Iran und der Krieg in Syrien

Das Regime-Narrativ wird zunehmend infrage gestellt

von Ali Fathollah-Nejad

In der Zeit nach dem territorialen Sieg über den Islamischen Staat und speziell in dem gegenwärtigen sog. Wiederaufbauprozess in Syrien wird viel davon gesprochen, dass Teheran wirtschaftliche Belohnungen für seine jahrelange Unterstützung des Regimes von Bashar al-Assad bekomme. (1) Während die tatsächlichen Dividenden, obwohl auf den ersten Blick lukrativ, in einer von Krieg zerstörten Wirtschaft und angesichts der Konkurrenz mit Russland um dieselben Dividenden mager bleiben dürften, hört die iranische Politik nicht auf, über sie zu reden. Der Grund ist in der Innenpolitik zu suchen. (2)
In den letzten Monaten und Jahren wurde das Narrativ der Islamischen Republik über ihr militärisches Engagement in Syrien in Iran selbst immer mehr infrage gestellt. Wachsendes gesellschaftliches Bewusstsein über Teherans Syrienengagement hat das Interpretationsmonopol des Regimes unterminiert. Die iranischen Offiziellen mussten auf die sich verändernde Sichtweise bezüglich der ethischen und wirtschaftlichen Dimension des Engagements reagieren. Trotz der totalen Zensur über die Causa Syrien seitens staatlicher Medien in Iran hat eine Vielzahl von persisch-sprachigen Medien im Ausland diese sich verändernde Wahrnehmung gefördert.

Die Islamische Republik feiert „ihren Sieg“ über den Islamischen Staat
Während der irakische Premierminister das Ende des IS im Irak (der IS hatte drei Jahre zuvor ein Drittel des irakischen Territoriums erobert) und das russische Militär dasselbe für Syrien Anfang Dezember 2017 verkündeten, hatte Teheran dies schon drei Wochen früher getan. Politiker priesen den Sieg mit großen Worten als ihren Verdienst an. Kayhan, eine ultra-konservative Tageszeitung, die als Sprachrohr des Obersten Führers Ayatollah Ali Khamenei bekannt ist, titelte am 18. November: „Die Akte von Daesh (IS) im Irak wurde geschlossen“ und zwei Tage später: „Befreiung der letzten Daesh-Bastion in Syrien“.
In einem medienwirksam inszenierten regen Briefaustausch auf höchster Ebene zelebrierte die Islamische Republik „ihren“ Sieg gegen den IS. Der offiziellen Darstellung zufolge ging der Sieg gegen den IS mit dem Ende von Irans Syrienengagement einher, das primär als Kampf gegen den IS dargestellt worden war. In Wirklichkeit hatte Irans Engagement aber früher als das Erstarken des IS begonnen – es ging bei dem Medienzirkus um die Befriedung der eigenen Bevölkerung, die zunehmend kritischer gegenüber dem Syrien-Engagement wurde.

Neben den geostrategischen Rationalisierungen in Politikkreisen hat die Islamische Republik in ihrem offiziellen Diskurs ihre Syrienkampagne mit dem Schutz von schiitischen Mausoleen (3) in Syrien vor dem IS begründet, nicht mit der Verteidigung des Assad-Regimes. (4) Auch wurde oft betont, dass Teheran die Loyalität des Baath-Regimes während des Irak-Iran-Kriegs 1980-88  zurückzahle.

Teherans Unterstützung für das Assad-Regime
Seit Beginn des Aufstands in Syrien 2011 wurde Teherans militärischer Einfluss schrittweise größer. Er begann mit Militärberatern und Training für die syrischen Streitkräfte. Dann kam die Zusammenstellung einer internationalen schiitischen Truppe, die schnell zu Syriens mächtigstem militärischen Instrument wurde. Sie verhinderte in Frühjahr und Sommer 2013 sowie zusammen mit Russland im Sommer 2015 eine militärische Niederlage des Regimes. So hing in den ganzen Jahren das Überleben des Regimes in kritischen Momenten immer wieder an der Kombination von iranischer Dominanz auf dem Boden und dem russischen Monopol in der Luft.

Das Erstarken des IS 2014 erlaubte Teheran, sein Engagement in Syrien als einen „Krieg gegen den Terror“ zu verkaufen und seine Militärpräsenz zu verstärken. (5) Dazu gehörten afghanische und pakistanische schiitische Milizen (6) und die libanesische Hisbollah. Leichensäcke wurden nach Iran zurückgeschickt. (7) 2016 hatte die Zahl der Todesopfer unter den iranischen Einheiten die 1.000-Marke überschritten. Heute geht man von der vierfachen Zahl aus. Darunter waren auch hochrangige Militärs, deren Tod schwieriger zu verheimlichen war. 2014 sagte der iranische Abgeordnete Mahmoud Nabavian, dass Teheran 300.000 Syrer ausgebildet habe – die Hälfte in Syrien, die andere Hälfte in Iran – und logistische Unterstützung für 50.000 Kämpfer der Hisbollah leiste.

Was die ökonomischen Kosten angeht, so hat Teheran Milliarden US-Dollar an Syrien verliehen, mit kaum Aussicht auf Rückzahlung, und es bezahlte für Tausende von Hisbollah-Kämpfern. Irans jährliche Ausgaben für Syrien werden auf zwischen 8 und 20 Milliarden US-Dollar geschätzt. (8) Eine hohe Summe angesichts fallender Ölpreise und der sozio-ökonomischen Misere in Iran.

Die Legitimierung von Teherans Syrienengagement im Rückblick
Neben diesen Kernsäulen des offiziellen Narrativs hat die militärische Elite Irans das Syrien-Engagement manchmal auch als Teil ihres „Exports der islamischen Revolution“ bezeichnet. (9) Erst mit den steigenden Opferzahlen iranischer Soldaten begannen die iranischen Medien die Namen der „Märtyrer des islamischen Widerstands in Syrien“ oder „Verteidiger der Schreine“ zu veröffentlichen, die durch „wahhabitische Terroristen“ getötet worden seien, ohne dass es aber zu öffentlichen Trauerfeiern kam, wie sie in der Zeit des Kriegs gegen den Irak üblich waren.

Politiker stellen das Narrativ des Regimes infrage
Während sie in der internationale Debatte und Medienberichten über den Krieg in Syrien in den letzten Jahren kaum eine Rolle spielten, ist Teherans eiserne Unterstützung für Assad in Iran zunehmend öffentlich kritisiert worden. Der erste prominente Fall ist der des verstorbenen Präsidenten Ali-Akbar Hashemi-Rafsanjani. Im September 2013 hielt er eine Rede, die dadurch bekannt wurde, dass zum ersten Mal ein iranischer Offizieller vom Chemiewaffeneinsatz durch Assad sprach. (10) Ein weiteres Beispiel ist Gholam-Hossein Karbastschi, ein als äußerst kompetent geltender ehemaliger Bürgermeister Teherans, bevor er aufgrund von politisch motivierten Korruptionsvorwürfen für zwei Jahre ins Gefängnis musste. Am 29. April 2017 sagte er auf einer Wahlveranstaltung für Präsident Rohani in Isfahan: “Verlangt religiöse Ehre (qeyrat-e dini), dass im Namen des Schutzes von Mausoleen usw. manche Apparate mit Null Rechenschaftspflicht [aktiv werden]? Ja, ich wünsche mir auch, dass in Syrien, Libanon und Jemen, in all diesen Orten, Frieden hergestellt, die Unterdrückten geschützt und die schiitische Gemeinschaft gestärkt wird. Aber können all diese Ziele durch Geldzahlungen, Waffenlieferungen, Tötungen und Prügel erreicht werden?“ (11) Die Zuhörer applaudierten heftig, aber der Sprecher des Präsidenten düpierte ihn, indem er die Kritik scharf zurückwies. (12) Ein paar Tage später wurde gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen einer „kriminellen Aussage“ und „Beleidigung der Märtyrer, die die heiligen Stätten verteidigen“ eingeleitet.

Mutige Studenten gegen Galionsfiguren des Regimes
Auf gesellschaftlicher Ebene fand ebenfalls eine Bewusstseinsbildung statt. Zur Illustration können Vorkommnisse an den Universitäten dienen, wo äußerst mutige Studierende in ihren Reden, unterbrochen von Applaus aus dem Publikum, die iranische Syrienpolitik in Diskussionen mit hochrangigen staatlichen Vertretern scharf kritisierten. So zum Beispiel im April 2017 an der Universität Tabris, wo ein Student einen bekannten Ideologen der Revolutionsgarden angriff: „Hassan Abbasi, Ihre Ideologie ist die Ideologie von Terrorismus und Angst, der Waffenlieferungen an den blutdürstigen Diktator Bashar al-Assad und seiner Unterstützung. Ihre Ideologie besteht darin, mit den nationalistischen und religiösen Überzeugungen des Volkes zu spielen, indem Sie nicht-existente Schreine in Homs und Idlib verteidigen. Was für Schreine? (…) Ihre Ideologie legt den öffentlichen Haushalt Irans auf dem Bankkonto der Hisbollah im Libanon an. Wie Hasan Nasrallah selbst zugegeben hat, werden ihre Waffen, ihr Auskommen, ihr Essen und selbst ihre Unterwäsche durch Iran bezahlt. Mein Schlusswort ist, dass wir Euren Verrat und Eure Verbrechen nie vergessen oder vergeben werden.“ (13)

Während der iranischen Rebellion um die Jahreswende konnte man eine Abwandlung eines Slogans hören, der schon 2009 bei der Grünen Bewegung erklang. „Lasst Syrien in Ruhe, kümmert Euch um uns!“ (14) In anderen Worten: Viele Menschen in Iran haben angefangen, eine direkte Verbindung zwischen ihren konkreten einheimischen Problemen und dem Krieg in Syrien zu ziehen. Sie fordern, dass die Milliarden, die für Syrien ausgegeben werden,  für die Bedürfnisse der Menschen zuhause eingesetzt werden sollten. Die scheinbare Präferenz des Establishments, sich als regionale Großmacht zu etablieren, ist somit mit seinen vielen Unterlassungen zuhause verbunden worden.

Es tauchten während der Rebellion in Teheran große Plakate auf, die eine apokalyptische Szene aus Aleppo zeigten und davor warnten, dass eine Fortsetzung der Proteste Iran in ein zweites Syrien verwandeln könnte. (15) Die Islamische Republik benutzt routinemäßig die katastrophale Situation in Syrien, für die sie selbst zynischerweise große Verantwortung trägt, als Trumpfkarte benutzt, um all jene zu verschrecken, die  für innenpolitische Veränderung eintreten.

Fazit
Die ökonomischen und menschlichen Kosten der Intervention Teherans in Syrien sind in den letzten Jahren immer mehr an die iranische Öffentlichkeit gedrungen – nachdem man sie nach Beginn des syrischen Aufstands jahrelang versucht hatte zu verschweigen. Der Medien-Hype um den angeblichen Sieg über den IS Ende letzten Jahres sollte vor allem dazu dienen, diese Kosten gegenüber der iranischen Bevölkerung zu legitimieren. Denn wir haben es weder mit der Niederlage des IS in toto noch das Ende des iranischen militärischen Engagements in Syrien zu tun. Nachdem die IranerInnen von den staatlichen Medien und Politikern über die wahren Motive und das Vorgehen von Teherans Syrienkampagne absichtlich im Dunkeln gelassen worden sind, ist ein gewachsenes Bewusstsein entstanden, das sich in Protestslogans von verschiedenen sozialen Gruppen niederschlägt.
Die offizielle „Krieg gegen den Terror“-Begründung aus Teheran reimt sich nahtlos mit der des Westens. Beide zogen es vor, dass Assad an der Macht bleibt, um den IS zu bekämpfen. In Iran wie auch im Westen wurde deshalb absichtlich vermieden, Assad und den IS als zwei Seiten derselben Medaille darzustellen. Immerhin hat die Barbarei des Ersteren  dazu beigetragen, die des Letzteren zu erschaffen, was wiederum dabei half, den Massenmord des Ersteren zu legitimieren. In anderen Worten: sich gegenseitig nährende Barbareien. Dies ist eine Wirklichkeit, die von immer mehr IranerInnen verstanden wird.
Die Syrienkampagne Irans hat zudem dem Mythos einer Islamischen Republik, die nur in Kämpfe verwickelt wird, um das Vaterland zu verteidigen, ein Ende bereitet. All dies hat auch die Psyche der iranischen Soldaten beeinflusst: „Ich sehe, was in Aleppo und Homs und Idlib passiert, und sage mir selbst: Warum das alles? Ich weiß, dass dieser Krieg grausam ist und dass wir Iraner sehr, sehr tief involviert sind“, sagte ein Wehrpflichtiger vor einem Jahr. „Die schicken mich bestimmt ins Ausland! Ich möchte wirklich keine Kinder in Syrien töten, aber ich werde es wohl machen müssen“. (16) Heute muss die iranische Elite angesichts dieses wachsenden Bewusstseins und der andauernden sozio-ökonomischen und politischen Proteste bei Verlautbarungen zu Syrien sehr vorsichtig agieren.

Anmerkungen
1 https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-iran/irans-revol...
2 https://thearabweekly.com/iran-wants-return-investments-syria-well-just-...
3 Vor allem der Sayidda-Zeynab-Moschee in Damaskus, wo u.a. die Tochter des ersten schiitischen Imams, Ali ibn Abi Talib und eine Enkelin von Prophet Mohammad, beigesetzt sind.
4 http://iranjournal.org/news/iran-syrien
5 https://www.lawfareblog.com/fruits-irans-victory-syria
6 https://www.nzz.ch/international/nahost-und-afrika/schiitischer-jihad-ka...
7 https://www.alaraby.co.uk/english/comment/2015/6/16/body-bags-from-syria...
8 http://carnegieendowment.org/sada/60280 und http://freebeacon.com/wp-content/uploads/2015/09/20150731-CRS-Memo-to-Se...
9 https://uk.news.yahoo.com/export-irans-revolution-enters-chapter-general...
10 https://www.pri.org/stories/2015-09-24/iranians-quietly-question-their-g...
11 https://www.aparat.com/v/IukKo
12 https://www.iranhumanrights.org/2017/05/hardliners-pounce-on-rouhani-cam...
13 https://www.memri.org/tv/iran-student-accuses-irgc-abbasi-killings-tortu.... Hier gibt es eine ähnliche Rede aus Teheran: https://www.youtube.com/watch?v=O5cRYyvUDZk
14 https://www.nzz.ch/feuilleton/die-slogans-sprechen-fuer-sich-ld.1346954
15 http://www.publications.atlanticcouncil.org/breakingaleppo/wp-content/up...
16 https://www.zeit.de/politik/ausland/2017-04/iran-syrien-krieg-militaerdi...

Eine längere Fassung finden Sie in dem zweiteiligen Artikel des Autors, der auf Al Jazeera English erschien: »Iran: Fighting 'terror' publicly, mourning the dead secretly« (1.5.18) & » Iranians respond to the regime: 'Leave Syria alone!'« (2.5.18)
Übersetzung aus dem Englischen: Christine Schweitzer

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