Der Deserteur und die WehrdiensttotalverweigerInnen

von Hans Jürgen Neumann

Das Denkmal für den unbekannten Deserteur bleibt bis auf Widerruf auf dem Potsdamer "Platz der Einheit" stehen. Das hat verschiedene Gründe. Ein Grund ist ohne Zweifel die 6 Monate alte Geschichte dieses Deserteurs in Potsdam. Er erfreute sich reger Kommunikation.

Es flogen allerdings auch schon Farb­beutel gegen den weißen Marmorstein und die Informationstafel hielt den Ge­walttätigkeiten kommunikationsunfä­higer Bürger nicht stand. Dennoch ero­berte sich dieser "Stein des Anstoßes" die Herzen der PotsdamerInnen. Der Wunsch der PotsdamerInnen, das Denkmal auf dem Platz der Einheit zu lassen, fand seinen Niederschlag seit September 1990 in der örtlichen Presse, in vielen Gesprächen auf der Straße, in Parteien und Gruppen. Seit der Zuspitzung der Golfkrise ist der Deserteur zum Zentrum ständiger Mahnwachen und Ausgang oder Zielpunkt der Demonstrationen geworden. Es kommt eine eigene Kultur rund um das Denk-mal zum Ausdruck, in der Frieden eine bunte und tief berüh­rende Gestalt gewinnt. Vormittags tref­fen sich Schüler aller Altersgruppen, unterstützt von ihren Lehren und Di­rektoren, zu Mahnwachen; täglich wird um 18 Uhr ein Kreuz auf die Wiese ne­ben dem Denk-mal gestellt. Diese Ak­tion wird von allen Kirchengemeinden - also auch der katholischen Kirche - ab­wechselnd getragen. Jeden Montag gibt es eine Demonstration durch die Stadt. Um das Denk-mal stehen, liegen, hän­gen Transparente, Plakate, beschriebene Pappen, Kreuze, Kerzen, Blumen. Es brennt ein ständiges Feuer zum Erwär­men. All diese Aktionen werden auch von offiziellen Vertretern der Stadt unter­stützt. Das städtische Amt hat Müllcontainer und Reinigungsgeräte zur Verfügung gestellt, die Polizei und das Rote Kreuz haben heißen Tee ausge­schenkt. Ministerpräsident Stolpe kam bei Ausbruch des Krieges nachts spon­tan zum Denk-mal und sprach von sei­ner Hilflosigkeit und Betroffenheit über die Gleichgültigkeit seiner Politiker­kollegen in führenden Positionen Deutschlands.

Neben der Solidarität mit allen anderen Kriegsgegnern erfährt der Deserteur aber auch Ablehnung. Die Plakate und Kreuze wurden schon mehrmals zer­stört, es gab einen Brand­anschlag und mehrere gewalttätige Angriffe von rechtsradikalen Jugendli­chen auf die Mahnwache. Dabei wurde Kai Fells, Student am Kirchlichen Oberseminar Potsdam, so zusammen­geschlagen, daß er mehrere Tage im Krankenhaus liegen mußte. Die Erschütterung über solche Gewalttätigkeiten durchzog wiederum alle politischen Ebenen, vom Minister­präsidenten (Stolpe besuchte Kai im Krankenhaus) über die Kirchengemein­den bis hin zu sonst unpolitischen Bür­gerInnen. Die Zeitungsartikel sprechen eine deutliche Sprache. Der weiße Mar­mor-Deserteur ist mit seinen Anstößen in die Herzen der Potsdamer gedrungen.

Mehmet Akzoy, der Künstler der die Skulptur geschaffen hat, war davon auch sehr be­eindruckt. Er sagte, daß der Deserteur in Potsdam genau richtig steht und dort auch bleiben soll. Er macht dort einen weltweiten Sinn wegen des Potsdamer Abkommens, welches ja ein Kriegsabkommen war. Im Übrigen hält Mehmet ein mögliches Asylrecht des Deserteurs in Bonn für diskriminierend. Die Pots­damer Stadtverordnetenver­sammlung hat eine ähnliche Meinung und sich jetzt mit überwältigender Mehrheit (100 Ja-Stimmen zu 8 Nein-Stimmen) für den weiteren Verbleib in Potsdam entschieden. Mehmet will einen ordentlichen Sockel machen und wir (Freundeskreis WehrdiensttotalverweigerInnen) überlegen gerade mit der Stadtverordnetenversammlung, wie und ob wir der Stadt Bonn und dem Bonner Friedensplenum eine Art Gegenstück schenken können. Wir halten es für dringend notwendig, gerade in diesem Teil Deutschlands das öffentliche Nach­sinnen über die deut­sche Geschichte und den Militarismus nicht abreißen zu las­sen zu lassen. Man­fred Stolpe sagte bei einer Demo vor dem Deserteur, wir sollten weiter Mut zu ungewöhnlichen pazifistischen Ak­tionen haben, denn Politiker reagierten nur auf „äußeren Druck. Ich denke, das stimmt. Bonn braucht weitere Anstöße und wir werden uns bemühen, diesbe­züglich sehr kon­struktiv zu sein.

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Hans Jürgen Neumann ist Mitglied des Freundeskreises WehrdiensttotalverweigerInnen Potsdam.