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Der Deserteur und die WehrdiensttotalverweigerInnen
vonDas Denkmal für den unbekannten Deserteur bleibt bis auf Widerruf auf dem Potsdamer "Platz der Einheit" stehen. Das hat verschiedene Gründe. Ein Grund ist ohne Zweifel die 6 Monate alte Geschichte dieses Deserteurs in Potsdam. Er erfreute sich reger Kommunikation.
Es flogen allerdings auch schon Farbbeutel gegen den weißen Marmorstein und die Informationstafel hielt den Gewalttätigkeiten kommunikationsunfähiger Bürger nicht stand. Dennoch eroberte sich dieser "Stein des Anstoßes" die Herzen der PotsdamerInnen. Der Wunsch der PotsdamerInnen, das Denkmal auf dem Platz der Einheit zu lassen, fand seinen Niederschlag seit September 1990 in der örtlichen Presse, in vielen Gesprächen auf der Straße, in Parteien und Gruppen. Seit der Zuspitzung der Golfkrise ist der Deserteur zum Zentrum ständiger Mahnwachen und Ausgang oder Zielpunkt der Demonstrationen geworden. Es kommt eine eigene Kultur rund um das Denk-mal zum Ausdruck, in der Frieden eine bunte und tief berührende Gestalt gewinnt. Vormittags treffen sich Schüler aller Altersgruppen, unterstützt von ihren Lehren und Direktoren, zu Mahnwachen; täglich wird um 18 Uhr ein Kreuz auf die Wiese neben dem Denk-mal gestellt. Diese Aktion wird von allen Kirchengemeinden - also auch der katholischen Kirche - abwechselnd getragen. Jeden Montag gibt es eine Demonstration durch die Stadt. Um das Denk-mal stehen, liegen, hängen Transparente, Plakate, beschriebene Pappen, Kreuze, Kerzen, Blumen. Es brennt ein ständiges Feuer zum Erwärmen. All diese Aktionen werden auch von offiziellen Vertretern der Stadt unterstützt. Das städtische Amt hat Müllcontainer und Reinigungsgeräte zur Verfügung gestellt, die Polizei und das Rote Kreuz haben heißen Tee ausgeschenkt. Ministerpräsident Stolpe kam bei Ausbruch des Krieges nachts spontan zum Denk-mal und sprach von seiner Hilflosigkeit und Betroffenheit über die Gleichgültigkeit seiner Politikerkollegen in führenden Positionen Deutschlands.
Neben der Solidarität mit allen anderen Kriegsgegnern erfährt der Deserteur aber auch Ablehnung. Die Plakate und Kreuze wurden schon mehrmals zerstört, es gab einen Brandanschlag und mehrere gewalttätige Angriffe von rechtsradikalen Jugendlichen auf die Mahnwache. Dabei wurde Kai Fells, Student am Kirchlichen Oberseminar Potsdam, so zusammengeschlagen, daß er mehrere Tage im Krankenhaus liegen mußte. Die Erschütterung über solche Gewalttätigkeiten durchzog wiederum alle politischen Ebenen, vom Ministerpräsidenten (Stolpe besuchte Kai im Krankenhaus) über die Kirchengemeinden bis hin zu sonst unpolitischen BürgerInnen. Die Zeitungsartikel sprechen eine deutliche Sprache. Der weiße Marmor-Deserteur ist mit seinen Anstößen in die Herzen der Potsdamer gedrungen.
Mehmet Akzoy, der Künstler der die Skulptur geschaffen hat, war davon auch sehr beeindruckt. Er sagte, daß der Deserteur in Potsdam genau richtig steht und dort auch bleiben soll. Er macht dort einen weltweiten Sinn wegen des Potsdamer Abkommens, welches ja ein Kriegsabkommen war. Im Übrigen hält Mehmet ein mögliches Asylrecht des Deserteurs in Bonn für diskriminierend. Die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung hat eine ähnliche Meinung und sich jetzt mit überwältigender Mehrheit (100 Ja-Stimmen zu 8 Nein-Stimmen) für den weiteren Verbleib in Potsdam entschieden. Mehmet will einen ordentlichen Sockel machen und wir (Freundeskreis WehrdiensttotalverweigerInnen) überlegen gerade mit der Stadtverordnetenversammlung, wie und ob wir der Stadt Bonn und dem Bonner Friedensplenum eine Art Gegenstück schenken können. Wir halten es für dringend notwendig, gerade in diesem Teil Deutschlands das öffentliche Nachsinnen über die deutsche Geschichte und den Militarismus nicht abreißen zu lassen zu lassen. Manfred Stolpe sagte bei einer Demo vor dem Deserteur, wir sollten weiter Mut zu ungewöhnlichen pazifistischen Aktionen haben, denn Politiker reagierten nur auf „äußeren Druck. Ich denke, das stimmt. Bonn braucht weitere Anstöße und wir werden uns bemühen, diesbezüglich sehr konstruktiv zu sein.