Der Befreiungskampf der Bundeswehr von lex zu lex bis zur "humanitären" Intervention

von Andreas Buro
Hintergrund
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Die Bundeswehr kämpft für die Freiheit. Dabei waren und sind sie und ihre politisch-militärische Führung sehr erfolgreich. Die Bundeswehr befreite sich in langem und hartnäckigem Kampf von den Zwängen des Grundgesetzes, das sie auf die Aufgabe der Verteidigung im Rahmen des NATO-Vertragsgebietes einschränken wollte. In enger Zusammenarbeit mit Justiz und Rechtsgelehrten gelang der Durchbruch zu weltweiten Einsatzmöglichkeiten. AWACS- und Somalia-Entscheidungen waren vorausgegangen, bis schließlich der strategische Schlag zur 180°-Wende des Grundgesetzes gelang.

Der Sieg für die Freiheit der Bundeswehr war jedoch noch nicht gesichert, denn noch immer bestand die "Akzeptanz-Krise" des Militärs gegenüber der Bevölkerung. Die defätistische Frage "Wozu brauchen wir noch die teure Bundeswehr?" wurde allerorten angesichts mangelnder Bedrohung gestellt. Also war es notwendig, sich von dem Negativ-Image der Overkill-Strategien und -Rüstungen zu befreien. So wurde der lange Marsch zum humanitären Krieg, durch welchen die Menschenrechte zu schützen seien, eingeschlagen. In der Tat ein langer Weg von den Feldlazaretten in Kambodscha über die humanitäre Hilfe in Irakisch-Kurdistan und die Wüstenlandschaft Somalias, bis die Bundeswehr schließlich "mit Kampfauftrag" in Kroatien und Bosnien für den Frieden wirken durfte. Der lange Marsch zum "guten Militär" ist nicht ohne Eindruck geblieben. Am Wegesrand wurden die Samen ausgelegt, aus denen erneut und komplementär die ideologischen Argumente für einen dennoch "gerechten Krieg" - versteht sich, in humanitärer Absicht geführt - erblühen sollen. Denn natürlich ist es gerecht, die europäischen Mittelmeerküsten gegen eindringende Afrikaner und andere zu schützen, welche zweifellos entweder fundamentalistisch oder terroristisch, wahrscheinlich aber beides sein dürften. Gerecht ist es auch, sich vorbeugend auf Angriffe aus der "Dritten Welt" durch zielgenaue, notfalls auch nukleare Schläge, vorzubereiten, für den Fall, daß wir - die Guten und Reichen - uns von dort so bedroht fühlten, wie wir jene mit unseren viel besseren Waffen potentiell bedrohen. Gerecht ist dann sicher auch das, was die Verteidigungs-politischen Richtlinien bereits 1992 formulierten: "Zu den vitalen Sicherheitsinteressen der deutschen Politik gehört deshalb auch die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen im Rahmen einer gerechten (!) Weltwirtschaftsordnung."

Trotz so großer Humanität und Gerechtigkeit der Bundeswehr - Rühe und Kinkel wollen sogar auf Antipersonen-Minen verzichten und lassen daher flächendeckende Hightech-Minen entwickeln - gibt es dann immer noch Leute in der deutschen Gesellschaft, die ein anstößiges Tucholsky-Zitat über die mörderischen Eigenschaften von Soldaten öffentlich vortragen. Das Bundesverfassungsgericht gibt solchem Tun auch noch den Segen der Meinungsfreiheit, solange nur die Allgemeinheit der Soldaten und nicht spezielle gemeint sind. Damit ist die nächste Schlacht der Bundeswehr zur Befreiung von der Meinungsfreiheit angesagt. Das Abwehrschild gegen die Kritiker des Militärs und seiner mörderischen Eigenschaften heißt "Ehrenschutz" für die Soldaten, die ihr Leben für uns alle einzusetzen bereit sind, wenngleich in modernen Kriegen 90% der Toten Zivilisten sind. Diese aber setzen ihr Leben nicht ein, sondern verlieren es nur. Sie bedürfen deshalb nicht des besonderen Ehrenschutzes, wie man auch leicht aus den nach wie vor rechtskräftigen Todesurteilen gegen Kriegsdienstverweigerer des Zweiten Weltkrieges ersehen kann.

Soldaten - und da macht die Bundeswehr keine Ausnahme - erhalten die Lizenz zum Töten von Menschen, die von ihren Führern als Gegner gekennzeichnet worden sind. Das Töten von Menschen verstößt gegen die öffentliche Moral. Der Auftrag zum Töten muß deshalb durch seine Überhöhung und Tabuisierung vor jeglicher Kritik geschützt werden. Den Menschen könnten ja die ideologischen Schuppen von den Augen fallen, wie es in einem anderen Zusammenhang in dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern berichtet wird. Ein Kind ruft, der Kaiser ist ja nackt. Viele Kinder wissen heute aus bitteren Kriegserfahrungen, daß Soldaten Mörder sind.

Im Befreiungskampf der Bundeswehr von ihren Kritikern tritt der neue FDP-Justizminister Schmidt-Jortzing erstaunlich strategisch orientiert mit Schützenhilfe auf. Denn in seinem Entwurf "lex Bundeswehr" geht es nun der Substanz nach nicht mehr um bloßen Ehrenschutz. Die neue Vorschrift soll dort ins Strafgesetzbuch geschrieben werden, wo die Staatsschutzdelikte stehen, und zwar neben der "Störpropaganda gegen die Bundeswehr". Dann handelt es sich um ein "Gefährdungsdelikt". Ein etwaiger Angeklagter könnte sich nun nicht mehr auf die Meinungsfreiheit berufen. Denkt man auf dieser juristischen Schiene weiter, so wird man, ohne allzuviel Phantasie aufwenden zu müssen, sich bald türkischen Verhältnissen annähern, bei denen Kritik am Militär Landesverrat gleichkommt. Noch liegt die "lex Bundeswehr" bei den parlamentarischen Ausschüssen.

Dort liegt derzeit auch ein bislang in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannter Gesetzentwurf:

Das Verkehrsvorsorge-Gesetz. Federführend ist selbstverständlich der Verkehrsausschuß des Bundestages. Doch Ziel des Gesetzes ist die "Sicherung der Versorgung der Bevölkerung und die Unterstützung der Streitkräfte mit Verkehrsleistungen ..." Das Gesetz ist eine Ermächtigungsgrundlage, die für den Krisenfall gilt. "Es ergänzt das Verkehrssicherstellungsgesetz, das nur für Zwecke der Verteidigung Regeln enthält." Aha! Aus dem Verkehrsministerium war zu hören, man arbeite schon seit 20 Jahren auf diese Krisenregelung hin, die an die früheren Notstandsgesetze anknüpft. Die erste Lesung fand bereits im vereinfachten Verfahren, also klammheimlich ohne parlamentarische Debatte statt. Der Sinn des Gesetzes ist eindeutig: Nun müssen die Rechtsgrundlagen geschaffen werden, um notstandsmäßige Schritte zu tun, auch wenn es sich nicht um Verteidigung, sondern um einen Einsatz der Bundeswehr irgendwo in der Welt "zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen" (_1, (1)) handelt. Im Hinblick auf die entstehenden EU-integrierten schnellen Eingreiftruppen heißt es in _ 1, (2) "Eine Unterstützung verbündeter Streitkräfte mit Verkehrsleistungen ist nur zulässig bei gemeinsamen Maßnahmen mit deutschen Streitkräften." Angesichts fehlender militärischer Bedrohung stellt sich die Frage, ob es sich bei diesem Gesetzesvorhaben um einen weiteren Befreiungskampf der Bundeswehr handelt. Diesmal um ein Stück Befreiung von der parlamentarischen Kontrolle, die unter Notstandsregimen leichter zurückgedrängt werden kann.

Der Kampf der Bundeswehr um die große Freiheit, zu der selbstverständlich viele andere Aspekte der Aufrüstungspolitik, der militärischen Integration in die WEU und der rüstungsindustriellen EU-bezogenen Konzentration gehören, wird sehr systematisch und mit langer Perspektive betrieben. Das Ziel ist, nicht nur eine feste institutionelle und juristische Verankerung der out-of-area-Option der Bundeswehr zu erreichen, sondern auch Herz und Bewußtsein der Menschen unserer Gesellschaft wieder für das Militär zu vereinnahmen. Vom großen Zapfenstreich im Bonner Hofgarten über die Schilderung des Alltags "unserer Jungs" im Einsatz bis zum besonderen Ehrenschutz für den "Ehrendienst der Soldaten" ist alles sorgfältig, auch psychologisch kalkuliert. Gelänge es der Bundeswehr, die roßtäuscherische Ideologie von der humanitären Intervention des Militärs zum nicht mehr hinterfragbaren Mythos aufzublasen, dann bekäme sie wieder gesellschaftlich sicheren Boden unter die Füße. Dies wäre eine wichtige Voraussetzung dafür, um im Rahmen der EU-Integration den militärischen Faktor zur Stärkung der hegemonialen Position Deutschlands voll einbringen zu können. Für diejenigen, die sich für die Weichenstellung von militärischem Konfliktaustrag zur zivilen Konfliktbearbeitung einsetzen, ist es deshalb entscheidend wichtig, den Mythos der "humanitären" militärischen Intervention als Fortsetzung von Aufrüstung und potentieller Gewaltpolitik zu entblößen. Gegen die große Freiheit des Militärs gilt es, die Solidarität der Menschen für Frieden über europäische Grenzen hinweg zu organisieren!

(30.4.1996)

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