Friedensbewegte Lehren und die Aufgaben der internationalen Friedensbewegung nachdem Golfkrieg

Den Völkermördern entgegentreten Vernetzen für eine gerechte und demokratische Weltfriedensordnung

von Martin Gräbener
Hintergrund
Hintergrund

Je mehr sich die Rauchschwaden des Krieges verziehen, die Pressezensur einer objektiveren Berichterstattung aus der Region weicht, desto deutlicher wird die gesamte Wahrheit des Golfkrieges sichtbar und beweist, daß die Logik der Kanonen nichts gelöst hat an den Problemen und Konflikten der Staaten und Völker in der Ölregion außer der Wiederherstellung des Status quo ante.

Der Preis für die Wiederherstellung des Völkerrechts ist zu hoch:

  • Zwar ist die Souveränität Kuweits wiederhergestellt, doch v.a. ist es die souveräne Macht des Feudalherrschers, der wie bisher mit Ausnahmezustand und Kriegsrecht, Zensur und Unterdrückung der Opposition regiert, um den immensen Reichtum der Sabah-Familie mit dem Kuweit-Öl zu mehren.
  • Von einer Friedensordnung am Golf und einer Lösung der Nah-Ost-Probleme kann keine Rede sein; Im Gegenteil verheißen die Fortsetzung und Intensivierung der Rüstungsexporte in die Region, wie jetzt von der US-Regierung beschlossen; und die nach wie vor unversöhnlich gegeneinanderstehende israelisch-arabische Politik, die Beibehaltung und Intensivierung der israelischen Annexionspraxis in den besetzten Gebieten und die Unterdrückung der Palästinenser für die Zukunft nichts Gutes.
  • Die ökologischen Kriegsfolgen in und um Kuweit, im Irak Und im Persischen Golf sind so massiv, daß jetzt die US-Regierung angesichts zunehmend kritischer Berichte zur aus dem Golfkrieg bewährten Praxis der·Medienzensur zurückgekehrt ist, ein Umstand, der durch das Kriegsrecht in Kuwait und das faktische Besatzungsrecht in der Region begünstigt wird.
  • Die Behandlung der Kurden von allen Kriegsparteien zeigt, wie wenig es dort um das Recht der Völker der Region auf eine sichere, ungefährdete Existenz geht. Das 30 Millionen Menschen zählende Volk der Kurden hat keine Lobby. Im Golfkrieg wurde es wie schon so oft als Manövriermasse für fremde Interessen mißbraucht. Die USA haben die Schiiten und die Kurden zunächst zum Aufstand aufgefordert, sind aber jetzt offenkundig mehr am Machterhalt des für ihre Interessen „gezähmten“ Diktators Saddam Hussein interessiert.

Die regionale Machtbalance soll sich aus Sicht der USA auch nicht zugunsten des Iran verschieben, ein Kurdenstaat würde v.a, das NATO-Land Türkei in Bedrängnis bringen (2/3 der Kurden leben in Türkisch-Kurdistan), und eine einheitliche arabische Position gegenüber dem Hauptverbündeten Israel wird durch die Beibehaltung der Rivalität Syriens und des Iraks um die Führung der arabischen Nation weiter erschwert.

Es bestätigt sich wieder, was die Friedensbewegung immer schon wußte: Machtpolitik, zumal Großmachtpolitik, kennt keine Moral, sondern nur Interessen.

Die Wiederherstellung der Souveränität Kuweits in der strategisch wichtigen Ölregion war ein willkommener Vorwand, die. gestörte regionale Machtbalance aus dem Interesse des ungehinderten und möglichst kostengünstigen Zugangs zum zentralen· Schmierstoff der westlichen Industrieländer wieder herzustellen.

Und zugleich; um der Weil vor dem Hintergrund der von den militärpolitischen Analytikern in den Doktrinschulen der US-Army und NATO schon vor fast einem Jahrzehnt angenommenen Zuspitzung von Nord- Süd- Konflikten mit Gefährdung strategischer Rohstoffinteressen zum Ende dieses Jahrhunderts zu zeigen, was mit aufmüpfigen Regional-Potentaten geschieht, die es wagen, die „Rote Linie der Großmachtinteressen“ zu überschreiten.

Originalzitat aus dem „AirLandBattle 2000“-Dokument des US-Army Training and Document-Center, einer zentralen Think-Tank Schule für US-Militärdoktrin-Entwicklung von 1982(!):

„Im Jahr 2000 werden Staaten aus der 3. Welt, Industriekartelle und regionale Staatenblöcke eine noch größere Rolle spielen.

lnsgesamt zeigen die Trends, daß die Hauptprobleme der Welt mit der Verteilung und Kontrolle von Ressourcen zusammenhängen.

Die Knappheit der Ressourcen macht sich über alle Staatsgrenzen hinweg einschränkend bemerkbar. Kobalt ist beispielsweise lebenswichtig für die Herstellung von Düsentriebwerken. Die USA importieren 93% ihres Kobalts. Wir sind auf viel mehr Gebieten als nur Öl erpreßbar. Wir nähern uns einer wahrhaft internationalen Wirtschafts- und Ressourcen-Welt. Es ist kein Geheimnis, daß die schwerindustrielle Produktionskapazität der USA schwindet.

Im Jahr 2000 wird es unumgänglich sein, unsere Macht im Ausland schneller geltend machen zu können. Die Gelegenheiten der Führung von Kriegen in allen Teilen der Welt werden weiter wachsen und unsere Reaktionszeiten werden sich nicht verringern. Gegenwärtig gibt es mehrere potentielle Konfliktgebiete, in die wir unsere Macht nicht ohne große Schwierigkeiten zu projizieren.“

V.a. die US-Militärs haben die letzten 10 Jahre genutzt, wie Vorbereitung und Verlauf des Golfkrieges zeigen. Für sie und die hinter ihnen stehende Machtpolitik war der Golfkrieg ein exzellentes Exerzierfeld und Saddam Hussein ein „nützlicher Idiot“, mit dem relativ risikolos die Anwendbarkeit dieser Doktrinen für Kriege mittlerer Intensität, die nicht mehr im Rahmen des bisherigen Ost-West-Konflikts mit seinen Unwäbarkeiten zu sehen sind, erprobt werden konnte.

Bis hin zum „Truthahnschießen“ der letzten 48 Stunden, bei dem eine in voller Auflösung befindende Armee, die nicht mehr kämpfte, auf der Flucht zusammengeschossen wurde, um das gesamte Waffenspektrum, das für den modernen Krieg des Jahres 2000 nicht nur in der Luft, sondern auch am Boden entwickelt worden ist, durchzutesten.

Der Golfkrieg hat erneut gefährliche Illusionen in die Überwindbarkeit von Konflikten mittels Gewalt geschaffen und den Krieg als Institution, als scheinbar legitime Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln nach all den Hoffnungen der letzten Jahre wieder eingeführt. Er hat eine scheinbare Unüberwindlichkeit der High-Tech-Kriegsmittel gezeigt, die die Hemmschwelle ihres Einsatzes bei den Siegern in der Zukunft deutlich herabsetzen wird. Damit besteht angesichts der Entwicklung der Welt, des weiteren Auseinanderdriftens zwischen Arm und Reich die Gefahr einer Zunahme der Militarisierung der Nord-Süd-Beziehungen insgesamt.

Und dies geschieht vor dem Hintergrund des in Wirklichkeit nicht beendeten Ost-West-Konflikts, der in verschiedenen, auch militärisch-konfrontativen Formen und räumlich verlagert fortexistiert und sich erneut zuspitzen könnte.

Dies alles bestätigt die Forderung der Friedensbewegung nach Entwicklung eines Instrumentariums ziviler Konfliktlösung und Anwendung von wirksamen Druckmitteln, auch gegenüber Diktatoren wie Saddam Hussein. Hussein ist nicht der Hitler unserer Tage, und er hätte es auch nicht werden können.

Für die internationale Friedensbewegung und die Friedenbewegung in Deutschland ergeben sich aus dieser Situation, in der wir erkennbar in der politischen Defensive sind, drei Schlußfolgerungen grundlegender Art:

1) Wir müssen uns vernetzen, und zwar weltweit in einer viel intensiveren Art als bisher, um international Einfluß nehmen zu können für eine gerechte und demokratische Weltordnung mit einer demokratisierten UN, mit institutionellen Einflußmöglichkeiten für zivile Konfliktlösungen und Zurückdrängung des militärischen Faktors. In den zwischenstaatlichen Beziehungen und der Innenpolitik der Länder selber.

Die Vernetzung unseres Wissens und unserer Einflußmöglichkeiten kann die Wahrheit der Betroffenen und Unterdrückten zur Geltung bringen.

Die Basisbewegungen der Welt für die zivile, friedensorientierte, ökologische, demokratische und sozialgerechte multipolare Weltordnung und Regionalentwicklung müssen sich jetzt zusammenschließen, gegen die etablierte und in der Realität machtpolitisch orientierte unipolare Weltordnung des einen Drittels der Menschheit gegen den Rest.

2) Wir müssen in unseren Ländern jeweils dafür kämpfen, die Rüstungsexporte als den zugespitztesten Ausdruck unserer die Lebensgrundlagen zerstörenden Wirtschafts- und Lebensweise zu stoppen und bei uns mit Umrüstung und Konversion nicht nur der Rüstungsproduktion, sondern auch der anderen ökologisch und sozial unverträglichen Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche zu beginnen, als unserem Teil der weltweiten Aufgabe.

Der Golfkrieg zeigt in der Gesamtheit seiner Ursachen und Folgen, wie sehr die Frage des Friedens und die ökologische Frage zum Überleben der Menschheit zusammengehören.

3) Besonders die Friedensbewegung in Deutschland hat hier eine zentrale Aufgabe: Der Beitrag des wirtschaftlichen Riesen Deutschland zu einer solchen Entwicklung könnte enorm sein.

Deshalb ist es hier besonders wichtig, geplanten Änderung der Grundgesetzes, die nach Auffassung der Regierung zukünftig nicht nur deutschen Waffen, sondern auch Bundeswehrsoldaten den weltweiten Einsatz auf den Schlachtfeldern dieser Erde ermöglichen soll, hinhaltenden politischen und rechtlichen Widerstand entgegenzusetzen. Die deutsche Geschichte legt uns eben in diesem Sinne ein Vermächtnis auf: So sind die Lehren aus dem 2. Weltkrieg und dem deutschen Genozid zu ziehen und nicht in der Teilhabe am Spiel der Großmächte, sei es eigenständig oder als Führungsmacht einer neuen Supermacht Europa.

Die Friedensbewegung muß sich weiter und mit Nachdruck in das Spiel der Mächtigen einmischen.

Der Artikel, von der Redaktion gekürzt, wurde in April 1991 verfaßt.

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Martin Gräbener arbeitet in der Arbeitsgruppe "Keine Grundgesetzänderung" der Friedenskoperative mit.