Der europäische Freiwilligendienst (EFD) für junge Leute

von Silke DustReinhard Griep

Interkulturelles Lernen steht im Vordergrund. Sozial Benachteiligte werden besonders gefördert.
Das FriedensForum sprach mit Silke Dust, Fachbereichsleiterin in der Jugendakademie Walberberg, und Reinhard Griep, Leiter der Jugendakademie.

Der europäische Freiwilligendienst für junge Leute: was ist das?
Der europäische Freiwilligendienst (EFD) ist ein Lerndienst für junge Leute zwischen 16 und 30 Jahren. Er steht - im Unterschied zu anderen Freiwilligendiensten - grundsätzlich allen Jugendlichen offen, insbesondere sollen benachteiligte Jugendliche integriert und dafür motiviert werden. Die Freiwilligen gehen für 2-12 Monate in lokale europäische Projekte, die im ökologischen, sozialen oder kulturellen Bereich arbeiten. Durch die Zusammenarbeit zwischen Entsende- und Aufnahmeprojekt können sich die Projekte auf europäischer Ebene vernetzen und sich untereinander austauschen. Für die Freiwilligen werden durch die EU-Förderung alle Kosten übernommen, d.h. Unterkunft und Verpflegung, Reisekosten, Sprachkurs und ein Taschengeld. Zusätzlich wird eine pädagogische Begleitung sichergestellt.

Gerade hat die neue EU-Programmphase 2007 - 2013 begonnen. Welche Änderungen bzw. Neuerungen gibt es?
Das wichtigste ist: Der EFD bleibt als Lerndienst erhalten, d.h., dass es weiterhin Begleitseminare vor, am Anfang, während und nach dem Freiwilligendienst gibt. Neu ist, dass nunmehr alle Seminare für die Freiwilligen verpflichtend sind, auch die Ausreise- und Rückkehrseminare und sich die Antragstellung insgesamt vereinfacht hat.

Die Jugendakademie führt neben vier anderen Bildungshäusern in Deutschland Begleitseminare für EFD-Freiwillige durch. Was sind die Ziele und Inhalte dieser Seminare?
Zu Beginn des Freiwilligendienstes absolvieren die Freiwilligen, die ihren EFD in Deutschland machen, ein 12-tägiges Einführungstraining (EFT) und etwa zur Hälfte ihres Dienstes ein Zwischentreffen von 7 Tagen. Die EFT`s richten sich an Freiwillige aus Europa und sog. Drittländern, die im Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes in Projekten in Deutschland ihren Freiwilligendienst ableisten. Ziel des Trainings ist es, sich seiner Erwartungen, Befürchtungen und Motivation hinsichtlich des Lebens und Arbeitens in einem Projekt in Deutschland bewusst zu werden, seine Rolle als Freiwilliger und die Ankunftszeit im jeweiligen Projekt zu reflektieren und sich über die ersten Wahrnehmungen von Deutschland, deutscher Kultur und deutscher Geschichte vor dem Hintergrund der eigenen Kultur auszutauschen. Vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzung mit der eigenen und der fremden Identität erfolgt eine Bearbeitung europäischer Fragestellungen.

Die Intensität des Kennenlernens und des Austausches bietet die Möglichkeit, Netzwerke der Zusammenarbeit und des Austauschs aufzubauen, die nach dem Seminar fortbestehen.

Das 7-tägige Zwischentreffen richtet sich - wie das EFT - an Freiwillige aus Europa und Drittländer und bietet die Möglichkeit, das Leben und Wirken in den jeweiligen Projekten in Deutschland zu reflektieren und sich mit anderen Freiwilligen aus den verschiedenen Projekten auszutauschen. "Handwerkszeug" für Konfliktsituationen im Projekt können erarbeitet werden. Auch Zukunftsperspektiven für die Zeit nach dem EFD sind Thema dieses Seminars sowie eine Fortführung des freiwilligen Engagements nach Beendigung des Dienstes. Bei Bedarf können relevante Fragen zum Thema Deutschland und Europa vertieft werden. Zusätzlich zu diesen Seminaren gibt es noch Ausreise- und Rückkehrseminare.

Welche Lernerfahrungen gibt es in den Seminaren?
Das Lernen in der internationalen Gruppe, in der manchmal Jugendliche aus 10 und mehr Ländern zusammenkommen, stellt das größte Lernpotential dar. Hier werden interkulturelles Lernen und politische Bildung konkret in der Gruppe erfahrbar. Die Gruppe stellt den Mikrokosmos der Welt im Seminarraum dar. Die Freiwilligen lernen an den Konflikten und Themen, die sich aus der Gruppe ergeben.

Gibt es konkrete Beispiele für dieses Lernen in und an der Gruppe?
In einer Seminargruppe waren z.B. einige türkische Freiwillige, die in Istanbul studiert hatten. Sie hatten im Seminar die Aufgabe, in Köln-Mülheim eine kleine Feldstudie zur kulturellen Vielfalt in Deutschland durchzuführen. Sie stellten anschließend ihre Ergebnisse vor, indem sie sagten: "Die Menschen, die in Köln-Mülheim leben, sind keine richtigen Türken, sie sprechen nicht richtig türkisch." Die Migranten aus Ostanatolien, die jetzt in Köln-Mülheim leben, kommen im Wahrnehmungsspektrum der Istanbuler Studenten offensichtlich nicht vor. Die Diskussion die sich anschloss, drehte sich um die Frage: "Wie wird mit kultureller Vielfalt in der Türkei umgegangen, wie ist das in anderen Ländern?" Weiteres Beispiel: In einer Seminargruppe arbeiteten Türken und Kurden zusammen. Letztere gaben bis kurz vor Seminarende nicht preis, dass sie Kurden sind. Erst am Seminarende wagten sie, ihre Identität zu nennen. Die Freiwilligen bringen somit die Konflikte der Welt mit in das Seminar und die Gruppe. Bei der Herkunftspräsentation zu Beginn des EFT sagte ein schwedischer Freiwilliger mit palästinensischem Migrationshintergrund: "Ich kann meinen Ort nicht präsentieren, den Ort meiner Kindheit gibt es nicht mehr, er ist vollkommen zerstört."

Gibt es auch Freiwillige, die nicht aus den Mitgliedstaaten der EU kommen?
Es sind auch Freiwillige dabei, die aus sog. Euromed-Ländern kommen, z.B. Israel oder Syrien. Dadurch treten insbesondere europarelevante Themen in den Mittelpunkt, wie etwa Fragen zur europäischen Identität. Folgendes Beispiel sei hier genannt: Die Freiwilligen sollten sich mit der Frage beschäftigen, was für sie Europa sei, wo die Grenzen liegen und wo eine europäische Hauptstadt in zwanzig Jahren sein würde. Die Freiwilligen aus den mediteranen Anrainerstaaten der EU weiteten Europa auf ihre Herkunftsregion aus und bestimmten Istanbul zur Hauptstadt, woraufhin die Spanier entsetzt aufsprangen und sagten: "Das ist nicht Europa, die haben nicht unsere Werte!" Es findet so ein Verständigungsprozess unter den Freiwilligen statt, in dem für die Teilnehmenden Europa mit all seinen Konflikten und Problemen unmittelbar erfahrbar wird.

Welche Motivation haben die jungen Leute, einen Freiwilligendienst zu machen?
Für viele Freiwillige ist der EFD eine Auszeit zwischen zwei Lebensphasen, um über ihre Perspektiven nachzudenken. Es wird aber auch als eine Zeit angesehen, in der sie Qualifikationen für den späteren Beruf erwerben, z.B. Computer- oder Sprachkenntnisse.

Daneben formulieren nicht wenige, dass es für sie wichtig ist, sich ehrenamtlich oder bürgerschaftlich zu engagieren.

Welche Erfahrungen nehmen die jungen Leute mit?
Den EFD in einem fremdem Land zu machen ist eine hohe Herausforderung. Die Freiwilligen steigern ihr Selbstbewusstsein. Sie haben gelernt, sich in einer fremden Umgebung und in einer fremden Sprache zurechtzufinden. Durch die Mitarbeit in einem Projekt haben sie sich in sozialer Hinsicht weiterentwickelt. Sie machen häufig erstmalig die Erfahrung, an Gesellschaft zu partizipieren und sich interkulturell auseinanderzusetzen.

Was haben die Einrichtungen und Projekte davon, Freiwillige aufzunehmen bzw. zu entsenden?
Indem die europäischen Freiwilligen in einem Projekt in Deutschland mitarbeiten, bekommen die Projekte Impulse für die eigene Arbeit. Der Zielgruppe der Projekte werden interkulturelle Erfahrungen ermöglicht und das eigene Arbeiten durch den Erfahrungshintergrund eines jungen Menschen bereichert. Daneben profitieren die Projekte natürlich von der konkreten unterstützenden Tätigkeit des Freiwilligen.

Die Jugendakademie hat mit "Europa für alle" einen eigenen Schwerpunkt entwickelt. Was steckt dahinter?
Ziel von "Europa für alle" ist, die Zielgruppe "sozial benachteiligte Jugendliche" in den EFD zu integrieren sowie zuverlässige Partnerschaften und ein entsprechendes Netzwerk aufzubauen, um die Jugendlichen optimal zu begleiten. Wir arbeiten mit den MitarbeiterInnen der Einrichtungen, die mit dieser Zielgruppe arbeiten, zusammen, um Anstöße zu geben, wie sie mit "ihren" Jugendlichen am Programm partizipieren können. Es geht u.a. um Fragen wie: "Was ist den Jugendlichen zuzutrauen? Was bringen sie mit, um den Freiwilligendienst durchzuhalten? Welche Kenntnisse, Fähigkeiten, Verhaltensweisen müssen da sein? Was haben die Jugendlichen, was die Projekte davon? Wo sind die Grenzen?"

Was unterscheidet ein europäischer Freiwilligendienst (EFD) z.B. von einem Freiwilligendienst bei Eirene?
Eirene ist ein traditioneller Friedensdienst, kommt aus der Versöhnungsarbeit und hat einen entwicklungspolitischen und christlichen Hintergrund. Ziel ist die Aussöhnung verschiedener Konfliktparteien und Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen. Das spricht vor allem Jugendliche an, die nicht Opfer dieser Verhältnisse sind und politisch denken. Bei Eirene arbeiten die Freiwilligen mit einem (finanziellen) Unterstützerkreis, der auch inhaltlich eingebunden wird. Ziel des EFD ist es, insbesondere die Jugendlichen anzusprechen, die diesen Unterstützerkreis nicht aufbauen könnten, allerdings werden sie bislang auch durch den EFD nur bedingt erreicht, da es ein langwieriger Prozess ist, diese Zielgruppe zu motivieren. Es bedarf einer direkten Ansprache und Zusammenarbeit mit Kontaktpersonen als MultiplikatorInnen wie LehrerInnen oder SozialarbeiterInnen), damit diese Zielgruppe einen Freiwilligendienst macht.

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