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Dayton - Ein Friedensprozess in Bosnien?
von
Die beiden Autoren haben Anfang Dezember ein Thesenpapier zur Bewertungen eines möglichen Friedensprozesses für Bosnien auf dem Hintergrund des Dayton-Abkommens verfasst, das in der Zeitschrift "Probleme des Friedens" erschienen wird. Wir dokumentieren daraus nachfolgend den Schlussteil.
In den ersten Kapiteln wird u.a. gefordert, durch humanitäre und wirtschaftliche Unterstützung, die in allen Konfliktregionen annehmbare Lebensbedingungen schafft und die am selbständigen Handeln der Organisationen vor Ort orientiert ist, einen wirklichen Friedensprozess in Gang zu setzen. Allerdings seien die Ausgangsbedingungen angesichts des Dayton-Abkommens prekär:
- Allseitige Not und Erschöpfung der Kriegsparteien haben zu einem von außen diktierten Zwangsfrieden geführt, der sich an ethnischen Kriterien orientiert und der noch keines der Probleme gelöst hat - und dennoch als Voraussetzung eines wirklichen Friedensprozesses genutzt werden muß.
- Die "Friedensdurchsetzung" durch NATO-Truppen ist kaum an einem langfristigen, zivilen Friedensprozess orientiert; Eigeninteressen von EU und NATO überwiegen, wie z.B. an der eiligen Abschiebepolitik von Kriegsflüchtlingen und der Aufhebung des Waffenembargos deutlich wird.
Der nun folgende Teil der Stellungnahme bezieht sich auf das Zustandekommen des Dayton-Vertrages und die Bewertung für eine pazifistische Politik: (die Red.)
(...)
IV. Die Faktoren, die zu Dayton führten
Damit nicht morgen neue militaristische Scheinrechtfertigungen aus möglichem Versagen der heutigen Verträge wachsen, müssen detailliert die Faktoren bedacht werden, die Dayton möglich machten und diesen Vertrag zugleich mit so darniederziehenden Gewichten versahen.
- Das NATO-Bombardement (Ende August/Anfang September 1995) wird weithin als Beleg dafür gehandelt, daß Frieden ohne kriegerische Gewalt in Situationen wie in Bosnien nicht möglich sei. Es wird so argumentiert, als hätten die Luftschläge der NATO Dayton und die damit verbundenen Versprechen möglich gemacht. Tatsächlich jedoch zeigen Entwicklungen und Informationen, die erst in den letzten Wochen erkennbar wurden, den bereits erwähnten Erschöpfungszustand bei allen Kriegsparteien. Träfe der militärische Effekt des NATO-Bombardements unabhängig von den Faktoren im Kontext Ex-Jugoslawiens zu, dann hätte er, früher eingesetzt, noch deutlicher gewirkt. Die Militärs (in diesem Falle sind die der Nato gemeint, aber es gilt dies für Militärs generell) sind in aller Regel in der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich. Ihre weitgehende über dreijährige Zurückhaltung in Bosnien hatte also in ihrem eigenen Selbstverständnis gute Gründe. Der Erschöpfungsvorgang war demgemäß die Voraussetzung für einen "militärischen Erfolg". Gerade die letzten Monate belegen: Nicht die militärischen Mittel, sondern der politische und der diplomatisch-ökonomische Druck sind es, die die Kriegsgegner dazu drängen, ja umständegemäß zwingen können, endlich den Frieden, sprich zivile Formen der Lösung ihrer Konflikte zu riskieren. Wenn der Krieg keine Vorteile mehr verspricht, auch im eigenen scheuklappenartig kalkulierten Herrschaftsinteresse, dann wird zunächst negativer Frieden möglich. Mit der Chance, daß allmählich die positiven Voraussetzungen friedlichen Umgangs geschaffen werden.
- Die jetzige "Lösung" hat, noch mehr als dies bei anderen Aktionen seit dem zweiten Golfkrieg der fall, die UNO ins Schlepptau der US-geführten Nato genommen. Dieser Umstand bedeutet keine Kleinigkeit. Er besagt nämlich, daß die Interessen eines bestimmenden militärischen Sicherheits- und Wohlstandsverbundes die "Lösung" dominieren, die im Namen der universellen Werte Frieden und Menschenreche durchsetzt werden. Die Konsequenzen sind fatal. Zum einen wird die UNO in ihrer potentiellen friedensichernden Rolle noch weiter geschwächt. Zum anderen werden neuen Formen "gerechter" Kriege von den hauptsächlich Nato-Partnern definiert.
Letzterer Interessen entscheiden: ob interveniert wird; wie und wann interveniert wird; wie man Konflikte so kleinarbeitet, daß sie den eigenen Interessen nicht mehr gefährlich werden, selbst wenn sie weitere Gewaltopfer fordern. In diesem Sinne bilden Dayton und seine Folgen möglicherweise den schlimmen Auftakt zukünftiger Konflikte und west-, sprich natowärts ausgewählter Definitions- und Lösungsformen.
- Dayton und sein luftkämpferisches Vorspiel im Herbst 1995 hat die Ouvertüre der neuen Weltmachtrolle Bundesrepublik Deutschland intoniert. "Endlich" können deutsche Truppen außerhalb der ursprünglich im NATO-Vertrag vorgesehenen Verteidigungsziele agieren. NATO und die Bundeswehr haben sich von den Grenzen des Kalten Krieges und den Grenzen, die die deutsche Vergangenheit auferlegt, "emanzipiert". Die historisch normativ unhaltbare Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom Juli 1994 ist nun erstmals neue deutsche "Wahrheit" geworden: Das Ende aller Nachkriegszeit; Deutschland militärisch auf der Höhe seiner ökonomischen Bedeutung; "Normalität" im Sinne des Krieges als des Vaters aller friedlich-politischen Dinge; deutsche Kampftruppen an die Front - Generalinspekteur Naumann hat entgegen dem verharmlosenden Verteidigungsminister Rühe recht; potentiell an alle Fronten, die die Nato und die in ihr verkörperten Weltmacht- und Weltmarktinteressen eröffnen.
- Die moralische Entlastung gehört mit zum größten Gepäck, das Dayton und seine militärische Voraussetzung und Begleiterscheinungen mit sich führen. Bekanntlich ist nicht nur regierungsamtlich immer erneut behauptet worden, allein kriegerische Intervention schaffe die Vorrausetzungen des Friedens. Sogar gegen die in der Vergangenheit zögerlichen UN-Militärs und ihre Regierungen sind Tausende von moralisch integren Personen an die Öffentlichkeit getreten und haben ein militärisches Halt, sprich eine kriegerische Intervention als Bedingung des Friedens verlangt. Sie werden sich durch die Entwicklungen der letzten Monate in dieser Forderung bestätigt sehen. Damit können sie sich zum einen zurücklehnen und die weiteren Entwicklungen getrost der Nato überlassen. Zum anderen müssen sie nun nicht mehr an den friedlichen Bedingungen des Friedens arbeiten, die gerade in den Nato-Ländern zu schaffen wären. Der Krieg als der Moral hat ein weiteres Mal und, genau betrachtet hier, seinen folgenreichsten Pyrrhussieg errungen.
V. Kurzes Resümee
Zum ersten: Dayton, seine Voraussetzungen und seine ansehbaren Folgen haben die pazifistische Politik nicht widerlegt. Sie haben dieselbe bestätigt und werden dies leider zukünftig in verstärktem Maße tun. In der Art, wie weltweit Konfliktursachen aufgehäuft werden; in der Art, wie gerade die Nato-Mächte wegschauen, wenn ihre Interessen von mörderischen Konflikten von Osttimor bis Ruanda, Burundi, Nigeria u.ä.m nicht stärker berührt werden; in der öffentlich medial überaus wirksamen Definitionsmacht dessen, was eine menschenrechtlich angemessene militärische Intervention sei; kurzum im Aufrechterhalten der konventionellen These, für die Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist.
Zum zweiten: Eine nüchterne pazifistische Option am Ende des 20. Jahrhunderts, die um die Konflikte in dieser Welt und ihrer Ursachen auch und gerade mitten in der "westlich-zivilisierten" Welt weiß, stellt sich bei etwas genauerem Hinsehen als die einzig realistische Politik dar. Sie lügt sich und andere nicht an. Sie achtet die Unversehrtheit des Lebens und der menschlichen Würde. Sie setzt auf Solidarität. Und: Solche pazifistische Politik äußert sich nicht in edler "Gesinnung" (ein geläufiger, aber falscher Vorwurf), sondern im ungebrochenen friedenspolitischen, menschenrechtlich-humanitären Handeln, das zugleich aufklärerisch wirkt. Durchaus nicht im abgehobenen "blauen Himmel", sondern sehr konkret an der Basis; also bei aktiven Bürgerinnen und Bürgern ebenso wie bei den Opfern. Pazifistische Politik verbindet fundamentale Kritik an herrschender Politik mit dauerndem rastlosen Tun und der Phantasie fordernden Arbeit an einer Welt friedlicher Konfliktlösungen. Dennoch ist zu befürchten, daß Dayton, seine militärischen Voraussetzungen, seine militärischen Begleiterscheinnungen und seine militärischen Begleiterscheinungen und seine militärischen Folgen es mit sich bringen werden, daß pazifistische Politik es noch schwerer haben wird, als dies zuvor schon der Fall gewesen ist.
Zum dritten: Dem ist entgegenzuwirken. Kritik und Handeln hier in der Bundesrepublik müssen jenseits aller nötigen Aktivitäten nach "außen" gerade in Richtung Bosnien vor allem dem eigenen Land gelten: der Rolle der Bundesrepublik im Kontext einer kapitalistischen Ökonomie zuerst, die Ungleichheiten international und national verstärkt; und nicht zuletzt der Umrüstung und Umfunktionierung der Bundeswehr als prinzipiell globalem Einsatzmittel für die Interessen der in diesem Lande dominierenden Herrschafts-, Macht-, Wirtschaft- und Medieneliten, sich arglistig mit dem Tarnhelm der Friedensstiftung versehen. Der Rüstungsproduktion und dem Rüstungsexport ist mit unversöhnlichem gewaltfreiem Widerstand entgegenzutreten usw. usf.
VI. Summa summarum
Mag die aktuelle Entwicklung auch nicht zum besten stehen, so hört mit Dayton das pazifistisch-menschenrechtliche Engagement in Sachen Bosnien und anderwärts nicht auf. Es wird noch nötiger als zuvor. Auch und gerade, um aus Dayton das friedenspolitisch und für die geschundenen Menschen Bestmögliche herauszuholen. Auch und gerade, um neue militaristische Legitimationen, die aus möglichem Scheitern erwachsen, mit den Argumenten der Wahrheit strikt nichtmilitärisch zu bekämpfen.
Gegen unsere eigenen Ohnmachtsgefühle lohnt es sich, die Risiken pazifistischen Engagements auf uns zu nehmen. Um des Friedens, um der von Kriegen in Not und Elend getriebenen Menschen, aber auch um unser selbst hier und heute willen. Das friedenspolitische Ziel zahlt sich nicht erst dann aus, wenn es am Ende voll und ganz erreicht wäre. Um Gandhi zu zitieren: "Es gibt keinen Weg zum Frieden, Frieden ist der weg."