Philippinen

Dauerhafter Friede in Mindanao: Hoffnungen; Chancen und Risiken in einem vergessenen Konflikt

von Elisabeth StrohscheidtElmar Noé

Über die Philippinen ist in Deutschland relativ wenig bekannt; über die zum Teil Jahrzehnte andauernden bewaffneten Konflikte – und das ebenso lange Bemühen auch vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen um Frieden - noch weniger. Wenn die Philippinen hier in die Schlagzeilen kommen, dann in der Regel über Aufsehen erregende Bilder von Naturkatastrophen - wie z.B. 2013 nach dem Taifun Haiyan. Schlagzeilen machen auch Entführungen durch die Terrorgruppe Abu Sayaf, wie zuletzt Anfang November 2016. Abu Sayaf steht dem IS nahe und agiert insbesondere auf der Sulu-Halbinsel, im Westen Mindanaos sowie den vorgelagerten Inseln. In der Autonomen Region Muslim Mindanao (ARMM) hat sie bislang wenig Bedeutung. Hier stehen andere Konflikte im Vordergrund, von denen wir hier jedoch nur im Ausnahmefall hören.

Mindanao ist eine der ärmsten Regionen des Landes; dies, obwohl weite Teile der Insel sehr fruchtbare Böden haben und die Insel reich an natürlichen Ressourcen wie Mineralien, Holz, Wasser und Fischgründen ist. Die Erträge aus der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Mindanaos kommen jedoch nur zu einem verschwindend geringen Grad der Bevölkerung zugute. Der Kampf um den Zugang zu diesen Ressourcen sowie Diskriminierung von Teilen der Bevölkerung führte in den letzten Jahrzehnten zu einer Reihe eskalierender Gewaltkonflikte. Lange dominierte die zum Islam übergetretene indigene Bevölkerung das politische und gesellschaftliche Leben auf Mindanao. Händler hatten die Religion auf diese zweitgrößte Insel des Landes gebracht, die neben anderen indigenen, animistischen Religionen, bestand. Mit der Kolonialisierung des 7000-Insel-Archipels begann jedoch die Diskriminierung der muslimischen und indigenen Bevölkerung auf Mindanao, die sich auch nach der Unabhängigkeit der Philippinen fortsetzte. Bis heute beherrschen Vorurteile und Spannungen das Verhältnis zwischen den auf Mindanao ansässigen muslimischen und nicht-muslimischen Indigenen sowie den aus anderen Teilen der Philippinen eingewanderten christlichen Siedlern.

Der bewaffnete Widerstand der Moro, wie die Muslime sich selbst nennen, gegen ihre Diskriminierung begann Ende der 1960-er Jahre, verstärkte sich während der Marcos-Diktatur und setzte sich auch nach Wiedereinführung der Demokratie 1986 fort. 1996 kam es dann zu einem ersten Friedensvertrag. Er war unter Leitung von Nur Misuari von der MNLF (Moro National Liberation Front) verhandelt worden und führte zur Bildung der Autonomen Region Muslim Mindanao (ARMM). Auseinandersetzungen über die Umsetzung des Friedensvertrags führten jedoch zur Spaltung der bewaffneten muslimischen Opposition und zur Gründung der Moro Islamic Liberation Front (MILF). 2012 ist es der MILF und der philippinischen Regierung schließlich gelungen, einen neuen Fahrplan für einen Friedensprozess zu vereinbaren, der 2014 zu einem Friedensabkommen führte. Allerdings sind die darauf folgenden Verhandlungen zu einem neuen Autonomiegesetz, dem sogenannten „Bangsamoro Basic Law“ (BBL), an Widerständen im philippinischen Kongress gescheitert.

Chancen auf dem langen Weg zum Frieden
Vor allem die muslimische Bevölkerung in Mindanao war vom Scheitern der Verabschiedung des BBL tief enttäuscht. Dass diese Enttäuschung nicht in großflächige Gewalt umgeschlagen ist, ist zu einem erheblichen Teil den intensiven Bemühungen zivilgesellschaftlicher Kräfte zu verdanken, Transparenz über den Verhandlungsprozess herzustellen. Hinzu kommt, dass große Teile der kämpfenden Parteien – der muslimischen Gruppierungen wie auch in der Armee – kriegsmüde sind. Zudem ist über die langjährigen Verhandlungen zwischen MILF-Kämpfern und Armee ein belastbares Vertrauen entstanden, dass dazu geführt hat, dass vereinbarte Waffenstillstände auch in Krisensituationen Bestand hatten und haben, und dass funktionierende Kommunikationskanäle etabliert werden konnten. Die Tatsache, dass nach dem Scheitern des BBL im Kongress die Verhandlungsdelegationen beider Seite den Dialog sehr schnell wieder aufgenommen haben, war ein wichtiger Schritt, um zumindest die bisherigen Verhandlungsergebnisse abzusichern.

Die Wahl von Rodrigo Duterte zum philippinischen Präsidenten weckte auf vielen Seiten die Hoffnung, dass er dem Friedensprozess einen neuen und positiven Impuls geben kann. Duterte ist der erste Präsident der Philippinen, der aus Mindanao kommt und hat mehrfach betont, dass ihm eine Lösung im Sinne der muslimischen Bevölkerung am Herzen liegt. Trotz des offensichtlichen Engagements im Friedensprozess ist die bisherige Amtsführung Dutertes jedoch begleitet von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, einer offen ausgesprochenen Geringschätzung von Rechtsstaatlichkeit und inkonsistenten politischen Entscheidungen.

Inwiefern dies alles auch negative Auswirkungen auf den Friedensprozess haben kann, ist derzeit schwer abzusehen. Bereits am 7. November unterschrieb Präsident Duterte den Präsidialerlass Nr. 8, der die Einsetzung einer erweiterten Übergangsregierung, der sogenannte „Bangsamoro Transition Commission“ (BTC), für die Bangsamoro-Region ermöglicht. Hauptaufgabe der BTC wird die Ausarbeitung eines Gesetzes sein, das den Autonomiestatus der Region neu regelt. Dies soll unter Einbeziehung aller Gruppen in der Region geschehen, insbesondere derer, die an den o.g. Gesprächen zwischen MILF und Regierung nicht beteiligt waren.

Hürden und Hindernisse im Prozess
Zu den großen Risiken des neu aufgenommenen Friedensprozesses gehört dessen derzeitige Intransparenz. So wird zum Beispiel die 21-köpfige Übergangsregierung nicht gewählt, sondern 10 Mitglieder werden von Regierungsseite ernannt und 11 durch die MILF. Der Auswahlprozess ist selbst für Insider im Detail kaum durchschaubar. Während die MILF offenbar ihre Mitglieder aus den eigenen Reihen benennt, benennt die Regierung auch Mitglieder aus Gruppen, die dem Friedensprozess bisher kritisch gegenüber standen – also z.B. aus den Reihen der nicht-islamisierten indigenen Völker Mindanaos. Die Kriterien sind unklar. Einige der voraussichtlichen Repräsentanten im BTC werden schon jetzt von Teilen der Gruppen, die sie vertreten sollen, abgelehnt.

Auch innerhalb der muslimischen Gruppierungen gibt es Spannungen. Zum einen konkurrieren MILF und MNLF miteinander. Zum anderen ist die MNLF nochmals in sich gespalten: in eine Gruppe, die auf der Grundlage des von der MILF ausgehandelten Friedensvertrages weiter mit der Regierung verhandeln will, und eine andere Gruppe, die das 2014 erzielte Ergebnis nicht akzeptiert. Als Folge dessen beginnen nun zwei parallele Verhandlungsprozesse, an deren Ende wohl zwei Entwürfe für ein „Bangsamoro Enabling Law“ stehen werden. Diese Prozesse müssen zum Ende hin zusammengeführt werden, und das konsolidierte Ergebnis wiederum muss noch vom philippinischen Kongress verabschiedet werden. Auch wenn die Gespräche derzeit konstruktiv verlaufen, birgt dieses Verfahren eine Vielzahl von Risiken. Auch die Frage, wie den Interessen der nicht-islamisierten Indigenen, die zu den HauptkritikerInnen des 2014 erzielten Friedensabkommens gehörten, Rechnung getragen wird, ist noch unklar. Sie sind nur über die o.g. Beteiligung an der Bangsamoro Transition Commission an den neuen Verhandlungen beteiligt. Ihnen geht es vor allem um ihre – zumindest auf dem Papier für alle philippinischen Indigenen gesicherten – Rechte zur Selbstverwaltung ihres angestammten Landes. Inwiefern diese Rechte auch in einer autonomen Bangsamoro-Region Bestand haben würden, war aus den Verhandlungen 2012 – 2014 ausgeklammert worden und muss jetzt nachverhandelt werden.

Wie in allen Konflikten gibt es natürlich auch im Mindanao-Konflikte Kräfte, die kein Interesse an einem Frieden haben, unter ihnen Warlords, die sich gut in der herrschenden Kriegsökonomie eingerichtet haben und dabei von ihren eigenen Milizen unterstützt werden. Sie einzubeziehen oder zu kontrollieren ist eine der größten Herausforderungen. Ein weiteres ernstes Hindernis für den Frieden sind die gewaltsam ausgetragenen Konflikte zwischen Clans und Generationen übergreifende Familienfehden (Rido).

Anerkennung historischen Unrechts – ein Kernanliegen der Moro
Zentrales Anliegen der muslimischen Bevölkerung Mindanaos ist die Anerkennung erlittenen Unrechts. Duterte hatte ihnen im Wahlkampf Wiedergutmachung versprochen. Das hat wesentlich dazu beigetragen, dass er auf Mindanao von so vielen gewählt wurde. Den Mitgliedern des seit vielen Jahren von MISEREOR unterstützten Dachverbandes muslimischer zivilgesellschaftlicher Organisationen, dem Consortium of Bangsmoro Civil Society (CBCS), ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig, klarzustellen, dass Ziel der Anerkennung erlittenen Unrechts nicht etwa Vergeltung oder die Wiederherstellung des vorkolonialen Zustandes ist. Insbesondere mit Blick auf die Einstellung der christlichen EinwanderInnen, die ebenfalls schon seit Generationen in der Region leben, ist dies wichtig. Ihr Misstrauen gegenüber dem Friedensprozess und auch ihre Angst vor Verhandlungsergebnissen, die sie marginalisieren könnten, sind groß. Hier trägt auch die katholische Kirche ein hohes Maß an Verantwortung. Die Oblate Missionary Foundation (OMF) hat deshalb Dialogprozesse in vielen katholischen Pfarrgemeinden der Diözese Cotabato, einer der vom Bürgerkrieg hauptsächlich betroffenen Regionen Mindanaos, begonnen. OMF hat dabei festgestellt, dass sich Vorurteile bereits dadurch reduzieren lassen, dass man den christlichen BewohnerInnen Mindanaos ein Verständnis der wahren Geschichte der Region vermittelt. Diese wird bisher nicht einmal in den Schulen gelehrt. Und die Abgeordneten im fernen Manila, die letztlich über Gesetzesvorlagen wie die oben genannten entscheiden, kennen sie auch nicht. Eine entsprechende Änderung der Lehrpläne wäre somit schon eine relativ einfache und nahe liegende Maßnahme, um der Bildung von Vorurteilen – Grundlage und Nährboden struktureller und physischer Gewalt – entgegenzuwirken.

Die philippinische Zivilgesellschaft: ein Schlüsselfaktor für den Frieden
In der Region befürchten viele, dass ein Scheitern der Verhandlungen zu einem erweiterten und verbesserten Autonomiestatus zu einer Radikalisierung, vor allem der jungen Muslime, führen könnte. MISEREOR Partnerorganisationen in Mindanao sehen hier weniger ausländische Einflussnahme (z.B. über den IS oder andere extreme sunnitische Kräfte) als treibende Kraft für wieder ansteigende Gewaltbereitschaft als vielmehr die Frustration über einen sich in die Länge ziehenden und von Rückschlägen geprägten Friedensprozess. Gerade in dieser fragilen Situation ist es wichtig, dass zivilgesellschaftliche Organisationen nicht nachlassen in ihren Bemühungen um Aufklärung über die Hintergründe und Ursachen des Konfliktes, als auch in der Vermittlung von Informationen über den Friedensprozess. Das rasante Tempo, mit dem der Friedensprozess in der jetzigen Phase vorangetrieben wird, macht diese Aufgabe nicht gerade leichter. Die sozialen Medien spielen gerade auch vor diesem Hintergrund eine immer wichtiger werdende Rolle. Nur wenn es gelingt, breite Teile der Bevölkerung mitzunehmen, haben die Friedensverhandlungen Aussicht auf Erfolg. Die vielen großen und kleinen zivilgesellschaftlichen Organisationen auf den Philippinen, die sich über Jahre und Jahrzehnte hinweg nicht haben entmutigen lassen, für den Frieden einzutreten, verdienen Anerkennung, Respekt und Unterstützung. Sie haben entscheidenden Anteil daran, dass in der Autonomen Region Bangsamoro inzwischen mehr Menschen in relativem Frieden leben können und trotz vieler Rückschläge Aussicht auf einen dauerhaften Frieden besteht.

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