Der Friede ist der Ernstfall

von Christine Schweitzer
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Über das Entsetzen über die vielen neuen gewaltsamen Konflikte wird oftmals übersehen, daß in den letzten Jahren einige teilweise Jahrzehnte währende Kriege zu Ende gegangen sind. Südafrika, El Salvador, Guatemala, Israel, Kambodscha und Tschetschenien sind nur einige Beispiele.

Aber was geschieht, wenn der Friedensvertrag unterzeichnet und die Wahlen abgehalten worden sind? Während sich die Weltöffentlichkeit zumeist anderen Konflikten zuwendet, sehen sich die Länder der schwierigen Aufgabe gegenüber, das, was eingeleitet wurde, erfolgreich fortzusetzen und einer dauerhaften Lösung zuzuführen. Oft müssen sie feststellen, daß damit die Probleme erst anfangen. Kambodscha hat gerade in diesen Tagen das Wiederaufflammen des Bürgerkrieges erlebt. Und in Israel-Palästina ist der Friedensprozeß in ernsthafter Gefahr, auch wenn er von allen Seiten immer wieder beschworen wird.

Konflikte müssen auf verschiedenen Ebenen bearbeitet werden

Friedensprozesse erfordern, daß die vielfältigen verschiedenen Aspekte und Facetten des Konfliktes bearbeitet werden müssen.

In den von Johan Galtung geprägten und später durch den UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali populär gemachten Begrifflichkeiten heißt dies, daß die Strategien des Peace-keeping, Peace-building und Peace-making kombiniert angewendet werden müssen (1).

Das Peace-Keeping befaßt sich mit dem Problem des gewaltsamen Verhaltens und konzentriert sich auf die Verhinderung, Einhegung und Beendigung von Feindseligkeiten. Es ist gewöhnlich mit der Intervention einer externen militärischen Macht (UN-Blauhelme oder andere sog. "Friedenstruppen") verbunden. In vielen der Friedensprozesse gibt es solche Interventionen (man denke wiederum an Kambodscha), allerdings nicht in allen. In Israel/Palästina ist diese Funktion z. B. den Polizeieinheiten beider Seiten sowie dem israelischen Militär übertragen. Peace-Making, definiert als die Suche nach einer Verhandlungslösung der Interessenkonflikte zwischen den Konfliktparteien, befaßt sich mit der wahrgenommenen Unvereinbarkeit von Interessen und richtet sich an die Entscheidungsträger. Und Peace-Building schließlich ist jene Strategie, die am direktesten versucht, jene destruktiven Prozesse umzukehren, die die Gewalt begleiten. Es befaßt sich mit den negativen Haltungen und sozio-ökonomischen Strukturen und richtet sich an die "normalen Bürger".

Peace-Making

Peace-Making kennt grundsätzlich drei mögliche Vorgehensweisen:

1. Den Versuch, eine Lösung durch Gewalt oder Macht aufzuzwingen. Kurzfristig mag diese Methode wirken, aber mittel- und langfristig sind die Erfolgsaussichten eher dürftig (Beispiele reichen vom Versailler Vertrag bis zu Dayton).

2. Durchsetzung einer Friedenslösung durch Gesetz, wobei diese Unterstrategie nur dann funktioniert, wenn die Legitimität des Staates noch von allen Seiten anerkannt wird. Im heute vorherrschenden Konflikttyp des Bürgerkrieges scheidet dies oftmals aus. Und

3. Finden einer allseits befriedigenden Lösung durch Verhandlungen und Mediation, entweder im herkömmlichen Sinne oder durch alternative Vorgehensweisen (z. B. Mediation mit gesellschaftlichen Führungspersönlichkeiten, die dann ihre politischen Entscheidungsträger beeinflussen.)

Peace-Building

So notwendig Peace-Building für die Nachhaltigkeit eines Friedensprozesses ist, so sehr ist es keine Methode, die einen unmittelbar sichtbaren kurzfristigen Effekt auf die Konfliktsituation ausüben würde. Stephen Ryan, der diese Strategien am Beispiel ethnischer Konflikte untersucht hat, unterscheidet als Unterstrategien des Peace-Building:

1. Kontakt plus Versöhnung (der religiöse Ansatz von Gandhi, Martin Luther King u.a.). Ryan fragt sich allerdings, ob dieser Ansatz pragmatisch genug sei, um genügend viele Personen zu erreichen.

2. Kontakt plus Verfolgung übergeordneter Ziele (der funktionalistische Ansatz; Ziele können von gemeinsamen Sportaktivitäten bis zur Eingliederung in die EU reichen).

3. Kontakt plus wirtschaftliche Entwicklung, wobei dieser Ansatz nur dann zu funktionieren scheint, wenn er wahrgenommene wirtschaftliche Gerechtigkeit für beide Seiten mit sich bringt.

4. Kontakt plus Vertrauensbildung (z.B. Justizreformen, Verzicht auf bestimmte Symbole etc).

5. Bildung für gegenseitiges Verstehen (multikulturelle Schulen etc.)

6. Vorurteilsreduzierung, wozu formale Bildung, Kontakt- und Bekanntschaftsprogramme wie Gemeindefeste, Trainings, positives Handeln durch Massenmedien, Appelle von führenden Persönlichkeiten einer Gemeinde und individuelle Therapie gehören

7. Erforschung der gegenseitigen Kulturen (z.B. durch Wiederbelebung von Sagen und Mythen, Theater, Literatur etc.

Es sind diese Ansätze, die am ehesten von Trägern der zivilen Gesellschaft - sei es lokalen, sei es internationalen Nichtregierungsorganisationen - angewendet werden. Die unzähligen Begegnungsseminare, gewaltfreien Trainings, Aktivitäten des interreligiösen Dialogs und der Konfliktbearbeitung auf Basis-Ebene, wie sie z. B. im ehemaligen Jugoslawien zur Anwendung kommen, legen davon Zeugnis ab.

Alle drei Strategien müssen gleichzeitig angewendet werden, soll ein Konflikt effektiv gelöst werden. Ohne Peace-Keeping würde fortgesetzte Gewalt eine Suche nach Konfliktlösungen verhindern. Ohne Peace-Making blieben die Interessenkonflikte, die Ursache des Konfliktes sind, ungelöst. Und ohne Peace-building könnten Lösungen, die durch die Elite ausgehandelt werden, sich nicht als tragfähig erweisen. Zum Beispiel verhinderten Protestanten in Nordirland eine Initiative Englands, 1974 einen politischen Prozeß zu beginnen, der zur Selbstregierung hätte führen können (ein Interimsrat unter Beteiligung der Republik Irland, dann eine Volksabstimmung und die Wahl einer neuen Nationalversammlung), der ein Teil der protestantischen Anführer bereit waren, zuzustimmen, obwohl sie den Katholiken Nordirlands verhältnismäßig viel Einfluß gegeben hätte. Ebenso zeigen die Vorgänge auf beiden Seiten des israelisch-palästinensischen Konfliktes, wie leicht ein Friedensprozeß durch Bedrohungsängste (vor allem auf israelischer Seite) einerseits und Verschlechterung der ökonomischen Lebensgrundlagen (auf palästinensischer Seite) andererseits ausgehöhlt werden kann.

Anmerkung

1. Ryan, Stephen, Ethnic Conflict and International Relations, 2nd ed., Aldershot: Dartmouth Publishing Company Ltd, 1995

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.