Memorandum von Asylorganisationen:

Der Asyl-Skandal geht weiter! - Massenhafte Widerrufe von Asylgewährungen

von Martin Singe

Zehn mit Asyl- und Flüchtlingsfragen befasste Verbände und Organisationen haben im Juni 2005 ein Memorandum vorgelegt, das die bundesdeutsche Asylpraxis scharf kritisiert. Die Organisationen hatten bereits angesichts der Diskussion um das - am 1.1.2005 in Kraft getretene - Zuwanderungsgesetz, das viele bis dahin gültige Regelungen und Gesetze neu (zusammen)fasst, klare Anforderungen an eine Neuregelung gestellt, die jedoch praktisch allesamt vom Gesetzgeber nicht berücksichtigt wurden.

Die Organisationen kritisieren das praktizierte Asylverfahren als verfassungs- und völkerrechtswidrig. Im Zentrum der Verfahren, die zu Orten des "verdichteten Misstrauens" gegen Flüchtlinge umgestaltet worden seien, stünden Erkundigungen über den Reiseweg, nicht Fragen nach den Fluchtgründen. Gefahrenabwehrende und polizeirechtliche Grundsätze beherrschten die Praxis: "Verfolgte erscheinen in diesem System zunächst als illegal Einreisende und damit als polizeirechtlicher Gegenstand der Gefahrenabwehr und Störungsbeseitigung." (Seite 7) Ausführlich geht die Broschüre auf die strukturell bedingte mangelhafte Qualität der Entscheidungsfindung im Asylverfahren ein.

Die EU-Abkommen zum Asylrecht hätten nicht zur Solidarität der EU-Staaten bei der Asyl-Bewältigung geführt, sondern zu einer verschärften Verschiebebahnhofsmentalität (Verantwortungsverlagerung Richtung "sicherer" Drittstaaten/Herkunftsstaaten mit Dominoeffekt). Ebenfalls rügen die Asyl-Organisationen den Umgang mit der Genfer Flüchtlingskonvention. Flüchtlinge nach dieser Konvention müssten gemäß EU-Richtlinien eigentlich den politischen Flüchtlingsstatus und einen Aufenthaltstitel erhalten.

Erschreckend ist auch der neue Trend zur Aberkennung von bereits früher anerkannten Flüchtlingen. Solche Aberkennungen gab es früher nur in Ausnahmefällen, heute werden sie massenhaft praktiziert (siehe Grafik!): Aberkennungen pendelten 1998-2002 zwischen 500 und 2.000 Fällen, 2003 waren es bereits 8.345, 2004 sogar 14.972 "Fälle"! Entsprechend extensiv funktioniert das bundesdeutsche Ausweisungs- und Abschieberegime.

Teilweise wäre dem Memorandum noch mehr politische Eindeutigkeit zu wünschen, wenn es um den größeren politischen Kontext geht. So wird zwar z.B. gesagt, dass politisch-strategische Faktoren stärker die Anerkennungsquoten bestimmen würden als die Fluchtgründe bzw. -ursachen. Dass aber etwa der extreme Rückgang der Anerkennungen von afghanischen Flüchtlingen nach 2001 damit zusammenhängt, dass u.a. unsere Bundeswehr seitdem in Afghanistan machtvoll tätig geworden ist, wird nicht explizit gesagt. Wo unsere Bundeswehr agiert, hat schließlich Frieden zu herrschen, Fluchtgründe kann es hier nicht mehr geben. Nicht umsonst wird die Eindämmung von Flüchtlingsströmen als Zielvorgabe in den neuen Militärstrategien genannt.

Das Memorandum verdient Verbreitung über die ohnehin asyl-kritische Öffentlichkeit hinaus:

Memorandum zur derzeitigen Situation des deutschen Asylverfahrens. Hg. u.a. von pro asyl, amnesty international, AWO, Diakon. Werk, Caritas, DPWV, RAV, NRV. 44 Seiten. Bezug: Pro Asyl, PF. 16 06 24; 60069 Frankfurt/M.; Fax: 069-230650.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".