lösen, immer in der Erinnerung, dass es um das Schicksal von lebenden Menschen geht, die nach zehn Jahren des Leidens Rehabilitation verdienen.
Zur Zeit leben 1,1 Millionen palästinensisch-arabische Staatsbürger in Israel. Ein Anwachsen dieser Zahl auf 1,3 oder gar 1,5 Millionen wird das demographische Bild nicht grundlegend ändern, besonders wenn Israel jährlich mehr als 50.000 neue jüdische Immigranten aufnimmt.
Dennoch erweckt dieses Konzept in Israel tiefe Ängste. Selbst der Historiker Benny Morris, der solch eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung der Vertreibung von 1948 gespielt hat, kann sich lediglich "vielleicht ein Rinnsal von Flüchtlingen - ein paar tausend, nicht mehr - die nach Israel zurückkehren dürfen" vorstellen.
Ich bin mir bewusst, dass dieses Angebot weit davon entfernt ist, die Forderungen der Palästinenser zu befriedigen. Aber ich bin überzeugt, dass die große Mehrheit der Palästinenser weiß, dass das der Preis ist, den beide Seiten zu zahlen haben, um die schmerzhafte Vergangenheit hinter sich zu lassen und sich auf den Aufbau einer Zukunft in den zwei Staaten vorzubereiten.
Wann wird es geschehen?
Wenn diese Lösung im Rahmen eines umfassenden Friedens zwischen Israel und Palästina, der mit sich einen Frieden zwischen Israel und der gesamten arabischen Welt bringt, akzeptiert wird, kann sie in wenigen Jahren durchgeführt werden.
Der erste Schritt wird natürlich das Erreichen einer Übereinkunft zwischen den zwei Parteien sein. Hoffentlich wird dies nicht ein Prozess bitteren Feilschens sein, sondern eine Verhandlung in gutem Glauben, bei der beide Seiten realisieren, dass eine Übereinstimmung nicht nur eine große menschliche Tragödie beenden wird, sondern ebenso den Weg zu einem echten Frieden öffnen wird.
Der zweite Schritt wird der Prozess der Auswahl sein. Eine internationale Agentur wird sicherstellen müssen, dass jede Flüchtlingsfamilie umfassend über ihre Rechte und den ihr möglichen Optionen informiert ist. Die Agentur muss auch dafür sorgen, dass jede Familie frei, ohne Druck, wählen kann. Ebenso muss es einen geordneten Prozess geben, um Eigentum zu registrieren und Grundstücke zu vergeben.
Derzeit kann niemand wissen, wie viele Flüchtlinge jede der Optionen wählen werden. Es ist anzunehmen, dass viele dort bleiben werden, wo sie sind, besonders wenn sie geheiratet haben oder Geschäfte besitzen und Wurzeln geschlagen haben. Die Entschädigungen werden ihre Situation erheblich verbessern.
Andere werden lieber im palästinensischen Staat leben, wo sie sich zuhause innerhalb ihrer Nation und Kultur fühlen werden. Andere möchten vielleicht auf israelisches Territorium zurück, wo sie nahe der Heimat ihrer Familien sind, auch wenn sie nicht in ihre zerstörten Häuser und nicht-existierenden Dörfer zurückkehren können. Andere wiederum lehnen es vielleicht ab, in einem Staat mit anderem nationalen und kulturellen Hintergrund zu leben, nachdem sie die Realität dort Augen gesehen haben. Eine echte Wahl wird nur möglich sein, wenn alle Fakten klar sind, und selbst dann werden einige vielleicht mehrmals ihre Meinung ändern.
Wenn erst das große nationale Thema, das Symbol des palästinensischen Gefühls für Ungerechtigkeit, eine persönliche Frage für hunderttausende einzelner Familien wird, wird jede von ihnen eine individuelle Entscheidung treffen.
Gleichzeitig muss die internationale Agentur entstehen. Die Erfahrung zeigt, dass dies nicht leicht sein wird und die Länder, die großzügige Beiträge für dieses Unternehmen versprechen, diese Versprechen nicht immer erfüllen.
Der dritte Schritt ist die Durchführung, die sicher mehrere Jahre dauern wird. Offensichtlich entbehrt die Furcht vieler Israelis, dass plötzlich ein Desaster vom Ausmaß einer Naturkatastrophe über sie hereinbrechen wird, jeder Basis. Die Lösung des Problems wird ein langer, kontrollierter, vernünftiger und logischer Prozess sein.
Historische Verständigung
Ich glaube, dieser Plan kann eine moralische, gerechte, praktische und akzeptable Lösung bringen. Beide Seiten werden ihn schließlich akzeptieren, weil es keinen anderen gibt. Es kann keinen Frieden ohne die Lösung des Flüchtlingsproblems geben und die einzige Lösung ist eine, mit der beide Seiten leben können.
Vielleicht wird sich all es zum Guten wenden. Wenn sich beide Seiten auf den Weg zu dieser Lösung machen, kann das die Verständigung zwischen ihnen erleichtern. Wenn sie zusammensitzen, um Lösungen zu finden, können alle möglichen kreativen Ideen entstehen. Zum Beispiel: Warum nicht zwei oder drei der palästinensischen Dörfer wiederaufbauen, die nach 1948 zerstört wurden und deren Land immer noch frei ist? Viele Dinge, die heute unmöglich scheinen, können auf der Tagesordnung stehen, wenn sich erst die Atmosphäre zwischen den Parteien verändert hat.
Vielleicht wird dann das alte Wort des Psalmisten für die Flüchtlinge gelten: "Der Stein, den die Bauleute verwarfen, ist zum Eckstein geworden."
Übersetzung: Bernd Büscher