Ein Beispiel für gewaltfreies Eingreifen in Spannungs- und Krisensituationen

Das Rücksiedlungsprojekt für Flüchtlinge in Zypern

von Christian Büttner
Schwerpunkt
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Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts haben regionale und zwischen­staatliche Konflikte um ein vielfaches zugenommen. Der mörderische Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien zeigt uns, wie wichtig es ist, vermittelnd und deeskalierend in einen Konflikt einzugreifen und ihn zu beenden. Hier scheinen mir, sofern dieser Vergleich möglich ist, sowohl die Friedensbewegung als auch die herrschenden Mittel der internatio­nalen Politik (VN, EG, KSZE) versagt, bzw. z.T. gerade das Gegenteil bewirkt zu haben. Dies trifft weniger die Friedensbewegung, die sich im Rahmen ihrer geringen Möglichkeiten bemüht Hilfe zu leisten, als viel­mehr die internationale Politik, die weder zur unendlichen Verhand­lungs- und Verzögerungsdiplomatie, zur unwirksamen Sanktionspolitik, noch zu ihrem "letzten Mittel", einem militärischen Eingreifen, Alternati­ven entwickelt hat.

In diesem Artikel über das Rücksied­lungsprojekt für Flüchtlinge in Zypern will ich aufzeigen, wie beispielhaft eine kleine Gruppe von Freiwilligen, ohne eine etablierte Organisation als Basis und mit geringen Mitteln, zwischen den verfeindeten Bevölkerungsgruppen auf Zypern vermitteln und ein Rücksied­lungsprojekt aufbauen konnte. Seine Aktualität besitzt das Projekt, weil im ehemaligen Jugoslawien in naher Zu­kunft ähnliche Projekte entstehen wer­den (müssen).

Ich kann in diesem Artikel nicht näher auf den Zypernkonflikt eingehen, einige Grundinformationen sind aber wichtig: Auf der Insel leben zwei Bevölkerungs­gruppen (griechischstämmige Zyprioten, christlich-orthodox, 78 % der Bevölke­rung, und türkischstämmige Zyprioten, 18 %, moslemisch, seit der Invasion wurden ca 80 000 Türken aus der Türkei in Zypern angesiedelt.) Zypern wurde 1960 von Großbritannien unabhängig. Von da an gab es verstärkt Spannungen, weil die griechischstämmigen Zyprioten den Anschluss an Griechenland forderten und die in der Unabhängigkeitserklä­rung festgelegten Minderheitenrechte für den türkisch-zypriotischen Bevölke­rungsanteil missachteten. 1963 vertrie­ben irreguläre bewaffnete griechische Kräfte die Zyperntürken aus ihren ange­stammten, meist gemischten Gebieten. Die Vereinten Nationen (VN) statio­nierten eine Blauhelmtruppe mit der Aufgabe, zwischen den Bevölkerungs­gruppen zu vermitteln und Übergriffe zu verhindern. Die VN-Truppen stehen bis heute vor Ort. Zu einer weiteren Ver­schärfung des Konfliktes in Zypern kam es am 15. Juli 1974, als Verbündete der Obristendiktatur in Griechenland auf Zypern einen Staatsputsch mit dem Ziel der Angliederung durchführten. Fünf Tage später besetzte das türkische Mili­tär den Norden Zyperns. Seitdem ist die Insel geteilt und die Grenze wird von den Blauhelmen gesichert. An der poli­tischen Lage hat sich seit 1974 kaum etwas geändert. Auch die letztjährigen Verhandlungsbemühungen der VN sind gescheitert. Ein Teil der Länder, die die Blauhelme stellen, spielen mit dem Ge­danken des Abzugs ihrer Truppen. 1)

Das Rücksiedlungsprojekt für Flücht­linge in Zypern begann im August 1972, als ein internationales Team von fünf Freiwilligen nach Zypern reiste und dort vor Ort erkunden wollte, in welcher Weise gewaltfreie Pazifisten einen kon­struktiven Beitrag zum Friedensprozess leisten könnten. Die Freiwilligen waren in internationalen Gewaltfreien Aktio­nen erfahren und arbeiteten aktiv in ver­schiedenen Friedensorganisationen mit. Aus diesem Kern entstand das "Projekt zur Rücksiedlung von Flüchtlingen". 2) Das Team führte im August mit allen beteiligten Konfliktparteien und den VN Gespräche. Der Sonderbeauftragte der VN schlug ein Rücksiedlungsprojekt für Vertriebene vor. Dieser Projektvor­schlag wurde von griechischer und tür­kischer Seite akzeptiert. Im März 1973 vereinbarten Vertreter von griechischer und türkischer Seite die Einrichtung ei­ner Arbeitsgruppe, in der auch Vertreter des Rücksiedlungsprojekts mitarbeite­ten. Die türkische Seite sollte rücksied­lungswillige Familien vorschlagen und die griechische (Regierungs-) Seite stellte materielle und finanzielle Hilfe in Aussicht.

Im Juli 1973 besuchte ein weiteres Team Zypern und suchte vier Dörfer im griechischen Teil, aus denen 1964 türki­sche Zyprioten vertrieben worden waren und nun rückgesiedelt werden sollten. Im November 1973 traf ein weiteres Team von 20 Personen in Zypern ein und erarbeitete auf lokaler Ebene detail­lierte Rücksiedlungspläne.

Die Verhandlungen fanden mit Beteili­gung der VN statt. Die Vertreter der VN erklärten sich bereit, in der Zeit, in der keine internationalen Freiwilligen auf Zypern waren, die Projektgruppe zu vertreten. In dieser Phase kam es zu er­sten direkten Kontakten zwischen den Konfliktparteien, die über den Ver­handlungscharakter hinausgingen. Die Gesprächskontakte zwischen den Kon­fliktparteien waren seit 1964 fast völlig unterbrochen. Dies war ein wichtiger Fortschritt für das Projekt. Sehr hoff­nungsvoll verließen die Teammitglieder Zypern im Januar.

Im April fuhr ein weiteres Team nach Zypern. Die politische Lage hatte sich verschärft. Es kam deswegen zu Ver­schiebungen im Zeitplan und zu Pro­blemen bei der Bewilligung der Mittel durch die griechisch- zypriotische Re­gierung, die das Projekt ernsthaft ge­fährdeten. Es zeigte sich, daß das Pro­jekt nicht voranging, wenn kein Vertre­ter der internationalen Projektgruppe anwesend war. Aus diesem Grund wurde beschlossen, daß ein Vertreter des Projektes dauerhaft auf Zypern an­wesend sein sollte. Das Team beschloß außerdem die Durchführung eines Workcamps zum Wiederaufbau einzel­ner Häuser mit jungen Studenten von beiden Seiten. Dieses Camp sollte ein Zeichen sein, daß das Projekt trotz der Spannungen weiterging. Längerfristig wurde vorgeschlagen, daß nach der Rücksiedlung der Flüchtlinge dauerhaft Freiwillige in den Dörfern präsent sein sollten, die zwischen den Bevölke­rungsgruppen vermitteln und bei Kon­flikten helfen. Die Konfliktparteien ak­zepitierten die Vorschläge des interna­tionalen Teams unter der Bedingung, daß sie nicht an die Öffentlichkeit ge­bracht würde.

Das Workcamp sollte im Juli stattfinden und die Freiwillige Ellen Wilkenson be­reitete es vor. Sie traf dabei auf eine große Bereitschaft von lokalen Organi­sationen, Firmen und Privatpersonen, dem Projekt in jeder Form zu helfen. Obwohl viele enttäuscht waren, daß das Rücksiedlungsprojekt im Moment nicht weiterging, engagierten sie sich trotz­dem für dieses Workcamp. Nur durch diese Unterstützung konnte am 8. Juli das Workcamp mit ca. 40 Jugendlichen beginnen. Es wurde herzlich vor Ort aufgenommen und die Verbindung zum Dorf hätten noch verbessert werden können, wenn es nicht am 15. Juli zum Militärputsch gekommen wäre. Obwohl ein Teil der Jugendlichen weiterarbei­tete, folgte das Ende des Camps am 20. Juli mit der Invasion und Besetzung von Nord-Zypern durch die türkische Ar­mee. Im Dorf des Workcamps wurden alle türkischen Zyprioten festgenom­men, darunter auch einige Jugendliche des Workcamps. Ellen Wilkenson kam nun in eine völlig andere Rolle: Sie wurde zur Vermittlerin und internatio­nalen Beobachterin vor Ort zwischen den beiden Gruppen. Für die Türken war sie ein Schutz, während die Grie­chen von ihr erwarteten, daß sie bestäti­gen konnte, daß es im Ort zu keinen Übergriffen gekommen war. Kurze Zeit später, nachdem die meisten Türken wieder freigelassen worden waren, ver­ließ Ellen Wilkenson Zypern.

Ein Jahr später besuchte A. Paul Hare noch einmal Zypern, um zu erkunden, ob es eine Möglichkeiten zur Fortfüh­rung des Projekts gäbe. Da die Insel geteilt war und es auf beiden Seiten keine Bereitschaft zu Verhandlungen gab, wurde das Projekt eingestellt.

Hare und Wilkenson stellen in ihrem Resümee fest, daß das Projekt, obwohl es nicht zu Ende geführt wurde, einige positive Ergebnisse brachte und viele wichtige Erfahrungen gesammelt wer­den konnten.

Dem Projekt stimmten zu Beginn beide Seiten zu, da sie die Neutralität der in­ternationalen Initiative anerkannten. Die türkischen Zyprioten erhofften sich in­ternationale Unterstützung und Hilfe bei der Umsiedelung. Es stärkte ihre schwa­che Position gegenüber der griechischen Regierung. Die griechische Seite wil­ligte ein, da sie das Projekt als nicht be­drohlich empfand und sich damit ein gutes Image geben konnte.

Eine besonders wichtige Erfahrung für die Teilnehmer waren die direkten Kontakte zu den Bevölkerungsgruppen vor Ort. Dort hatte das Projekt etwas bewegt und die Kommunikation in der Bevölkerung vorwärts gebracht. Die lo­kalen Bevölkerungsgruppen hatten erste Schritte aufeinander zu gemacht und das zu einem Zeitpunkt, als sich die Span­nungen auf der Insel verschärften. Das Projekt half in der kurzen Kriegszeit, Greueltaten zu verhindern und die Achtung für die Gegenseite zu behalten. Es zeigte sich, daß verschiedene Bevöl­kerungsgruppen vor Ort und unabhängig von der politischen Stituation, unter Vermittlung und mit Hilfe Dritter, kon­krete Friedensschritte aufeinander zu machen und sich gegenseitig Schutz und Sicherheit gewähren konnten.

Anmerkungen

1) (Heinze, Christian, Zum Stand des Zypern-Konflikts, Zeitschrift für Politik, Dezember 1991, Heft 4, S.: 406-427 und Frankfurter Rundschau vom 23.6.1992 und 30.7.1992 "Im Blickpunkt: Zypern-Vermittlung : Letzter Anlauf der UN", "Druck vom Sicherheitsrat")

2) Zur Entstehung und zum Hintergrund des Projekts: Hare, A.Paul: 1984, Cy­prus Resettlement Project: An Instance of international Peacekeeping, Beer Seva: Ben Gurion University; derselbe und Ellen Wilkinson, 1977: Cyprus- Conflict and its Resolution, in derselbe (eds). : Liberation Without Violence, A Third Party Approach, Rex Collings, London 1977

Zu Aktivitäten der Friedensbewegung in internationalen Konflikten: Walker, Charles: A World Peace Guard, An Un­armed Agency for Peacekeeping, Hy­derabad 1981 und Büttner, Christian W.: 60 Jahre Peace Brigades- Die unbe­kannte Geschichte gewaltfreier Frie­densstiftung, Schriftenreihe  des Gandhi- Informations Zentrum Nr. 4, Zu bestellen bei GIZ, Lübecker Str. 44, Pf. 210109, 1000 Berlin 21 (10501 Berlin)

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Christian Büttner ist Redakteur der Zeitschrift "gewaltfreie aktion" und war an Vorbereitung und Durchführung der Tagung mitbeteiligt.