Der Atomwaffensperrvertrag und Nordkorea

von Andreas Henneka

Mit seinen Kernwaffentests 2006 und 2009 hat sich Nordkorea de facto zur Atommacht erklärt. Dieser von der Staatengemeinschaft nicht anerkannte Status ist wegen seiner sicherheitspolitischen Folgen für die Region prekär. Auch vor dem Hintergrund der Bemühungen zur Stärkung des Nichtverbreitungsvertrags von Kernwaffen (NVV) ist die Situation heikel.

Sachlage
Infolge der Zuspitzung des Atomstreits mit Washington hat sich Pyongyang 2003 für die in Artikel X verbriefte Option des Austritts aus dem NVV entschieden. Anlässlich Barack Obamas Ankündigungen, in den internationalen Beziehungen auf offenen Dialog zu setzen, sahen Beobachter die Chance zur Entspannung. Mittlerweile ist Ernüchterung eingetreten. Die aus Washington zu vernehmenden Phrasen sind weitgehend dieselben wie unter George Bush junior: Vor der Aufhebung von Sanktionen und Maßnahmen zur Integration Nordkoreas müsse die Offenlegung und überprüfbare Beendigung seines Nuklearprogramms stehen. Solche Vorbedingungen, die keine neuen Ansätze in der Konfliktbearbeitung darstellen, sondern sich alter, als untauglich erwiesener Muster bedienen, fördern weder das Ziel einer nuklearwaffenfreien koreanischen Halbinsel noch die Rückkehr Nordkoreas in das NVV-Vertragsregime. Die bisher von Obama unternommenen Schritte reichen für eine friedliche Lösung des Konflikts und die Wiederherstellung eines robusten NVV nicht aus.

Hintergrund
Die Bemühungen Nordkoreas um ein Nuklearprogramm zur Energiegewinnung reichen in die 50er Jahre zurück. Wissenschaftler und Arbeiter wurden in Forschungseinrichtungen der UdSSR ausgebildet. 1963 erhielt Pyongyang von Moskau einen ersten Forschungsreaktor. Zu welchem Zeitpunkt sich die nordkoreanische Führung für die militärische Nutzbarmachung seines Nuklearprogramms entschied, ist Gegenstand von Kontroversen. Im Frühjahr 1982 fotografierten amerikanische Spionagesatelliten auf einem Forschungsgelände bei Yongbyon, ca. 90 Kilometer nördlich von Pyongyang, einen im Bau befindlichen Reaktor, der die Frage seiner Nutzung aufwarf.

In den folgenden Jahren dokumentierten Aufnahmen den Ausbau der Anlage. Gemeinsam mit Seoul, Beijing und Moskau erreichte Washington, dass Pyongyang 1985 dem NVV beitrat. Grund dafür war die Zusage Moskaus, vier Leichtwasserreaktoren an Nordkorea zu liefern. Mit dem Beitritt verbundene Inspektionen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) kamen wegen eines Formfehlers anfangs nicht zustande. Den Ruf nach Kontrollen konterte Pyongyang mit dem Hinweis auf die in Südkorea stationierten Nuklearwaffen der USA. Infolge der amerikanisch-sowjetischen Abrüstungsbemühungen Anfang der 90er Jahre kündigte George Bush im September 1991 den Abzug aller Nuklearwaffen aus Korea an. Im Dezember erklärte der südkoreanische Präsident Roh Tae-Woo Südkorea für nuklearwaffenfrei und in einer gemeinsamen Erklärung beider Koreas wurde die Entnuklearisierung der koreanischen Halbinsel als Ziel festgeschrieben. Die USA beschlossen, ihr regelmäßig stattfindendes Militärmanöver "Team Spirit" mit Südkorea auszusetzen. Im Mai 1992 erfolgte eine erste Besichtigung der strittigen nordkoreanischen Anlagen durch die IAEA.

Daraus resultierende Fragen und politische Streitigkeiten führten zu Spannungen, an deren vorläufigem Ende im März 1993 Nordkoreas Ankündigung stand, aus dem NVV auszutreten. Im Laufe weiterer Gespräche gab Pyongyang zu verstehen, man sei bereit, das Nuklearprogramm im Austausch gegen moderne Leichtwasserreaktoren aufzugeben. Innenpolitische Auseinandersetzungen in den USA und Südkorea konterkarierten eine ernsthafte Debatte des Vorschlags. Nach Provokationen zwischen Nord- und Südkorea eskalierte die Situation. Pyongyang kündigte die Entnahme von 8.000 Brennstäben an, und in Geheimdienstkreisen wurde über die mögliche Anzahl gefertigter nordkoreanischer Nuklearsprengköpfe spekuliert.

Der Besuch von US-Präsident Jimmy Carter in Nordkorea ebnete den Weg zur Wiederaufnahme von Gesprächen, die im Oktober 1994 in der Unterzeichnung des "Genfer Rahmenabkommens" mündeten. Darin erklärte sich Nordkorea zur Beendigung seines Nuklearprogramms unter Aufsicht der IAEA bereit. Die USA verpflichteten sich, bis 2003 den Bau von Leichtwasserreaktoren mit einer Gesamtkapazität von 2000 MW zu organisieren. Weitere Punkte betrafen amerikanische Sicherheitsgarantien, ein bilaterales Abkommen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie sowie den Verbleib Nordkoreas im NVV. Ungeachtet des Erfolgs behinderten Provokationen und gegenseitige Anschuldigungen die vollständige Umsetzung.

Mit dem Wechsel zu Bush junior und der von seiner Regierung propagierten Losung "anything but Clinton" wurde der konstruktive Dialog mit Nordkorea ausgesetzt. Nach seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 2002, die Nordkorea als Teil einer "Achse des Bösen" stigmatisierte, folgte im Oktober 2002 die Anschuldigung, das Land verfolge ein geheimes Programm zur Anreicherung von Uran. Das Vorgehen verstärkte den Eindruck, dass die US-Regierung an einer Bearbeitung des Konflikts auf Grundlage vertrauensbildender Gespräche nicht interessiert sei. Nordkorea zufolge ist seine nukleare Aufrüstung die unmittelbare Folge der unter Bush jun. offensiv betriebenen Politik des "regime change".

Was will Pyonggyang?
Will man die nordkoreanische Vorgehensweise in der Auseinandersetzung verstehen, muss man Pyongyangs dringendste Bedürfnisse zur Kenntnis nehmen. Im Vordergrund steht dabei der gleichberechtigte Dialog mit den USA, begleitet von Sicherheitsgarantien, Energiesicherheit und die Aussetzung der amerikanisch-südkoreanischen Militärmanöver. Die Entwicklung des Nuklearkonflikts wird von der Fähigkeit der USA abhängen, diese Punkte konstruktiv in ihre Strategie einzubinden. Verhindert wurde das bisher durch die von allen amerikanischen Regierungen gehegte Hoffnung auf einen Regimekollaps und die einseitige sicherheitspolitische Anbindung an Südkorea und Japan. Nüchtern betrachtet stellt die Berücksichtigung der Bedürfnisse keine konkrete Gefährdung für die Sicherheit der USA und ihrer Partner dar. Umgekehrt ist eine Umsetzung mit der Stabilität Nordkoreas und seinem Regimeerhalt verknüpft. Genau darin spiegeln sich das Problem und die mit ihm verbundenen Widersprüche. Einerseits macht Washington keinen Hehl daraus, dass man die nordkoreanische Führung für ein Unrechtsregime hält, das es zu überwinden gilt. Gleichzeitig dient die dem Regime zugeschriebene Bedrohung den USA als Argument, ihr militärisches Potential in der Region und darüber hinaus zu legitimieren.

Ausblick
Der Besuch des amerikanischen Sondergesandten Stephen Bosworth in Pyongyang am 8. Dezember 2009 markierte den offiziellen Dialogbeginn zwischen der Obama-Regierung und Nordkorea. Ein Gegenbesuch Kim Kye-Gwans, dem nordkoreanischen Chefunterhändler, ist für März geplant. In den kommenden Wochen stehen Ereignisse an, die das weitere Verhalten Pyongyangs mutmaßlich beeinflussen werden. Dazu gehören die Veröffentlichung der US-Nuclear Posture Review am 1. März und die NVV-Überprüfungskonferenz Anfang Mai. Wenn sich die US-Regierung zu einer gemäßigten Neuformulierung ihrer Nukleardoktrin entschließt und dazu durchringt, die in Artikel VI des NVV festgeschriebene Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung fortzuführen, besteht die Chance, dem Vertragsregime zu neuer Stärke zu verhelfen. Andernfalls wird sich die Spirale der nuklearen Aufrüstung in Nordkorea weiterdrehen und die Hemmschwelle anderer Länder, diesem Beispiel zu folgen, sinken. Das stärkste Signal dafür, welchen Stellenwert Nuklearwaffen künftig im Repertoire staatlicher Akteure einnehmen, geht von den beiden mächtigsten Atommächten, den USA und Russland aus.

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Andreas Henneka ist Doktorand und Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin mit dem Arbeitsschwerpunkt Friedens- und Konfliktforschung. Als Gastwissenschaftler der DGAP arbeitet er gegenwärtig an der Beendigung seiner Dissertation zum nordkoreanischen Nuklearprogramm.