Sicherheit neu denken

Das Szenario der Evangelischen Landeskirche Baden entfaltet Wirkung

von Ralf Becker
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Das im April 2018 von der Evangelischen Landeskirche in Baden veröffentlichte Szenario „Sicherheit neu denken – von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik“ findet reges Interesse. In 90 Veranstaltungen konnte das Szenario inzwischen über 5.000 Menschen vorgestellt und vielfältig diskutiert werden.

Dabei überwiegen begeisterte Reaktionen über den positiven Ansatz des Szenarios, das in Kombination mit konkreten Jahreszahlen eine umfassende Alternative zur aktuellen militärischen Aufrüstung beschreibt. Unter anderem beim Aktionstag in Büchel im Juli 2019 konnte das Szenario eine selbstbewusste Aufbruchstimmung vermitteln.

Im diesem Herbst war das Szenario sowohl beim pax christi- als auch beim DFG-VK Bundeskongress zentrales Thema mit zahlreichen Workshops und ReferentInnen. Auch beim Friedensratschlag in Kassel wurde und wird das Szenario diskutiert.

Bei Studientagen in Bremen, Köln und Karlsruhe haben der Friedensbeauftragte der EKD, der parlamentarische Staatssekretär im BMZ, VertreterInnen der Fairhandels- und Klima-Bewegung, Organisationen zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele, der Fachverband Gewaltfreie Kommunikation, Friedensbildungs-Servicestellen sowie WissenschaftlerInnen zum Szenario Stellung genommen. Bereits 2018 konnte das Szenario bei der Jahrestagung der Vereinigung deutscher Wissenschaftler vorgestellt werden. 2020 wird sich die Münchner Friedenskonferenz intensiv mit dem Szenario beschäftigen. Auch Kontakte zur fridays-for-future-Bewegung und #unteilbar gibt es auf verschiedenen Ebenen.

Resonanz
Kritisch gesehen wird zumeist die Annahme des Szenarios, bis 2040 unseren Lebens- und Wirtschaftsstil nachhaltig, d.h. ökologisch und sozial gerecht gestalten zu können. Natürlich ist dies eine enorme Herausforderung – die unsere Gesellschaft im Bereich Klima aktuell bereits annimmt.

Ein Kohleausstieg ist für unser Land bis zum Jahr 2038 bereits so gut wie beschlossen – das sind zwei Jahre eher als im Szenario beschrieben. Entwicklungsminister Müller hat mit dem Grünen Knopf erstmals ein staatliches Fair-Handels-Siegel vorgestellt. Das ist zwar noch freiwillig und in vielerlei Hinsicht noch entwicklungsfähig – und es ist ein weiterer bereits realisierter Schritt hin zu nachhaltigem Wirtschaften.

Teilweise wird kritisch gesehen, dass das Szenario Deutschland 2040 noch als Mitglied der NATO sieht – wenn auch in einer rein zivilen Rolle. Dadurch, dass wir als Ziel für die Zeit nach 2040 eine starke OSZE als alleiniges übergreifendes Sicherheitssystem in Europa beschreiben, das die NATO ablösen soll, hält sich die diesbezügliche Kritik in Grenzen.

Das Szenario thematisiert nicht die wachsenden Herausforderungen im Bereich Cyber-War. Anregungen und Feedbacks zu diesem Thema und anderen Bereichen werden wir auf der entstehenden Projekt-Homepage dokumentieren (Herausforderungen im Bereich Cyber-Kriminalität sollte mit (internationalen) polizeilichen Mitteln begegnet werden).

Viele Anfragen beziehen sich auf den möglichen Widerstand der Rüstungsindustrie gegen eine zivile Sicherheitspolitik. Wir sind überzeugt, dass betroffene Unternehmen aus eigener Kraft eine zivile Produktpalette entwickeln, wenn wir als Gesellschaft einen klaren politischen Konversionsbeschluss mit entsprechenden Vorlaufzeiten fassen.

Kritisch hinterfragt wird, ob wir unseren NATO-PartnerInnen bei einer rein zivilen Sicherheitspolitik nicht die „Drecksarbeit“ überlassen, also die gefährliche militärische Verteidigung. Diese Kritik übersieht, dass die Ausbildung und Tätigkeit ziviler Friedensfachkräfte ebenso anspruchsvoll, aufwendig und (lebens-)gefährlich ist wie militärische Sicherheitspolitik. Schließlich bedingt die Umstellung auf zivile Sicherheitspolitik eine Änderung unserer Lebens- und Wirtschaftsweise – was an Herausforderung kaum zu überbieten ist.

Struktur
Seit Juni 2019 koordiniert ein 15-köpfiger Kreis aus 14 Organisationen die Initiative Sicherheit neu denken. Ziel ist die komplette Umstellung deutscher (Außen-)Sicherheitspolitik auf zivile Instrumente bis zum Jahr 2040. Auf dem Weg dorthin wollen wir bis zum Jahr 2030 die CDU als Kompetenzträgerin in Fragen der (Außen-)Sicherheitspolitik ablösen.

Seit Herbst ist das Szenario auch in englischer und französischer Übersetzung erhältlich. Die niederländische Friedensbewegung überträgt die Szenario-Idee bereits auf die Niederlande, auch darüber hinaus findet die Initiative Sicherheit neu denken zunehmend international Beachtung.
Im Dezember 2019 wird der Koordinierungskreis interessierten bundes- und landesweiten Organisationen bei einem Plenumstreffen Vorschläge unterbreiten, wie wir die Idee einer zivilen Sicherheitspolitik weiterverbreiten können. Dann werden wir gemeinsam beraten, wie sich weitere Organisationen der Initiative anschließen und an Aktionen dazu beteiligen können.
Weitere Informationen, inklusive möglichem Newsletter-Bezug, siehe www.sicherheitneudenken.org

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt