Demonstrationsverbote per Berliner Käseglocke

von Martin Singe
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George W. Bush antwortete auf die Frage eines französischen Journalisten in Paris zu den Protesten gegen seine Politik beim Deutschlandbesuch, er habe nur einige hundert freundlich winkende Menschen in Berlin wahrgenommen. Das waren die bestellten und handverlesenen Jubelbürger, die Zugang in den großräumig abgesperrten Sicherheitsbezirk erhalten hatten.

Wer seinen Protest gegen die Kriegspolitik des US-Präsidenten ausdrücken wollte, wurde daran gehindert. Eine angemeldete demonstrative Mahnwache aus dem Umfeld des Komitees für Grundrechte und Demokratie am Reichstag wurde zunächst unter Verweis auf den befriedeten Bezirk verboten. Als diese dann außerhalb des befriedeten Bezirkes südlich vom Brandenburger Tor angemeldet wurde - für diesen Platz hatte es auch während der Bundestagsentscheidung zum Afghanistan-Krieg eine Genehmigung für eine Protestveranstaltung gegeben -, wurde auch das verboten, mit Verweis auf eine sogenannte Sicherheitszone. Ebenfalls verboten wurde eine Mahnwache von Amnesty International, die am Pariser Platz stattfinden sollte. Ungestört und abgeschirmt von allen Protestaktionen sollte Bush den Reichstag erreichen, um seine "historische Rede" halten zu können, die er gut und gerne auch an den Bundestag hätte faxen können.

Von Sicherheitszonen für gefährdete Staatsmänner ist im Versammlungsgesetz natürlich nichts zu lesen. Dennoch wird es zunehmend üblich, Staatsoberhäupte oder besonders hochkarätige Veranstaltungen (z.B. die Nato-Konferenz in München) von Demonstrationen vollständig abzuschirmen, so dass das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit, das ja in seiner Kombination das Demonstrationsrecht ausmacht, praktisch bei solchen Anlässen aufgehoben wird. Es gehört aber zum Demonstrationsrecht dazu, dass die Demonstrationen unmittelbar und nicht nur medial vermittelt ihren Adressaten erreichen können. Deshalb muss auch den Demonstrierenden zugestanden werden, den Ort für Demonstrationen selbst zu bestimmen - so seinerzeit auch der berühmte Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Jedenfalls sind Sicherheitszonen solchen Ausmaßes wie jüngst in Berlin demokratisch-rechtsstaatlich nicht hinnehmbar.
 

Will man jedoch sein Recht einklagen, so stößt man auf den Widerstand der Gerichte, die sich auf pauschale Gefahrenspekulationen berufen. Versammlungen dürfen aber nur dann verboten werden, wenn von ihnen selbst eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeht. Das war im Fall der obigen geplanten demonstrativen Mahnwache eindeutig nicht der Fall. Dennoch argumentierte die Versammlungsbehörde - der Ordnungsbehördliche Staatsschutz beim Polizeipräsidenten Berlin - in ihrer Verbotsverfügung mit der allgemeinen Gefährdung von Bush: "Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist, was die Gefahr von möglichen Attentaten anbetrifft, einer der gefährdetsten Staatsmänner der Welt, wenn nicht sogar der gefährdeteste überhaupt. Für die Sicherheitsbehörden bedeutet dies, dass bei seinem Auftreten jederzeit mit Anschlägen auf seine Person, sei es durch Heckenschützen, Bombenexplosionen oder auch Selbstmordattentate zu rechnen ist." Auf den eingelegten Widerspruch hin argumentierte das Berliner Verwaltungsgericht ähnlich. Das Gericht spricht zwar von einem "erheblichen Grundrechtseingriff bei dem Antragsteller, von dessen Veranstaltung selbst offensichtlich keine Gefährdung des amerikanischen Präsidenten ausgeht". Da jedoch "Leib und Leben des amerikanischen Präsidenten in außergewöhnlicher Weise gefährdet sind", sei die Grundrechtsbeschränkung zumutbar. Auch die Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht brachte keinen Erfolg. Das OVG mutmaßte, dass sich Attentäter unter die Versammlung mischen könnten: "Denn es ist nicht absolut auszuschließen, dass sich potenzielle Attentäter unerkannt entweder unter die Versammlungsteilnhemer selbst oder aber unter eine Ansammlung an der Kundgebung interessierter Passanten begeben, um von dort aus zu agieren."

So bleibt das Demonstrationsrecht auf der Strecke und der Staatsgast vor Protesten verschont. Der Grundrechte beanspruchende Bürger wird obendrein zur Kasse gebeten: er soll die Kosten des Verfahrens - der Streitwert wurde mal eben auf 4.000 Euro festgelegt - auch noch bezahlen: Grundrechte, ade!

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".