„Initiative gegen Waffen vom Bodensee“

Den Opfern eine Stimme, den Tätern Name und Gesicht

von Michael Schmidt

Kaum ein Tourist, der auf einem weißen Schiff über den Bodensee fährt, kaum eine Urlauberin, die die Kulisse des Seeufers und der Berge bestaunt, ahnt, welche teuflischen Geräte rund um den Bodensee ausgebrütet und gebaut werden.

Denn das Bodenseegebiet ist nicht nur eine der schönsten Urlaubsregion der Bundesrepublik, sondern auch ein Gebiet mit einer besonders hohen Konzentration an Rüstungsbetrieben. Über 7.000 Menschen forschen, entwickeln und bauen hier am Bodensee Produkte für das Militär. Der Tod ist auch ein Geselle vom Bodensee.

Aber nicht alle Bewohner nehmen dies als gottgegeben hin. Ein paar wenige Bodensee-Anwohner haben sich im Jahre 2012 zur „Initiative gegen Waffen vom Bodensee“ zusammengeschlossen.

Diese Initiative will den Opfern der Waffen, die hier erdacht und gefertigt werden, eine Stimme geben. Die Mitglieder dieser Initiative recherchieren: Welche Firma konstruiert und baut an welchem Standort welche Waffen? In welche Länder werden diese Waffen exportiert? In welchen Ländern werden sie eingesetzt? Welche Menschen sterben durch die Waffen vom Bodensee? Wir wollen den Tätern und den Opfern Namen und ein Gesicht geben.

Es begann mit einem Vortrag von Jürgen Grässlin in Lindau
Wichtig für die Entstehung der Initiative war ein Vortrag von Jürgen Grässlin im Frühjahr 2010 in den Friedensräumen Lindau.

Er konnte belegen: Ein großer Teil der Produkte vom Bodensee (Motoren, Getriebe, Flugzeugfahrwerke, Flugsteuerungen, Satelliten, Elektronik, Überwachungssysteme und Sicherheitsausrüstungen) sind nicht für zivile Anwendungen bestimmt. Nicht  für die Automobil-, Schiffs-, Flugzeug-, Bahnindustrie, Katastrophenhilfe oder die Weltraumforschung. 

Ein erheblicher Teil dieser Produkte vom Bodensee sind Rüstungs- bzw. Kriegsgüter. Sie werden in Panzer, schwere Haubitzen, Kriegsschiffe, U-Boote, Kampfflugzeuge und anderes Kriegsgerät eingebaut. Die Kapazitäten der Firmen sind riesig. Ein Großteil dieser Güter wird exportiert in verbündete NATO-Staaten, aber auch an Diktaturen, in Spannungs- und Kriegsgebiete.

Die ArbeitnehmerInnen, die in den Rüstungsfirmen arbeiten, sind großenteils nette Menschen, hilfreiche Nachbarn, Kirchenmitglieder etc. Sie sind stolz, in diesen Firmen zu arbeiten. Es sind anspruchsvolle, gut bezahlte Arbeitsplätze. Wer dort arbeitet, kann sich ein Haus bauen und hat keine Schwierigkeiten, seinen Kindern Tennis- bzw. Ballettstunden finanzieren.

Bis zum Jahr 2010 wurde in der Bodenseeregion kaum über dieses Problem gesprochen. Aber die Mitglieder der „Initiative gegen Waffen vom Bodensee“ recherchierten zu den Firmen rund um den Bodensee. Auf diese Weise entstand die Homepage. Es gab dann auch zwei „Runde Tische“ zum Thema Rüstung am Bodensee, einen Ostermarsch (Motto „Für eine rüstungsfreie Zone Bodensee“), eine Radtour zu den Rüstungsfirmen und eine „Ökumenische Erklärung zur Rüstungsindustrie“.

Einen groben Überblick über die Rüstungs- bzw. Teilrüstungsbetriebe zeigt die Grafik (Seekarte). Darin jedoch sind nur die großen Firmen ausgewiesen. Daneben gibt es eine Anzahl kleinerer Zulieferbetriebe mit militärischer Zertifizierung und weltweit nachgefragten speziellen Dienstleistungen. Wir kennen 23 ermittelte Firmen mit den geschätzten Anteilen an Rüstungsgütern an der Gesamtproduktion und anteiligen Personal am Gesamtpersonalstand.

Unterstützung bei den Recherchen kommt auch aus der Schweiz, ebenfalls einem großen Waffenexporteur mit zweifelhaften Exportpraktiken ihrer Regierung und Behörden.

Beispiele
Wenn überhaupt qualifizierbar, stechen besondere Programme einiger „unserer“ Firmen zur Zeit besonders ins Auge:

So baut Cassidian, die für „Verteidigung“ zuständige Tochter des EADS Konzerns, zur Grenzsicherung einen 9.000 Kilometer langen Hochsicherheitszaun um Saudi-Arabien. Selbstverständlich mit modernsten Kommando-, Kontroll-, Kommunikationssystemen und Einrichtungen für „Gegenmaßnahmen“. Dazu gehören auch Lenkwaffen. Ein ähnliches voll integriertes maritimes Grenz-Sicherheitssystem erhielt Katar. 

Der Firmenkatalog von Diehl Defence in Überlingen liest sich wie ein schlimmer  Horrorroman. Diehl baut Raketen und Munition samt zugehöriger „Feuerleitsysteme“ für -Luftwaffe,  Marine und Heer und für fast alle Nationen dieser Welt. Der  „Rüstungsexportschlager“ ist die „intelligente“ Luft-Luft- und Luft Boden-Rakete IRIS-T.

MTU/Tognum in Friedrichshafen baut Motoren für den Leopard-Panzer. Der „Leo“ gilt als der Rolls-Royce unter den Kampfpanzern der Welt. Saudi-Arabien und Katar, zwei Diktaturen mit erheblichen Menschenrechtsdefiziten, gieren nach diesem Panzer in der Spezialversion Leopard 2A7+. Diese Version 2A7+ ist eine Spezialausrüstung mit verkürztem Geschützrohr, Räumschild und Nebelgranaten für den „urbanen Einsatz“.

Bei der Niederschlagung der Bürgeraufstände in Bahrain 2010/11, half das Nachbarland Saudi Arabien mit Radpanzern der Marke Piranha aus Kreuzlingen, das liegt auf der Schweizer Seite des Bodensees.

Inzwischen kursieren Stückzahlen von bis zu 800 Leopards in den Medien. Grundgesetz und Kriegswaffenkontrollgesetz verbieten derartige Exporte in Krisengebiete. Die Bundesregierung und ihr Bundessicherheitsrat scheinen diese Verbote jedoch ignorieren  zu wollen. Daher schließen sich die „Initiative gegen Waffen vom Bodensee“ und die Friedensbewegungen der Region dem bundesweiten Widerstand der „Aktion Aufschrei-stoppt den Waffenhandel“ an.

Die Medien beginnen sich zu interessieren
Bereits 2010 wurde die Wochenzeitung „Die Zeit“ auf die Homepage aufmerksam und berichtete am 04.11.2010 in einer zweiseitigen Reportage. Weitere überregionale Zeitungen wie die Schweizer Wochenzeitung (WOZ), die „Vorarlberger Nachrichten“ oder die Schwäbische Zeitung berichteten ausführlich. Während auch die regionalen Fernsehen- und Radiosender über einzelne Veranstaltungen berichten, blieb die Resonanz in der Bevölkerung verhalten.

Zur Geschichte der Waffenproduktion am Bodensee
Um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert fing alles mit Ferdinand Graf von Zeppelin an. 1899 begann Zeppelin in der Bucht von Manzell, den heutigen  Friedrichshafen, mit dem Bau des ersten „lenkbaren Luftzuges“. Der erste Weltkrieg brachte den Durchbruch. 88 Zeppeline wurden zwischen 1914 bis 1918 vornehmlich für Heer und Marine bebaut. Sie dienten zur Luftaufklärung und Bombardierung, unter anderem von Paris und London. Bis 200 Tonnen Bomben wurden allein über England abgeworfen. Zeppeline brauchten einen Antrieb. Dazu holte Zeppelin  Wilhelm Maybach mit seiner Luftfahrzeug-Motorenbau GmbH 1912 an den Bodensee. Zu den Motoren kamen Getriebe. Also gründete man 1915 eine Zahnradfabrik, die heutige ZF Zahnradfabrik Friedrichshafen. Auch die Dornier Flugzeugwerke waren eine Ausgründung der Zeppelin Werke. Claude Dornier war Konstrukteur bei Zeppelin. So entstand am Bodensee schon im 1.Weltkrieg ein Rüstungscluster. Der 1. wie der 2. Weltkrieg mit ihrem riesigen Bedarf an Waffen und  Kriegsgütern brachten gewaltige Entwicklungs- und Kapazitätsschübe für die Firmen. Trotz der zweimaligen Zerstörungen und Demontage nach den verlorenen Kriegen, konnten die Betriebe ihre Arbeit immer wieder fortsetzen. Denn die Fachkräfte, das Wissen und das Kapital waren vorhanden. Heute sind die Betriebe größer, internationaler, einflussreicher, kompetenter, die Erzeugnisse tödlicher als je zuvor.

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